Название | Der tote Rottweiler |
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Автор произведения | Heike Brandt |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783948675721 |
„Genau!“ Timo lacht verächtlich auf. „Stell dir mal vor, Natalie, da kommt so ein Terrorist und ballert rum, und die Polizei sagt höflich: ‚Bitte legen Sie die Waffe weg, können wir das nicht auch anders regeln?‘ Mensch, Natalie! Was für’n Scheiß ist das denn? Die machen uns fertig, wenn wir uns nicht wehren. Hat schon genug Tote gegeben.“
„Aber wenn die Terroristen keine Waffen hätten …“, wendet Natalie ein, aber weiter kommt sie nicht.
Alle reden durcheinander, die Stimmen überschlagen sich fast. Natalie lehnt sich enttäuscht zurück.
Frau Zylbersztajn steht auf, bittet um Ruhe und meint, man könne das Thema ja auch kontrovers diskutieren. Es müssten ja nicht alle in der Gruppe derselben Meinung sein. Sie sollten sich zu einem Thema eine Kompetenz erarbeiten, was nicht heiße, sie müssten alle dieselbe Meinung vertreten. Meinungen bilde man sich ja erst auf Grund von Fakten und Erfahrungen, und die müsse man erst mal zusammentragen – ein wichtiger Arbeitsschritt bei dem Projekt.
Achselzucken. Schweigen. Feindseliges Schweigen.
Natalie guckt trotzig im Kreis herum, bis ihr Blick an Bobi hängenbleibt. Bobi und sie haben im letzten Schuljahr einen Video-Kurs gemacht und beide sind schnell ein Team geworden – sie Ton, er Bild –, und haben richtig gut zusammengearbeitet, ohne Streit, ohne Stress. In Natalies Augen steht: Wenn hier jemand mitmacht, dann Bobi.
Nicht zu Unrecht. Bobi findet Natalies Projekt-Idee auch gut. Richtig gut. Er sieht das ähnlich wie sie. Krieg ist furchtbar, wahrscheinlich braucht man wirklich keine Waffen. Gewalt geht nicht durch Gewalt weg. Aber leider ist Bobi kein Held. Und da sich ganz eindeutig nicht genug Leute für diese Gruppe finden, muss er sich ja nicht auch noch raushängen wie Natalie und blöde Sprüche kassieren. Allein gegen alle, das hat er nicht drauf. Er senkt den Kopf. Auch wenn das feige ist, auch wenn es ihm peinlich ist, feige zu sein: Er hält sich lieber zurück.
Die Sache scheint gelaufen zu sein.
Doch plötzlich meldet sich Amal, die heute direkt neben Bobi sitzt, eine der eher Stillen der Klasse. Aber jetzt spricht sie laut und deutlich:
„Ich mache mit, Natalie. Schreiben Sie mich auf, Frau Zylbersztajn.“
Und im selben Augenblick reckt auf der anderen Seite des Klassenraums Manuel, der Streber, seinen Arm hoch, schnippst laut mit den Fingern und meint trocken:
„Bin auch dabei.“
Nicht zu fassen, durchfährt es Bobi, der Zug ist noch nicht abgefahren! Und ehe er sich versieht, hat er seinen linken Arm gehoben und kann Natalie wieder in die Augen gucken.
„Ihr spinnt doch!“, sagt Patrick und tippt sich wieder mit dem Finger an die Stirn. „Fantasten!“
Der Schulleiter genehmigt das Projekt Frieden schaffen ohne Waffen, aber nicht ohne Frau Zylbersztajn eindringlich auf ihre Verantwortung hingewiesen zu haben. Der Schulleiter fürchte, so erklärt es die Lehrerin der kleinen Gruppe, es könnten ideologische Fronten aufgebaut werden. „Wir wissen doch, aus welcher Zeit dieser Spruch stammt!“, habe er gesagt und verlangt, die Lehrerin solle unbedingt darauf achten, dass das Thema ausschließlich sachlich und unter Berücksichtigung aller relevanten Fakten angegangen werde. „Bedenken Sie bitte, in welcher Stadt wir leben“, habe der Schulleiter ihr noch mit auf den Weg gegeben.
Bobi beobachtet fasziniert, wie sich die heute smaragdgrünen Steine von Frau Zylbersztajns Halskette bei jedem ihrer Worte sachte auf der braunen Haut bewegen. Genau das würde er mit der Kamera aufzeichnen, wenn er eine hätte, überlegt er.
Manuel lacht laut auf:
„Verantwortung!“, sagt er. „Echt mal! Der Typ baut doch selber eine ideologische Front auf. Bedenken Sie, in welcher Stadt wir leben.“ Manuel kann die Stimme des Schulleiters fast perfekt nachahmen. „Hallo?“
„Ist doch Erpressung, oder?“, sagt Natalie. „Müssen Sie jetzt aufpassen, dass wir nichts gegen das Werk sagen?“
Frau Zylbersztajn zuckt die Achseln.
„Für mich heißt Verantwortung übernehmen, dass ich euch zur Verfügung stehe, wenn ihr mich braucht. Das heißt, ich werde euch Hilfestellung leisten, wenn nötig. Aber ich werde euch nicht reinreden. Und euch auch nicht sagen, wie ihr vorgehen müsst.“
„Okay“, sagt Manuel gedehnt.
Bobi sagt nichts. Aber er ist schwer beindruckt. Im Klartext heißt das, egal, was sie machen, sie steht hinter ihnen. Wenn Frau Zylbersztajn das wirklich so meint, ist das groß. Ob das an dem Thema liegt? Weil sie das auch so sieht?
Frau Zylbersztajn fährt fort:
„Ihr habt euch da ein Riesenthema vorgenommen. Seht zu, dass ihr es ein bisschen eingrenzt, sonst verzettelt ihr euch hoffnungslos. Möglicherweise wollt ihr auch einen persönlichen Bezug herstellen – es ist ja schließlich ein Thema, das sehr polarisiert, wie ihr ja schon in eurer Klasse bemerkt habt.“
Amal nickt nachdenklich.
„Abgesehen vom Inhalt müsst ihr natürlich eine Form finden, wie ihr eure Fakten zusammenstellt, wie ihr sie präsentiert.“
„Ich hab schon eine Idee“, sagt Natalie fröhlich und holt aus ihrer Tasche eine kleine Kamera.
„Du willst einen Film machen?“, fragt Bobi. „Geil.“
„Genau! Wozu haben wir denn den Kurs im letzten Jahr gemacht?“
„He, he, mal langsam“, sagt Manuel. „Wie soll denn das gehen? Ich hab von Film keine Ahnung. Du, Amal?“
Amal schüttelt den Kopf.
„Das macht doch nichts“, antwortet Natalie. „Also, die technischen Sachen, die können Bobi und ich. Er die Bilder, ich den Ton. Das können wir. Die Kamera hab ich mir schon vom Medienwart ausgeliehen, die Sachen für den Ton kriege ich auch. Was wir aufnehmen, das können wir doch alle zusammen überlegen und so? Oder?“
„Müssen wir das jetzt schon entscheiden?“, fragt Manuel.
„Lasst euch Zeit“, sagt Frau Zylbersztajn. „Denkt in Ruhe darüber nach. Als eine Option. Aber bevor ihr weiterdiskutiert, müssen wir noch ein paar Sachen klären.“
Es geht um Termine für Zwischenberichte, Fertigstellung, mündliche Prüfung und um die Benotung der Arbeit. Denn natürlich werden sie benotet, und zwar alle gemeinsam, und diese Note geht in die Gesamtnote von Ethik und von Geschichte ein.
„Eh, das ist aber ungerecht!“, braust Manuel auf. „Ich kann mir doch nicht von euch meinen Durchschnitt versauen lassen!“
Manuel braucht gute Noten, weil er am Ende des Schuljahrs aufs Gymnasium wechseln will.
„Wer sagt denn, dass du nicht unseren versaust?“, gibt Natalie zurück.
Manuel bläst die Backen auf und schüttelt genervt den Kopf.
„Müsst ihr eben gut zusammenarbeiten“, sagt Frau Zylbersztajn lakonisch. „Das schafft ihr schon. Übrigens“, sagt sie und steht auf. „Ihr könnt gerne den Klassenraum zum Arbeiten benutzen, nach dem Unterricht.“
Mit diesen Worten lässt sie die vier allein.
„Also, ich bleib nicht länger in der Schule als nötig“, sagt Bobi. „Hier kann ich nicht arbeiten, hier schrumpft mein Hirn. Außerdem muss ich jetzt los. Gitarrenunterricht.“
Auch die anderen wollen auf keinen Fall in der Schule arbeiten.
„Bei uns im Restaurant?“, schlägt Bobi vor. „Mit Getränken?“
„Aber im Restaurant ist es doch viel zu laut. Wie sollen wir da Aufnahmen machen?“, meint Natalie und wedelt mit der Kamera.
„Hey! Wir müssen doch erst überlegen, ob wir überhaupt einen Film machen und so“, meint Amal und zieht die Stirn kraus. „Erst mal bei Bobi, find