Potsdamer Abgründe. Carla Maria Heinze

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Название Potsdamer Abgründe
Автор произведения Carla Maria Heinze
Жанр Языкознание
Серия Enne von Lilienthal
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783960416838



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      Susanne, die bei seinem Eintreten noch gelächelt hatte, zog skeptisch eine Augenbraue hoch. »Teambildung, Herr Kriminalrat«, erwiderte sie förmlich. »Aber greif doch zu«, fügte sie dann versöhnlicher hinzu.

      Er winkte ab, obwohl er zu gern eine Brezel genommen hätte. »Eben kam ein Amtshilfeersuchen der Berliner Kollegen herein. Schwere Körperverletzung, möglicherweise mit Todesfolge. Das Opfer ist prominent und wohnt in Potsdam. Hauptkommissar Jens Rödelheim leitet die Ermittlungen, den kenne ich noch von früher. Nicht ganz einfach, der Kollege, aber bei der Arbeit wie ein Frettchen. Beißt zu und lässt nicht locker.«

      »Die Berliner Kollegen bitten uns um Mitarbeit bei ihren Ermittlungen?«, wiederholte Susanne, wobei sie das Wort »Berliner« süffisant in die Länge zog.

      »Bei ihren länderübergreifenden Ermittlungen«, korrigierte er. »Bei dem Opfer handelt es sich um einen gewissen Desmond Holm. Wohnt bei uns in Potsdam in der Seestraße.«

      »Noble Adresse«, bemerkte Kalumet etwas undeutlich. Er hatte sich noch schnell eine Brezel gesichert. »Wer da residiert, der gehört von Haus aus nicht nur zur Potsdamer, sondern auch zur Bundes-Hautevolee.«

      »Richtig, Leo, und deshalb ist es auch kein Wunder, dass die Kollegen uns um Mitarbeit bitten. Die Hautevolee kann ganz schnell zu einem Wespennest mutieren, und dieses Risiko wollen sie dann doch lieber uns überlassen.«

      »Weißt du schon Näheres?«, hakte Susanne nach.

      »Holm wurde im Geheimen Staatsarchiv in Dahlem niedergeschlagen und brutal in einen Aktenaufzug gequetscht. Der eigentlich außer Betrieb und abgesperrt ist. Nur durch Zufall wurde er von einer Stipendiatin entdeckt, die sich über merkwürdige Geräusche gewundert hatte. Das ist die telefonische Kurzfassung. Die Akte bekommen wir später.«

      »Und wo befindet sich der prominente Herr Holm jetzt?«, fragte Kalumet und wischte sich die letzten Krümel vom Mund.

      »Auf dem Campus Benjamin Franklin der Charité in Steglitz.«

      »Überlebenschance?«, fragte Susanne und ließ den Urlaubsplaner in einer Schublade verschwinden.

      »Höchstens zehn Prozent, meinen die Ärzte laut Rödelheim.«

      Kalumet tippte etwas in seinen Computer ein. »Da schau her«, murmelte er. »Desmond Holm ist gebürtiger Brite und seit 1985 im Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft. Ist Staatssekretär im Ruhestand und war vormals im Bundesfinanzministerium. Seit 2000 wohnt er in Potsdam.«

      Susanne griff nach ihrer Jeansjacke. »Heike, recherchiere bitte alles, was du über Holm herausfinden kannst.« Sie winkte Kalumet. »Und wir beide schauen uns jetzt mal an, wie und wo der Holm lebt.«

      »Ich habe mich schon mit Rödelheim in einer Viertelstunde dort verabredet«, warf Lilienthal ein.

      »Wie bitte?« Susanne blickte ihn irritiert an. »Du leitest ab heute unsere Abteilung und bist damit raus aus dem operativen Geschäft. Ich führe jetzt die Ermittlungen, oder hat sich daran etwas geändert?«

      »Das war Körners Vorgehensweise, Susanne. Tut mir leid, dass ich es nicht geschafft habe, euch darüber zu informieren, wie es in Zukunft laufen soll. Ich will mir auch in meiner neuen Funktion die Option offenhalten, vor Ort dabei zu sein. Nicht immer, aber wenn es mir geboten erscheint«, fügte er noch hinzu, als er Kalumets und Heikes verwunderten Gesichtsausdruck bemerkte.

      »Damit hast du meine Frage nicht beantwortet«, erwiderte Susanne schmallippig.

      »Du bist die leitende Hauptkommissarin. Genügt das?«, erwiderte er knapp, stand auf und ging zur Tür.

      Susanne zögerte, dann folgte sie ihm mit erhobenem Kinn.

      Kalumet eilte hinterher. Das kann ja heiter werden, war in Großbuchstaben in seinem Gesicht zu lesen.

      10

      Hauptkommissar Jens Rödelheim wartete bereits vor dem schmiedeeisernen Tor zum Holm’schen Anwesen, das mit vergoldeten Blumengirlanden verziert war. Als Lilienthal zusammen mit Susanne und Kalumet aus seinem Jaguar stieg, schlenderte er ihnen entgegen. Verzog spöttisch die Mundwinkel in seinem mit Sommersprossen übersäten Gesicht und fuhr sich durch das struppige kastanienbraune Haar. Unter einem Arm klemmte ein Aktendeckel.

      »Wie jetzt? Immer noch die alte Kiste aus London?«, begrüßte er Lilienthal, indem er mit dem Kinn in Richtung Jaguar deutete. Seine Baritonstimme stand im starken Kontrast zu seinem jungenhaften Äußeren. »Darf der überhaupt noch auf die Straße?«, fragte er, während er Lilienthal gönnerhaft auf die Schulter klopfte. Sein Blick blieb an dessen Aufzug hängen. »Ist jemand gestorben?«, erkundigte er sich anzüglich, »oder ist das jetzt die neue Potsdamer Dienstkleidung?«

      Lilienthal ignorierte Rödelheims plumpe Anspielung auf seine Garderobe und stellte förmlich Susanne als leitende Hauptkommissarin und den Kollegen Kalumet vor.

      Rödelheim musterte Susanne. »Mit Ihnen macht die Arbeit bestimmt Spaß«, bemerkte er und lächelte gewinnend.

      Noch so ein Satz, dachte Lilienthal, und ich hau dir eine rein. Jetzt erinnerte er sich wieder. Rödelheim war schon damals ein Aufreißer gewesen.

      »Liegen Ihnen zwischenzeitlich neue Erkenntnisse vor?«, überging Susanne professionell seine Bemerkung.

      Als Lilienthals iPhone sich meldete, ging er ein paar Schritte zur Seite, um den Anruf entgegenzunehmen, sprach nur wenige Sekunden und gesellte sich dann wieder zu der Gruppe.

      »Desmond Holm ist kein Unbekannter im Berliner Politikbetrieb«, erklärte Rödelheim gerade den Potsdamer Kollegen. »Verfügt immer noch über ausgezeichnete Verbindungen in die Finanzwelt, obwohl er längst im Ruhestand ist. Also bitte schön moderat ermitteln, Kollegen, und so wenig wie möglich mit der Presse sprechen.«

      »Danke für den Hinweis, aber wir leben im 21. Jahrhundert und nicht mehr in der Adenauerzeit«, erwiderte Susanne kalt, was Lilienthal freute.

      Rödelheim blickte sie nur nachsichtig an und öffnete den Aktendeckel. »Holm ist Kunstsammler. Möglicherweise findet sich in dem Umkreis ein Hinweis auf ein Tatmotiv.«

      Susanne streckte die Hand aus, und nach kurzem Zögern überreichte ihr Rödelheim die Unterlagen.

      »Kunstsammler, das könnte im Hinblick auf den Tatort interessant sein. Im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz lagern viele historisch wertvolle Dokumente«, mischte sich Lilienthal ein.

      Nachdem Susanne die wenigen Seiten des Dossiers überflogen hatte, drückte Kalumet auf den Messingklingelknopf. Ein Surren ertönte, und das Tor schwang im Zeitlupentempo auf.

      Das Haus mit Erkern und Spitzbogenfenstern wurde teils von dickstämmigen Eichen verborgen. Eine weitläufige Rasenfläche zog sich bis zum Ufer des Heiligen Sees.

      Vor der zweiflügeligen Eingangstür wurden sie von einer schlanken jungen Frau erwartet. Sie trug einen engen schwarzen Rock, einen flamingoroten Pullover und dazu passende rote Ballerinas. Das kurz geschnittene schwarze Haar fiel ihr in Fransen bis zu den Brauen und verlieh ihr zusammen mit der feinen Stupsnase einen kecken Ausdruck.

      »Frau McLaren?«, fragte Rödelheim, der als Erster auf sie zutrat und ihr seinen Dienstausweis zeigte.

      Die Frau nickte.

      »Wir hatten vorhin miteinander telefoniert«, bemerkte er und fuhr dann charmant fort: »Sie waren so freundlich, uns zu gestatten, dass wir uns im Haus Ihres Onkels umsehen dürfen. Wir suchen nach Hinweisen auf das Motiv für den Anschlag, der auf Herrn Holm verübt wurde.«

      Lilienthal schob den Berliner Kollegen überrascht zur Seite. »Katie?«, rief er. »I don’t believe it. Was machst du denn hier in Potsdam?«

      Die junge Frau riss die dunklen Augen auf. »Mikeyyy?«, zwitscherte sie mit heller Stimme, und ehe Lilienthal es sich versah, fiel sie ihm um den Hals und küsste ihn stürmisch auf den Mund. »It’s so good to see you again, darling«, flüsterte sie für alle gut hörbar.

      Lilienthal