Название | Es gibt keine Wiederkehr |
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Автор произведения | John Mair |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783939483649 |
Einen Moment herrschte Stille, dann rief eine nervöse mittelalte Männerstimme:
«Hallo, ist da oben alles in Ordnung?»
Stille. Nun nörgelte eine Frauenstimme:
«Komm endlich herein, Jack, und schließ die Tür. Was oben passiert, geht uns nichts an.»
«Liebes, ich bin mir sicher, einen Knall gehört zu haben. Ich sollte wohl besser einmal nachschauen, was los ist.»
«Du willst also nachschauen, ob es Miss Raven gut geht? Ich kenne dich doch! Glaubst wohl, ich hätte nicht bemerkt, wie du ihr die letzten Monate im Treppenhaus schöne Augen gemacht hast? Komm sofort rein und denk dran: Du bist ein verheirateter älterer Mann.»
«Ich bin kein älterer Mann! Ich bin in den besten Jahren!»
«Beste oder nicht, komm sofort zurück und schließ die Tür; der Durchzug ist unerträglich.»
«Es dauert keine Minute, Liebes, aber ich meine, ich sollte doch kurz nach dem Rechten sehen.»
Desmond hörte, wie Pantoffeln in Richtung Treppenabsatz schlurften. Er lag angespannt da und schob die Waffe nach vorn. Da durchbrach die Frauenstimme sehr entschieden die Stille:
«In Ordnung, wenn du nach oben gehst, komme ich mit! Wir beide können Miss Raven fragen, wie es ihr geht.»
Die Pantoffelschritte hielten inne, und die Männerstimme resignierte:
«Also gut, meine Liebe, ich denke, du hast recht. Ich bin sicher, oben ist alles in Ordnung; in ein paar Minuten beginnen die Nachrichten, und die wollen wir doch nicht verpassen.»
Die Tür fiel ins Schloss. Desmond schlich zurück ins Apartment, er schloss die Tür und schob den Riegel vor. Jetzt erst stand ihm die Gefahr, die er soeben überstanden hatte, in aller schockierenden Deutlichkeit vor Augen, und ihm wurde übel. Er torkelte ins Bad und kniete minutenlang würgend vor der Toilettenschüssel. Sobald er sich wieder besser fühlte, kehrte er ins Wohnzimmer zurück, er streifte sich die Handschuhe über und begann mit einer systematischen Durchsuchung. Der Papierkorb? Leer. Der Schreibtisch? Die Schubladen waren verschlossen, doch die Schlüssel lagen oben auf der Tischplatte, wo Anna sie hingelegt hatte. Also zog er die Schubladen auf und schaute den Inhalt flüchtig durch, wobei er ihn auf dem Fußboden ausbreitete. Alles war ungemein ordentlich – Bündel mit Briefen, zusammengehalten von Bindfäden in verschiedenen Farben; quittierte Rechnungen, Notizbücher voller Zahlen, offenbar Listen mit Ausgaben. Einige Dinge überraschten Desmond ein wenig: Anna besaß einen amerikanischen Pass; und sie musste polyglott gewesen sein, denn sie verwahrte Dokumente in den verschiedensten Sprachen – aber Desmond fehlte die Zeit, seine Neugierde zu stillen. Einen Augenblick hielt er sich noch bei einer Schublade auf, die mit Buchkatalogen gefüllt war; ihn überraschte, dass eine Dame, deren Buchbestand aus einem halben Dutzend Nachschlagewerken bestand, all diese Kataloge offenbar sehr sorgfältig durchgesehen und mehrere Einträge angestrichen hatte. Nur sein Telegramm fand er nirgends.
Er suchte nach weiteren Verstecken und erinnerte sich an ihre Handtasche. Darin fand er einen Lippenstift, einen Spiegel, eine goldene Puderdose und ein großes Bündel abgenutzter Ein-Pfund-Noten. Grob geschätzt waren es mehrere Hundert, und so weit er das beim hastigen Durchblättern beurteilen konnte, stammten sie alle aus unterschiedlichen Serien; vielleicht waren sie sorgsam ausgewählt worden, damit man einen eventuellen Diebstahl nicht zurückverfolgen konnte. Diesen Schatz stopfte er sich in die eigenen Taschen, und schlagartig fühlte er sich kühner. Nie zuvor hatte er so viel Bargeld besessen, und er verspürte jetzt das gleiche Gefühl von Macht und Sicherheit, das einen Wilden ausfüllen mag, der nach einer gut gearbeiteten Waffe greift. Er dachte: «Ich wüsste doch nur zu gern, was Anna mit all dem anfangen wollte? Vielleicht war sie ja spielsüchtig.»
Er empfand ein seltsames Hochgefühl, und während er seine Suche fortsetzte, summte er vergnügt einige Melodien. Irgendwo hatte er gelesen, dass Frauen ihren geheimsten Besitz gern zwischen der Unterwäsche verstecken, und so durchwühlte er Annas Schlafzimmer besonders gründlich. Unter ihrer unscheinbaren Oberfläche hatte sie einen geradezu exotischen Geschmack kultiviert, und obwohl Desmond sich stets im Stillen über ihre Vorliebe für außergewöhnliche und teure Unterwäsche amüsiert hatte, die eher in ein Pariser Schaufenster gehörte als an einen menschlichen Körper, erstaunte ihn jetzt wieder der Gegensatz zwischen der Strenge ihrer Kleider und dem üppigen Luxus darunter. Ganz zum Schluss ertastete er hinten in ihrer Nachttischschublade etwas Festes und zog es hervor. Es war ein Buch: eine preiswerte lateinische Ausgabe der Aeneis, in der einige Zeilen unterstrichen waren. Irgendwie schien ihm dahinter ein bedeutsames Geheimnis zu stecken, deshalb riss er den Buchblock aus dem Einband und zog das Vorsatzpapier ab, hinter dem etwas versteckt sein mochte. Er fand aber nichts.
Also schlenderte er zurück ins Wohnzimmer. Neben dem Kamin blieb er stehen und kaute an seinen Fingernägeln. Plötzlich überkam ihn eine große Erleichterung, und er lachte hysterisch.
«Da habe ich mir aber etwas Schönes eingebildet», dachte er. «Warum zum Teufel sollte sie mein Telegramm denn überhaupt aufbewahren? Und es womöglich noch im Schreibtisch einschließen oder zu ihrer Unterwäsche legen? Sie wird es gleich nach dem Lesen ins Feuer geworfen haben.»
Desmond kniete nieder und stocherte in den verglimmenden Kohlen, entdeckte aber keine Spur von Papier, sondern nur reichlich Asche. Was immer sie hineingeworfen hatte, musste längst verbrannt sein. Er erhob sich also wieder, um noch ein allerletztes Mal rasch durchs Apartment zu schauen und dann so leise wie möglich zu verschwinden.
Mit lang anhaltendem und unregelmäßigem Summen klingelte das Telefon.
Desmond verharrte regungslos, sein Herz hämmerte, und in seinem Schädel pochte eine Ader. Er hoffte, das Summen werde enden, doch der Ton blieb hartnäckig. Desmond überkam die schreckliche Vorstellung, Anna könne aufstehen und ans Telefon gehen, falls es nur lange genug läutete. Ein unwiderstehlicher Zwang drängte ihn, den Hörer abzuheben, nur um das Läuten zu beenden, und wie unter Hypnose näherte er sich bereits dem Schreibtisch, als der Ton schlagartig verstummte.
Jetzt war keine Zeit mehr zu verschwenden. Er wusste, dass ein unregelmäßiger Ton auf ein Ortsgespräch schließen ließ: Der Anrufer konnte also durchaus in einer Telefonzelle draußen vor dem Haus stehen und hinaufkommen, um nach dem Rechten zu sehen, da niemand an den Apparat ging.
Er löschte das Licht, zog die Wohnungstür hinter sich zu und ging behutsam die Treppe hinab, die Pistole in der Hand. Als er den Treppenabsatz im Erdgeschoss erreicht hatte, klingelte das Telefon wieder. Selbst draußen auf der Straße, eingetaucht in Dunkelheit, glaubte er den Ton noch ganz leise zu hören, immer und immer wieder.
DRITTES KAPITEL
Draußen im Dunkeln fühlte Desmond sich mutterseelenallein. Hinter ihm lag die Erinnerung an etwas, das er nicht an sich heranlassen wollte; vor sich sah er nur Angst, quälendes Warten und Rechtfertigungsversuche. Ginge er jetzt nach Hause, fände er dort einen gemütlichen Sessel und allerlei Bücher, die Tröstungen der Schönheit, Vernunft und Philosophie bereithielten. Nach kurzem Zögern schob er sich durch die Pendeltür ins Jolly Conscript.
Die Stimmung in der Kneipe war so heiter wie stets. In einer Ecke verteidigte ein junger Unteroffizier den Wert der Keuschheit gegen den derben Humor einer älteren Dirne, und er sah nicht gut dabei aus. In einer anderen Ecke hockten drei Männer in schwarzen Mänteln, die ihnen bis zu den Knöcheln reichten, sie tranken Whiskey und warfen sich aus den Mundwinkeln bedeutungsschwere Worte zu. Am Flipperautomat redeten ein indischer Student und seine hochschwangere blonde Frau auf einen begriffsstutzigen tschechischen Flüchtling ein und ließen ihn wissen, Freud, Marx und Einstein seien eigentlich nur verschiedene Ausprägungen der einen Lebenskraft – und ein italienischer Bauer sei klüger als alle drei zusammen. Ein Glatzkopf spielte Klavier, und zwei lesbische Frauen würdigten einen bedauernswerten Angestellten keines Blickes, der soeben versucht hatte, sie auf einen Drink einzuladen. Ein Besserwisser dozierte über den entscheidenden Sieg im Krieg: Man müsse lediglich ins Zentrum Chinas vorstoßen