Es gibt keine Wiederkehr. John Mair

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Название Es gibt keine Wiederkehr
Автор произведения John Mair
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783939483649



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von Wörtern ausströmen lässt – so wie Himmelsschreiben mit Rauch. Das Kabinett ist sich aber noch nicht einig; sie können sich nicht entscheiden, ob sie schreiben wollen: ‹Wir lieben die Deutschen, ehrlich› oder ‹Geschieht euch recht, ihr Faschisten-Bande›.»

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      Einer der Männer sagte: «Ihre Kontaktliste ist verschwunden, Sir, und auch von dem Geld für spezielle Ausgaben ist nichts zu finden. Alles andere scheint am Platz zu sein.» Ein Zweiter ergänzte: «Ich finde keine Fingerabdrücke, aber ich habe eine der Kugeln aus der Tür.» Der Dritte, ein hochgewachsener Mann mit breitem Kreuz in elegantem Anzug, forderte scharf: «Geben Sie mir die Kugel. Durchsuchen Sie die Wohnung gründlicher, und machen Sie weiter, bis Sie etwas Brauchbares gefunden haben. Aber keinen Lärm! Ich berichte an die Zentrale.» Er wandte sich zum Telefon, doch der erste Mann unterbrach ihn, respektvoll, aber bestimmt: «Bitte rühren Sie das Telefon nicht an, Sir, es könnte angezapft sein. Fünfzig Meter die Straße herunter gibt es eine Telefonzelle.» Der große Mann nickte wohlwollend. «Gut. Also machen Sie weiter.» Lautlos wie eine Katze glitt er durch die Wohnungstür.

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      Das Gespräch hatte sich der Politik zugewandt, und der Schnurrbart reagierte gereizter.

      «Die Roten? Kann die Roten nich ausstehn. Hab einen in der Offssiersmesse … Mieser Typ, trinkt nix, liest dauernd Bücher. Will sich bei den Kamraden einschleimen, aber die mögen ihn nich. Oh nein! Sie lieben Offssiere, die sie re…spektieren können … natürliche Autorität … sowas in der Art. Dieser Rote … alles eine Sorte, denkt nur ans Geld. Schwatzt immer von Lohn und Lehmshal…tungskostn, denkt an nix andres.»

      Er rülpste, erschöpft von seinem Vortrag. Desmond pflichtete ihm bei.

      «Ich weiß. Die Arbeiterklasse ist schlicht und einfach furchtbar. Hätten sie Badezimmer, würden sie darin Kohlen lagern, wenn sie denn Kohlen bekämen. Was haben sie getan, als sie nach dem letzten Krieg im Geld schwammen? Nun, sie kauften sich Konzertflügel, zündeten darunter ein Feuer an und nahmen darin ihr Bad.»

      Der Schnurrbart schob sein Gesicht nahe an Desmonds heran, sein Atem war Alkohol.

      «Sie sind ein Roter. Ich weiß es. Ich kann sie riechen.»

      «Die Roten würden Sie überall riechen, glaube ich.»

      «Wollen Sie mich beleidigen, heh? Sie wollen Prügel?»

      Er versuchte, sich aufzurichten, und wäre beinahe vornüber gestürzt. Seine Stimme klang breiig und wütend. Der Wirt gab seinem zweiten Barkeeper, einem stämmigen jungen Mann mit der Statur eines versoffenen Bauern, ein Zeichen, und der Mann steuerte ihre Ecke an. Desmond fand, es sei an der Zeit, sich zurückzuziehen.

      «Mag keine Roten», wiederholte der Schnurrbart. «Mag Sie nich!» Sein Schluckauf war unüberhörbar.

      Desmond fühlte, wie die Dunkelhaarige ihn sanft am Arm zog. Er beugte sich zu ihr.

      «Geben Sie ihm einen Stoß», verblüffte sie Desmond, «er kann nichts vertragen, das ist mit ihm los. Er braucht einen kräftigen Stoß.»

      Desmond hatte eine bessere Idee. Er fasste den Mann an der Schulter und drehte ihn herum.

      «Schauen Sie, da drüben steht einer Ihrer Freunde. Ich glaube, er will Ihnen einen Drink spendieren.»

      Der Schnurrbart torkelte und starrte mit glasigen Augen ins Durcheinander, während Desmond die beiden Mädchen an den Armen fasste und nach draußen zog.

      «Wo ist Jimmy? Wir haben Jimmy verloren!» kreischte die Blonde.

      «Keine Sorge; gehen wir anderswo hin. Taxi!»

      «Oh ja, Tisky, gehen wir! Ich hole Jimmy!»

      Ein Taxi hielt. Desmond schob die beiden rasch hinein und bat den Fahrer, sie zu einem netten und lauten Ort zu bringen.

      «Armer Jimmy! Er wird beleidigt sein», sagte die Blonde.

      «Erst durch Ferne wächst die Liebe», entgegnete Desmond.

      «Sie hätten ihm einen kräftigen Stoß geben sollen», sagte die Dunkle. «Er denkt nicht kreativ.»

      Die Vorstellung des Taxifahrers von etwas Nettem und Lautem entpuppte sich als ein Keller in der Nähe des Leicester Square, der wie ein Münchner Bierpalast aufgemacht war. In Friedenszeiten war man hier stolz aufs deutsche Ambiente, auf den Tisch kamen Frikadellen und zweierlei Arten Gemüse unter dem Namen Königsbürger Klops mit Brat Kart. und Wirsingkohl. Der Name machte das Gericht zwar nicht schmackhafter, rechtfertigte aber offenbar eine Verfünffachung des Preises. Seit dem Krieg jedoch gab man sich alle Mühe, das Dekor als austro-tschechisch durchgehen zu lassen; und das Tiroler Orchester intonierte gelegentlich den Sambre-et-Meuse-Marsch und die Marseillaise als Verneigung vor kontinentaler Feierkultur. Die Speisekarte hatte man ein wenig zu gründlich reformiert, sie enthielt jetzt Delikatessen wie Mitteleuropäische Wurst mit Sauerkraut à la Danubienne. Die Stammgäste des Lokals waren überwiegend sehr junge Offiziere der Luftwaffe, die offenbar gut miteinander bekannt waren.

      Die Blonde hatte ihren Jimmy inzwischen vergessen; sie demonstrierte jetzt ihr erstaunliches Vermögen beim Herunterkippen von Bier und beim Flirten mit Gruppen junger Männer aus fünfzehn Meter Entfernung. Ihre Freundin dagegen wollte übers Ewige reden.

      «Wissen Sie», erklärte sie sehr ernsthaft, «ich habe eine große Gabe, ins Innere der Menschen vorzustoßen.»

      «Mir geht es ähnlich. Mitunter müssen wir in andere Menschen eindringen.»

      Sie lehnte sich vor. «Ich spüre das Innere meiner Freundin, sie hat wirklich eine so liebenswerte Seele. Sie weiß, dass das Leben ein Geben ist, kein Nehmen – und sie gibt und gibt und gibt.»

      «Das habe ich gleich vermutet, als ich sie sah.»

      «Oh, da haben Sie eine Intuition! Sie haben die Augen eines Sehers! Was war denn Ihr erster Eindruck von mir?»

      Desmond betrachtete sie nachdenklich.

      «Sie sind hochsensibel und musisch veranlagt. Sie hatten eine unglückliche Kindheit, weil Sie vieles intensiver empfunden haben als andere. Sie besitzen ein sehr gesundes Selbstbewusstsein, scheuen sich aber, das zu zeigen aus Sorge, Sie könnten andere verletzen. Und Sie haben eine große Schwäche – manchmal hindert Ihre Großzügigkeit Sie daran, Ihren eigentlichen Zielen im Leben nachzugehen. Mehr habe ich, glaube ich, nicht gesehen.»

      Sie starrte ihn an.

      «Aber Mr. Tisket, das ist ja wunderbar! Ich bin noch nie einem Menschen begegnet, der mich so gut verstanden hat.»

      Er wischte sich die Nase im Taschentuch ab.

      «Ich habe bei Duleepsinghi Astrologie studiert. Vielleicht ist das die Erklärung.»

      Er zog sich in ein behagliches Wachkoma zurück und lauschte den weitschweifigen und zweifellos hochinteressanten Schilderungen aus dem Leben der Dunkelhaarigen.

      Um Mitternacht packten die Tiroler ihre Instrumente zusammen, und Kellner umkreisten die Tische und brachten alle Bierkrüge an sich, die nicht mehr verteidigt wurden. Mittlerweile war Desmond wieder mit sich und der Welt im Allgemeinen versöhnt, und so stimmte er gern zu, als die Blonde vorschlug, man möge noch irgendwo hingehen. Draußen auf der Straße streifte ihn noch ein letzter Gedanke, der zur Vorsicht mahnte: Kaum ratsam, womöglich auf eine Bottle-Party zu gehen – mit mehreren Hundert Ein-Pfund-Noten in der Tasche. Wo konnte er die verstecken? Vergnügt lächelte er über seinen eigenen schlauen Einfall, er dirigierte das Taxi zum Postamt am Leicester Square und bat die Mädchen, im Wagen auf ihn zu warten, weil er noch einen wichtigen Brief abzuschicken hätte. Drinnen besorgte er sich den größten verfügbaren Umschlag, schloss sich in eine Telefonzelle ein und zählte sein Geld. Es waren fast dreihundert Pfund-Noten, zweihundertfünfzig davon steckte er in den Umschlag. In einer seiner Taschen fand er Annas Tagebuch, er schaute flüchtig