Detektiv Dagobert. Balduin Groller

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Название Detektiv Dagobert
Автор произведения Balduin Groller
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783962818814



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von vorn­her­ein gar nichts als un­wahr­schein­lich an­zu­neh­men, wenn ich nicht gute Grün­de für eine sol­che An­nah­me hat­te.

      An­zu­fan­gen war hier zwei­felsoh­ne mit der Grä­fin Leys. Nicht nur weil da die Nach­for­schung am leich­tes­ten und be­quems­ten schi­en, son­dern weil da schon eine be­stimm­te, viel­ver­spre­chen­de An­ga­be vor­lag. Der star­ke Ver­brauch war doch auf­fäl­lig.

      Ich sah auf die Uhr: zehn Uhr. Aus den Post­stem­peln der Brie­fe hat­te ich er­kun­det, dass sie an ver­schie­de­nen Stel­len zwar, aber doch fast aus­nahms­los zur sel­ben Zeit, so ge­gen zwölf Uhr mit­tags auf­ge­ge­ben wor­den wa­ren.

      Mei­nen Wa­gen di­ri­gier­te ich in die Reis­ner­stra­ße und ließ ge­gen­über von dem Palais Leys hal­ten, und da blieb ich nun in den Wa­gen zu­rück­ge­lehnt als Beo­b­ach­tungs­pos­ten. Bei mei­nem Ge­schäft muss man Ge­duld ha­ben. Ich ließ mich’s nicht ver­drie­ßen und hat­te ein schar­fes Auge dar­auf, wer aus dem Hau­se ging. Die Die­ner­schaft in­ter­es­sier­te mich nicht. Denn zwei­er­lei war mir schon klar ge­wor­den: ers­tens dass die Brie­fe nicht aus dem Krei­se der Die­ner­schaft her­vor­ge­gan­gen wa­ren. Wenn die Grä­fin mo­nat­lich un­ge­fähr nur eine Kas­set­te ver­brauch­te – was frei­lich un­ter nor­ma­len Ver­hält­nis­sen schon sehr viel war – so war es doch un­mög­lich, dass ihr un­be­merkt so viel von dem Pa­pier ge­stoh­len wer­den konn­te, als für jene mas­sen­haf­ten Brie­fe nö­tig war. Und zwei­tens: Wenn man schon sol­che Brie­fe schreibt, dann ver­traut man ihre Auf­ga­be nicht der Die­ner­schaft an. Der­lei be­sorgt man schon sel­ber und höchst per­sön­lich.

      So lan­ge wir fuh­ren, blieb ich ru­hig sit­zen; da konn­te nichts ge­sche­hen. Als aber nach ei­ner aus­gie­bi­gen, etwa halb­stün­di­gen Spa­zier­fahrt halt­ge­macht wur­de, sprang ich rasch aus dem Wa­gen. Wir wa­ren auf dem Schot­ten­ring, und der schöns­te Früh­lings­son­nen­schein be­leuch­te­te die Sze­ne­rie.

      Ein ra­scher Blick be­lehr­te mich, dass ein Brief­kas­ten in der Nähe war. Aus der Equi­pa­ge stieg, un­ter­stützt von ei­nem am Schlag ste­hen­den Be­dien­ten, eine ele­gan­te jun­ge Dame von ganz au­ßer­or­dent­li­cher Schön­heit, blond, das rei­ne Ma­don­nen­ge­sicht. Sie schritt zum Brief­kas­ten. Ich war ra­scher dort, öff­ne­te die Klap­pe und hielt sie, als wol­le ich ihr den Vor­tritt las­sen oder gar be­hilf­lich sein. Sie dank­te mit ei­ner leich­ten Nei­gung des Kop­fes und ei­nem ver­bind­li­chen Lä­cheln. Als sie dann ih­ren Brief in den Spalt schie­ben woll­te, ent­riss ich ihn mit ei­nem ra­schen Schwung ih­ren Fin­gern und brach­te ihn in mei­ner Ta­sche in Si­cher­heit.

      Ent­setzt und wie ge­lähmt blick­te sie auf mich; sie brach­te zu­nächst kein Wort her­vor und war dem Um­sin­ken nahe.

      Ver­zei­hen Sie, Grä­fin, sag­te ich, das muss­te sein!

      Nun erst fand sie wie­der Wor­te.

      Wer sind Sie? Was wol­len Sie? Sie ha­ben da eine In­fa­mie be­gan­gen. Ge­ben Sie nur mei­nen Brief wie­der, oder ich neh­me die Hil­fe der Po­li­zei in An­spruch.

      Das wäre das bes­te, was Sie tun könn­ten. Grä­fin. Ich ma­che dar­auf auf­merk­sam, dass wir ge­ra­de vor der Po­li­zei­di­rek­ti­on ste­hen – wenn es also ge­fäl­lig ist –! Ich habe hier noch ei­ni­ge Brie­fe, die wir zur Ver­glei­chung mit her­an­zie­hen könn­ten.

      Ich zog ein Päck­chen Brie­fe aus der Ta­sche und zeig­te sie ihr. Sie wur­de sehr bleich und war nun nahe dar­an, ihre gan­ze Fas­sung zu ver­lie­ren. Der Be­dien­te, der jetzt erst zu be­mer­ken schi­en, dass da nicht al­les ganz in Ord­nung sei, rück­te nun her­an, gleich­sam zu ih­rem Schut­ze.

      Vor al­len Din­gen, Grä­fin, schaf­fen Sie uns den Ben­gel vom Hal­se. Er braucht nicht zu hö­ren, was wir ver­han­deln.

      Ein Blick von ihr be­or­der­te die Be­dien­ten­see­le zu­rück.

      Und nun, Grä­fin, ge­stat­ten Sie, dass ich mich vor­stel­le. Ich hei­ße Da­go­bert Trost­ler, bin, was Sie viel­leicht be­ru­hi­gen wird, kei­ne Amts­per­son, bin aber von den Ho­hei­ten be­auf­tragt, dem häss­li­chen Spuk ein Ende zu ma­chen. Es war der letz­te der­ar­ti­ge Brief, den Sie ge­schrie­ben ha­ben.

      Sie nick­te stumm, und wie sie so völ­lig ver­nich­tet da­stand, be­gann sie mir leid zu tun. Was wol­len Sie? Man hat sei­ne klei­nen Schwä­chen, und vor Frau­en­schön­heit habe ich nie recht stand­hal­ten kön­nen. Ja doch, sie war eine schwer Schul­di­ge, aber sie war rei­zend. Wir kön­nen da nicht ste­hen­blei­ben, re­de­te ich wei­ter auf sie ein. Wol­len Sie mich in Ihrem Wa­gen mit­neh­men, oder zie­hen Sie es vor, mit mir zu pro­me­nie­ren und uns un­se­re Wa­gen nach­fah­ren zu las­sen?

      Sie zog das letz­te­re vor, und so mar­schier­ten wir denn trau­lich ne­ben­ein­an­der.

      Was wer­den Sie jetzt tun, Herr Trost­ler? frag­te sie.

      Was ich muss, Grä­fin. Ich wer­de mei­nen ho­hen Aus­trag­ge­bern Be­richt er­stat­ten.

      Sie wer­den mei­nen Na­men nen­nen?

      Ich muss wohl.

      Da­mit wer­den Sie ein To­des­ur­teil ge­spro­chen ha­ben.

      Ein ge­sell­schaft­li­ches To­des­ur­teil – viel­leicht. Es wäre kein un­ver­dien­tes.

      Nicht nur ge­sell­schaft­lich. Wenn Sie das tun, dann lebe ich heu­te mei­nen letz­ten Tag.

      Ich sah sie an. Das war nicht phra­sen­haft ge­spro­chen. In ih­ren Au­gen flim­mer­te et­was, was auf einen un­er­schüt­ter­li­chen Ent­schluss deu­te­te. Nun, wis­sen Sie, Frau Vio­let, man ist schließ­lich doch kein Un­mensch. Es war ein schmäh­li­ches, ein häss­li­ches Ver­bre­chen, das da be­gan­gen wor­den war. Die­se idea­le Mäd­chen­schön­heit hat­te Tag für Tag Wor­te nie­der­ge­schrie­ben, die einen Wacht­meis­ter von den Dra­go­nern hät­ten zum Er­rö­ten brin­gen müs­sen, aber ein Selbst­mord – das hät­te ich doch nicht gern aufs Ge­wis­sen ge­nom­men!«

      »Sie ha­ben sie doch nicht etwa straf­los lau­fen las­sen, Herr Da­go­bert?« rief Frau Vio­let mit kaum ver­hoh­le­ner Ent­rüs­tung.

      »Nein; Stra­fe muss sein. Ich war nur schwan­kend, ob es gleich die To­dess­tra­fe sein müss­te. Ich hat­te in mei­nem Ge­dächt­nis ei­ni­ge No­ti­zen über die gräf­li­che Fa­mi­lie Leys auf­ge­spei­chert. Der Va­ter der jun­gen Dame war Al­ko­ho­li­ker ge­we­sen und ist im De­li­ri­um ge­stor­ben, ein Bru­der war Epi­lep­ti­ker. Ohne Zwei­fel lag da eine erb­li­che Be­las­tung vor, durch wel­che al­lein die per­ver­se Nei­gung, so schänd­li­che Din­ge nie­der­zu­schrei­ben, bei die­sem jun­gen Mäd­chen zu er­klä­ren war.«

      »Die erb­li­che Be­las­tung!« rief Frau Vio­let un­mu­tig. »Das ist die üb­li­che Aus­flucht. Sa­gen Sie lie­ber ehr­lich, Da­go­bert, Sie ha­ben die Mil­de­rungs­grün­de ge­sucht!«