Название | Es gibt keine Wiederkehr |
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Автор произведения | John Mair |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783939483649 |
Eine ganze Stunde lang plauderten sie beiläufig und unpersönlich. Schließlich blickte sie ihm direkt in die Augen und sagte:
«Es ist spät. Ich muss gehen.»
«Darf ich Sie vielleicht nach Hause begleiten?»
Sie schwieg einen Augenblick. «Ja», erwiderte sie dann ganz langsam in ihrem pedantischen Englisch, «ich wäre Ihnen wirklich sehr verbunden.»
Desmond verspürte plötzlich das Flackern eines Zweifels: nicht das flüchtige Gefühl von Langeweile und ermüdenden Selbstzweifeln, die er schon so oft in vergleichbaren Situationen erlebt hatte, sondern eine blitzartige Vorahnung künftiger Komplikationen, so wie ein Kopfschmerz dem nahenden Gewitter vorauseilt. Er schob seinen Stuhl geräuschvoll zurück und half ihr in den Mantel.
Im Taxi schwiegen beide. Sie rückte nicht nahe an ihn heran, lehnte sich aber auch nicht zur Seite, sondern saß ganz einfach und ungezwungen neben ihm. Ihre Hand ruhte auf dem Sitz zwischen ihnen, und nach einer Weile legte er die seine darauf und streichelte ihre Finger. Sie blieb vollkommen desinteressiert und unbeteiligt, sodass Desmond, der diese Haltung passiven Widerstands gelegentlich selbst angewandt hatte, aber von Frauen nicht gewohnt war, sich zunächst ein wenig ärgerte und schließlich wirklich ratlos schien. Anna war nicht kalt, sondern ruhig; nicht distanziert, sondern eher gedankenverloren. Ihm war, als habe er Buddha anstößige Avancen gemacht. Er räusperte sich und sagte:
«Ich glaube, der Taxameter beweist als einzige Uhr tatsächlich, dass Zeit Geld ist. Wenn Big Ben nach dem gleichen Prinzip funktionierte und den Staatshaushalt in Tausenderschritten zählte, würde sich die Wählerschaft vermutlich viel mehr für die Politik der Regierung interessieren.»
Sie schwieg weiter, und er fühlte sich so unbeholfen und lächerlich wie schon seit vielen Jahren nicht mehr.
Sie hielten an einem Platz in Bloomsbury vor einem großen Haus, dessen Inneres man in kleine Apartments unterteilt hatte. Der Wein, den Desmond getrunken hatte, war inzwischen vollständig verflogen, und während er nach Geld suchte, um den Fahrer zu bezahlen, hatte er das Interesse an diesem vermeintlich vielversprechenden Abenteuer bereits verloren, und er war entschlossen, sich auf der Außentreppe zu verabschieden. Doch als er sich umwandte, hatte Anna bereits die Haustür geöffnet und wartete im matten blauen Licht der Vorhalle auf ihn. So verzog er nur das Gesicht und folgte ihr nach oben.
Ihr Apartment war klein und nach konventionellem Geschmack komfortabel ausgestattet. In dieser Art hätte man das Mobiliar auch gut telefonisch bei irgendeinem teuren Laden in Auftrag geben können: Die Möbel wirkten ansehnlich, deuteten aber in keiner Weise auf persönliche Vorlieben hin. Diese Ausstattung verhielt sich zu wirklich gutem Geschmack wie das Menü eines großen Hotels zu einem wirklich guten Essen: Alles schien einfach und ordentlich für eine gut situierte Person arrangiert zu sein, die für Häuslichkeit absolut nichts übrig hatte. Das einzige markante Objekt im Raum war ein großer schwarzer Schreibtisch am Fenster, der auf merkwürdige Weise vom femininen Regency-Stil aller übrigen Stücke abstach. Der Tisch störte auf irritierende Weise, wie eine Bühnenrequisite, die sich ins falsche Stück verirrt, oder wie ein Zimmermannshammer, den jemand in einem fertig dekorierten Schaufenster vergessen hat.
Anna wandte sich nach ihm um. «Möchten Sie einen Brandy?»
«Danke, sehr gern.»
Sie reichte ihm ein Glas und ließ sich auf dem Sofa am Kamin nieder, wo sie sich eine Zigarette anzündete.
«Nehmen Sie selbst keinen?»
«Nein, hier trinke ich nie. Ich habe ihn nur für meine Gäste.»
Die Antwort verwirrte ihn, doch ihr Ton verwehrte weitere Fragen. Nach kurzem Zögern nahm er neben ihr Platz, legte seinen Arm um ihre Schultern und küsste sie auf den Mund. Ihre Lippen waren so kalt, dass die Wärme ihrer Zunge beinahe etwas Obszönes hatte; und als sie sich zurücklehnte, wobei sie ihn weder von sich stieß noch seine Küsse erwiderte, schien sie wie unter Drogen oder schlafend. Er ließ seine Hand den Rücken ihres Kleides hinabgleiten, dann berührte er ihre kleinen Brüste. Ihre Brustwarzen wurden unter seinen Fingern fester, sie selbst bewegte sich aber nicht, und ihr Atem blieb unverändert. Als er ihre Lippen wieder freigab, nahm sie erneut einen Zug aus ihrer Zigarette.
Er fühlte sich wie der ratlose Fachmann, der sich vorsichtig an eine ganz neue Art von Bombe herantastet und nach der Zündkapsel sucht. Ein Blindgänger womöglich, dachte er und unterdrückte ein Kichern. Sein Arm lag unbequem und verkrampfte sich, aber da Anna ihre Haltung ein wenig geändert hatte, konnte er die Hand nicht zurückziehen, ohne sie dabei nach vorn zu stoßen. Zum zweiten Mal an diesem Abend fühlte er sich unwohl, und so etwas mochte er nicht. Keiner von ihnen sagte ein Wort, und schließlich erhob er sich rasch.
«Wo habe ich eigentlich mein Glas abgestellt?»
Auf dem Weg zum Kaminsims blickte er in den Spiegel und sah, wie Anna ihn mit einem neugierigen Lächeln betrachtete, doch als er mit dem Glas in der Hand umkehrte, hatte sie sich wieder zurückgelehnt und ihren abwesenden Gesichtsausdruck angenommen.
Ein Spiel also, oder etwa nicht? Oder eine Gefühlsperversion, eine höhere Form von Masochismus – Vergnügen durch Passivität zu verhindern? Sogleich spürte er, überrascht, eine Welle der Zuneigung: Er hatte sein Selbstvertrauen wiedergefunden. Aber nun war sie am Zug: Wollte sie spielen, musste sie jetzt einen Zug anbieten. Er blieb vor ihr stehen, schaute auf sie herab und schwieg entschlossen.
Sie erhob sich.
«Ich bin müde und muss ins Bett», sagte sie und zog einen Vorhang zurück, der zunächst nur eine Bettnische abzutrennen schien, doch dann betrat sie ein großes Schlafzimmer.
Erneut war Desmond verunsichert, zögernd bewegte er sich auf die Tür zu.
«Ja, es ist ziemlich spät. Ich bin selbst sehr müde, ich muss morgen früh zur Arbeit.»
Sie antwortete nicht, kehrte ihm aber den Rücken zu und streifte ihr Kleid ab. Sofort kehrte Desmond um und fasste sie bei den Schultern. Kaum hatte er sie berührt, wandte sie ihm das Gesicht zu, sie schlang einen Arm um seinen Hals und zog seinen Mund zu sich herab. Mit der freien Hand fingerte sie an seinen Hemdknöpfen.
«Zündkapsel», sagte er.
Beide lachten.
Während der ersten Monate verlief ihre Beziehung so zufriedenstellend, wie ein abgeklärter Genussmensch sie sich nur wünschen konnte. Sie teilten gemeinsame Vorlieben, sie erhoben keinerlei Ansprüche auf den anderen, und als Geliebte erwies Anna sich als einfühlsam und raffiniert und von einer stets anziehenden Sinnlichkeit, die ohne Leidenschaft auskam. Desmond jedoch, trotz aller intellektuellen Wertschätzung einer solchen Affäre, wurde dieser vollendeten und doch kalten Erotik rasch überdrüssig; ihm fehlten jene Gefühle, die er nach außen hin verabscheute. So wuchs in ihm, wonach er sich sehnte: Während die Lust dahinging, keimte die Zuneigung, und er verliebte sich in eine Frau, deren körperliche Reize er nicht mehr empfand. Nun interessierte er sich für Annas Leben und ihre persönlichen Dinge; was er dabei erfuhr, missfiel ihm zwar, doch das änderte nichts an seinem Verlangen, sie voll und ganz zu besitzen. Man hört gelegentlich von jenem Typus von Mann, der alles zerstört, was er liebt – doch gibt es auch jene, die zwanghafte