Der tote Rottweiler. Heike Brandt

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Название Der tote Rottweiler
Автор произведения Heike Brandt
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783948675721



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Womit denn? Hast du eine Freundin?“

      Er grinst breit.

      „Quatsch!“, antwortet Julikas Vater und fährt sich mit der Hand über die hellen Bartstoppeln in seinem Gesicht. „Aber es gehen so eigenartige Gerüchte um. Von wegen illegalen Verkäufen und so. Ist natürlich nichts dran. Aber wer sich in sowas verbeißt … Gibt ja genug Idioten.“

      „Echt mal, Papa? Du glaubst, jemand hat Bello entführt“, sagt Julika. „Krass.“

      „Ach, was, vergiss es!“

      Ihr Vater winkt ab.

      „Trotzdem, lass uns jetzt nach Hause fahren.“

       2

      Bobi zeichnet. Die Unterlippe über die Oberlippe geschoben blickt er immer wieder kurz nach vorne, dann auf seinen Zeichenblock. Mit knappen Strichen skizziert er die neue Klassenlehrerin, Frau Zylbersztajn.

      Die Frau hat es ihm angetan, vom ersten Moment an. Sie ist zierlich, nicht sehr groß, aber auch nicht wirklich klein, das kurze, dunkelblonde Haar liegt wie eine Kappe auf ihrem Kopf. Die eigenartig hellen Brauen schwingen sich wie Halbmonde über tiefbraune, warm leuchtende Augen. Nase und Lippen ebenmäßig, unauffällig. Das Gesicht sonnengebräunt und ungeschminkt. Um den Hals hängt eine Kette aus weinrotschimmernden, runden, glatten Steinen.

      Am Anfang hat Bobi noch zugehört, wie sie der Klasse, die im Stuhlkreis sitzt, das im 10. Schuljahr anstehende Kompetenzprojekt vorstellte: Sie sollen in kleinen Gruppen fächerübergreifend ein Thema erarbeiten, die Ergebnisse in einer Präsentation darstellen und das dann in einer mündlichen Prüfung diskutieren.

      Die Themenwahl ist frei, dennoch muss das Thema von der Schulleitung genehmigt werden. Von wegen frei, hat Bobi gedacht, und außerdem ist das bestimmt nichts weiter als eine sinnlose Sammlung von Fakten und Daten, die man genauso gut im Internet findet, copy and paste, das kann er schon. Also schaltet er ab und konzentriert sich aufs Zeichnen, wie immer sein Rettungsanker im Sumpf der tödlichen Langeweile der meisten Schulstunden. Früher hat er gehampelt, Faxen gemacht und deswegen oft Stress gehabt, aber im letzten Schuljahr hat er beschlossen, sich in die hinterste Reihe zu verkrümeln und sich einfach still mit dem zu beschäftigen, was ihn interessiert. Zeichnen zum Beispiel.

      Ein Jahr muss er noch durchhalten, dann ist Schluss mit Schule. Was er dann macht, weiß er noch nicht, nur was er dann nicht macht, das weiß er sicher: Er wird nicht versuchen, aufs Gymnasium zu wechseln, um Abitur zu machen. Und er wird ganz bestimmt keine Gastronomie-Ausbildung machen, wie sein Vater Xabier sich das wünscht, damit er später das Familien-Lokal übernehmen kann.

      Erstens, meint Bobi, braucht er keine Ausbildung, weil er schon in dem Laden mitarbeitet, seit er über den Tresen gucken kann, und zweitens findet er diesen Blickwinkel reichlich beschränkt. Er will raus in die Welt, möglichst weit weg von dem piefigen Kaff, in dem er groß geworden ist.

      Frau Zylbersztajn hat sich von der Klasse abgewandt und schreibt Vorschläge für Kompetenzprojekte ans Whiteboard: „Bionik – der Natur abgeschaut“ – „Der Wandel der Esskultur“ – „Kleider machen Leute“. Nichts für ihn dabei, stellt Bobi fest und will sich wieder seiner Zeichnung widmen, da hört er plötzlich die kratzige Stimme von Natalie:

      „Frau Zylbersztajn, ich hab ein Thema: Frieden schaffen ohne Waffen.“

      Frau Zylbersztajn nickt zustimmend und schreibt den Satz ans Whiteboard.

      „Hä? Was’n das für’n Scheiß?“, poltert Dennis.

      Der große, breitschultrige Junge, der auf seinem Stuhl mehr liegt als sitzt, blickt Natalie herausfordernd an.

      „Bisschen differenzierter bitte, Dennis“, beschwichtigt die Lehrerin. „Kennt jemand diesen Spruch? Schon mal gehört?“

      Reihum Kopfschütteln. Gelangweilte Gesichter.

      „Bestimmt was Christliches!“, meint Lara. „So was wie die andere Backe hinhalten oder so?“

      „Da ist was dran“, meint Frau Zylbersztajn. „Erklär doch mal, Natalie, wie du darauf kommst!“

      Sie nimmt auf dem freien Stuhl neben Dennis Platz.

      Natalie richtet sich auf, guckt für einen Moment auf den Boden, hebt entschlossen den Kopf, schiebt sich die hellen Haare, die sie auf der einen Seite lang, auf der anderen rappelkurz geschoren trägt, aus dem Gesicht und klemmt sie hinters Ohr. Ihre blaugrünen Augen funkeln angriffslustig.

      „Also“, sagt sie. „Den Satz habe ich zufällig gefunden, bei den Sachen von meiner Oma. Die ist gestorben, im Januar. Frieden schaffen ohne Waffen war die Überschrift vom Berliner Appell von 1982, in der DDR, das war so ein Flugblatt, keine Ahnung, ob meine Oma da mitgemacht hat. Ich hab dann rausgefunden, dass der Satz eigentlich aus der westdeutschen Friedensbewegung stammt, und das war schon ein paar Jahre früher, da sind viele Leute auf die Straße gegangen wegen dem Wettrüsten und …“

      Lautes Stöhnen in diversen Varianten. Unruhe.

      „Echt mal, wen interessiert denn das?“

      Natalie stutzt kurz, fährt dann aber unbeirrt mit etwas lauterer Stimme fort:

      „Okay, lange her. Ich will auch kein Geschichtsprojekt machen. Aber trotzdem. Heute sagen alle: Frieden schaffen mit Waffen, anders geht’s nicht. Aber ich glaube, das ist falsch. Frieden und Waffen – das passt einfach nicht. Das ist wie Feuer und Wasser. Funktioniert auch nicht.“

      Sie guckt sich um, als erwarte sie Beifall, erntet aber nur ungläubige Gesichter.

      „Heißt das, du willst, dass Waffen abgeschafft werden?“, fragt Timo verblüfft und kippelt mit dem Stuhl nach hinten.

      Natalie nickt energisch.

      „Geht’s noch?“

      Timo schüttelt den Kopf, sagt aber nichts weiter.

      „Eh, Natalie“, ruft Patrick. „Du weißt schon, wo du lebst, oder?“

      Er tippt sich mit dem Finger an die Stirn.

      „Was willst du damit sagen, Patrick?“, fragt Frau Zylbersztajn, sehr gelassen, aber bestimmt.

      Patrik hebt beide Hände und lässt sie auf seine Oberschenkel platschen.

      „Also echt, ist doch sonnenklar!“

      „Er will sagen“, übernimmt die kräftige Jennifer eifrig mit lauter Stimme, „der Ort, in dem wir leben, ist durch die Herstellung von Waffen groß geworden, und wir leben auch heute noch von der Herstellung von Waffen. Das willst du doch sagen, oder, Patrick?“

      Patrick nickt. Und nicht nur er. Jennifer fährt fort:

      „Und du willst sagen: Wir haben hier gerade 200 Jahre Waffenproduktion gefeiert, alle zusammen.“ Sie nimmt Natalie ins Visier: „Hast du das nicht mitgekriegt, Natalie? Das Stadtfest und alles?“

      „Genau!“, sagt Patrick und grinst breit. „Wir alle leben davon – und richtig gut! Du doch auch, Natalie. Deine Eltern arbeiten im Werk. Genau wie meine.“

      Natalie schluckt. Treffer. Aber bevor sie was sagen kann, ergreift wieder Dennis das Wort:

      „Okay, egal. Aber Waffen sind einfach wichtig, ohne Waffen geht’s nicht. Bundeswehr und Polizei – die brauchen doch Waffen, oder?“

      „Wirklich?“, meinte Natalie.

      „Guck dir doch die Welt an, eh!“, sagt Dennis genervt.

      „Eben! Genau deswegen!“, erwidert Natalie bestimmt. „Total im Eimer.“

      Dennis richtet sich auf und reckt Natalie seinen ausgestreckten Zeigefinger entgegen:

      „Klar braucht die Bundeswehr Waffen, wo lebst du denn? Und die Polizei auch. Sollen sie die vielleicht im Ausland kaufen und hier bei uns werden alle arbeitslos? Das ist doch total