Название | Es gibt keine Wiederkehr |
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Автор произведения | John Mair |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783939483649 |
Desmond wurde zornig. «Verfluchter Platon! Und ich habe Jahre darauf verschwendet, einen ungerechten alten Bastard wie ihn zu bewundern!» Er begann, eine Seite nach der anderen aus dem Buch zu reißen, wobei er auf jeder einen Satz las, dann in ein spöttisches Lachen ausbrach und die Blätter ringsum im Zimmer verstreute. Schließlich stieg Übelkeit in ihm auf wie Blasen im Treibsand, und er stolperte ins Bad und übergab sich. Sobald sein Magen sich beruhigt hatte, warf Desmond sich aufs Bett, um zu schlafen, bevor die Übelkeit wieder einsetzte.
Als er am Morgen erwachte, fühlte er sich steif und ermattet wie ein gescheiterter Bergsteiger. Nase und Rachen waren verschleimt, und sein Hemdkragen schnürte ihm den Hals zu. Er stand auf, immer noch ein wenig unsicher, und tappte ins Wohnzimmer hinüber, wo Teppiche verrutscht schienen, ein Tintenfass umgestoßen lag und die ausgerissenen Seiten der wunderschönen Platon-Ausgabe den Boden bedeckten. Warum er dies angerichtet hatte, fiel ihm nicht mehr ein, er war noch zu erschöpft; auch an Anna erinnerte er sich erst, als er den Wasserhahn der Badewanne aufdrehte. Die Erinnerung belastete ihn freilich kaum: Sie war fern und bereits verblasst, so als gehörte sie zu einer längst abgetanen Epoche der Geschichte.
Der Tag im Büro verlief rundum unerfreulich. Desmond, kränklich und von heftigen Kopfschmerzen gequält, hielt sich nur mit Mühe wach, und seine Sekretärin war dermaßen erkältet, dass sie unablässig schniefte, da sie es nicht wagte, ihre Nase mit jenem wenig damenhaften Nachdruck freizuputzen, welchen der Grad der Verschleimung erfordert hätte. Alle paar Minuten sammelte sich ein kristallklarer Tropfen am Rand eines Nasenlochs, und jedesmal beobachtete Desmond ihn mit der matten Angespanntheit eines Spielsüchtigen und wettete gegen sich selbst auf das weitere Anwachsen des Tropfens und dessen vermutete Verweildauer. Druckfahnen wurden hereingereicht, das Telefon läutete und die zehn Stockwerke dieses intellektuellen Produktionsbetriebs liefen auf Hochtouren. Desmond dachte sehnsüchtig an seine Reise nach Missenden am kommenden Wochenende; ein wenig spielte er mit dem Gedanken an einen nervösen Zusammenbruch und ein paar herrlich entspannte Wochen in Irland oder Südfrankreich. Schließlich schüttelte er die Träumereien ab und holte sich ein Glas Wasser.
Nach dem Mittagessen fühlte er sich schon besser, und nun durchsuchte er die Morgenzeitungen sehr gründlich nach einer Meldung über Anna. Er fand nichts; und obwohl der gesunde Menschenverstand ihm nahelegte, dass eine Verzögerung keinen Unterschied ausmachte, sagte ihm ein Instinkt, seine Chancen stünden besser, je länger der Leichnam unentdeckte bliebe, und so hob sich seine Stimmung. Die Rückkehr der Lebensgeister erfolgte im rechten Moment, denn um drei Uhr kehrte Mr. Poole aus seinem Club zurück, in sehr pedantischer Laune.
«Also wirklich, Thane, ich wünsche einfach nicht, dass Sie sich sarkastisch über ernsthafte Dinge auslassen! Was sollte dieser alberne Untertitel in Captain Thompsons Beitrag über die Offensivkraft der deutschen Armee?»
Er wühlte in einem Stapel mit Druckfahnen und fischte triumphierend ein Blatt heraus. «Hier ist es! ‹Träumt nicht den Traum von Maginot›. Was soll das heißen? Heute morgen bekam ich einen Aktenvermerk von Mr. Pink, und der ist ganz meiner Meinung: ‹Was soll das heißen?›»
«Ich dachte nur …», begann Desmond, doch er fühlte sich zu müde für eine Debatte. «In Ordnung», lenkte er erschöpft ein, «ich ändere das. Wie wäre es mit ‹Hitlers Militärmaschine: die wahren Fakten›?»
Mr. Pool schien zufrieden. «Das ist besser, das ist ein guter Titel. Ich mache noch einen echten Journalisten aus Ihnen, wenn Sie nur dieses intellektuelle Zeug hinter sich lassen. Als junger Mann war ich genau wie Sie; ich wollte immer besonders clever sein, aber ich war nicht vernünftig. Und dann erkannte ich eines Tages, dass ich mich für ein fröhliches Bohemienleben entscheiden müsste oder für den Neun-Uhr-Zug jeden Morgen und einen anständigen Beruf. Meine Entscheidung habe ich nie bereut. Sie haben das Zeug dazu, Thane; ich weiß, dass Sie tief drinnen ganz vernünftig sind.»
‹Der Morgen und der Morgen und der Morgen … Das Märchen eines Narren voller Lärm und ohne Wut, und es bedeutet nichts›, dachte Desmond.
Mr. Poole schwatzte weiter.
«Ihr jungen Männer seid doch alle gleich – versucht immer clever zu sein. Nehmen wir mal die Rezensionen, die Sie früher geschrieben haben, sehr kluges Zeug natürlich, keine Frage, aber scharf und unausgewogen. Als ich noch Redakteur beim Montreal Chronicle war, sagte ich meinen Rezensenten immer: ‹Ist ein Buch schlecht, rezensieren Sie es nicht. Wenn Ihnen das Buch, das ich Ihnen schicke, keine Freude bereitet, schreiben Sie gar nichts darüber. Denken Sie immer daran: Schweigen ist die stärkste Form von Verachtung.› Ich habe ihnen beigebracht, dass der Rezensent das Bindeglied zwischen Autor und Leser darstellt, und je weniger eigene Vorurteile er zeigt, desto besser.»
«Das schwächste Glied wäre demnach eines, das den Autor und den Verleger nicht in Frieden lässt?» bemerkte Desmond.
«Thane, Thane, was machen wir nur mit Ihnen! Immer zynisch, niemals ernsthaft! Ich denke da an meinen alten Freund Max – Lord Beaverbrook –, der sagte zur mir …» Desmond schaltete ab. Wer wie ein tibetanischer Heiliger oder ein schlechter Soldat im Stehen schlafen konnte, brauchte Langeweile nicht zu fürchten, wenn Mr. Poole in Fahrt kam.
Desmond lehnte sich gegen ein Bücherregal und ignorierte Mr. Pooles Vortrag über die eigene Großartigkeit. Plapperte dieser Mann von den Geisteswissenschaften, schien das so absurd und provokant wie ein kurzsichtiger Professor mit dünnen Ärmchen, der seinen Kollegen das altnordische Schwingen einer Axt demonstriert – oder wie ein offensichtlich im Sterben liegender Schwindsüchtiger, der die politischen Fragen des kommenden Jahres bespricht. Desmond fand Mr. Pooles Unfähigkeit derart offensichtlich, dass Poole selbst sich darüber im Klaren sein musste; jeder Kommentar zu seinen Ausführungen käme daher einer herablassenden Kränkung gleich. Desmond kannte diese Ratlosigkeit von gelegentlichen Versuchen, einer unattraktiven Frau zu schmeicheln; er war dann errötet beim bloßen Gedanken an die Peinlichkeit, falls sie ihn als Heuchler und Lügner zurückgewiesen hätte. Allerdings wissen Menschen dort, wo sie Stärken haben, auch um eigene Grenzen und Unzulänglichkeiten; was ihnen vollkommen abgeht, ist ihnen selten bewusst. Wenn also jemand in ernstem Ton versichert hätte, er, Desmond, besitze die Augen eines Mystikers oder die Waden eines Marathonläufers, hätte Desmond ihm wahrscheinlich geglaubt – und den Schmeichler deshalb besonders geachtet.
Um vier Uhr öffnete ein Junge die Tür und warf die Abendzeitung hinein. Desmond verrenkte seinen Hals, bis er die Überschriften lesen konnte:
DEUTSCHES FLUGZEUG VOR SHETLAND ABGESTÜRZT; VORLÄUFIGES SCHEIDUNGSURTEIL FÜR BARONIN; FRAU TOT IM APARTMENT. Desmond erstarrte und beugte sich vor:
FRAU TOT IM APARTMENT
Am heutigen Morgen wurde der Leichnam einer Frau, deren Name vermutlich Anna Raven lautet, in einem Apartment am Bedford Square aufgefunden. Der Tod trat vermutlich infolge einer Strangulation ein. Der Polizei liegen eine Reihe von Hinweisen vor; im Zusammenhang mit dem Verbrechen bittet man eine männliche Person, sich für eine Befragung bereitzuhalten.
Desmond spürte, wie er erbleichte, und stützte sich mit der Hand auf den Schreibtisch. Natürlich, sie schrieben immer etwas in dieser Art; sie konnten ihn unmöglich aufgespürt haben. Das half aber nichts; der elende Pressetext hatte ihm den Mord wieder vor Augen geführt – die Tat war nun «amtlich», und er wusste, dass sie sich wirklich zugetragen hatte. Er fürchtete plötzlich eine nahende Ohnmacht. Da wurde auch Mr. Poole aufmerksam.
«Fehlt Ihnen etwas, Thane? Sie sind ja bleich wie ein Gespenst.»
«Alles in Ordnung, vielen Dank; ich fühle mich nur ein wenig schwach, ich glaube, ich hole mir etwas Wasser, wenn Sie nichts dagegen haben; es ist wirklich alles in Ordnung.»
«Setzen Sie sich hin, Miss Prestwood wird Ihnen Wasser bringen. Beugen Sie Ihren Kopf nach unten – nein, noch tiefer –, dann werden Sie sich gleich besser fühlen.»
Mr. Poole rang mit sich; seine natürliche Freundlichkeit kämpfte gegen seine Pflichten als Arbeitgeber.