Potsdamer Abgründe. Carla Maria Heinze

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Название Potsdamer Abgründe
Автор произведения Carla Maria Heinze
Жанр Языкознание
Серия Enne von Lilienthal
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783960416838



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sein Dienstzimmer im Potsdamer Polizeipräsidium. Warf lässig sein dunkelblaues Jackett über die Stuhllehne, lockerte die grün-blau gestreifte Krawatte, die er zum weißen Leinenhemd trug, und trat hinüber zum Fenster, das zur Henning-von-Tresckow-Straße ging. Weit stieß er die beiden Fensterflügel auf und atmete die frische Abendluft ein. Im Geiste ließ er die letzten Stunden Revue passieren.

      Das Gespräch mit Dr. Steffens von der Bundespolizei war besser verlaufen als erwartet. Der Behördenleiter, ein kräftiger Endfünfziger mit dunklem und militärisch kurz geschnittenem Haar, gab sich anfangs noch distanziert. Aber je mehr Maik über sich und seine Arbeit erzählte, desto deutlicher wurde an den wohlwollenden Zwischenfragen seines Gegenübers, dass die Chemie zwischen ihnen stimmte. Nachdem auch die Detailfragen geklärt waren, hatte Steffens ihm sein ungefähres Gehalt genannt. Der Sprung, den er damit machen würde, war von nicht unerheblicher Größenordnung. Natürlich wusste Lilienthal, dass die dem Bundesinnenministerium unterstellte Behörde sich an anderen Besoldungsgruppen als den in Brandenburg üblichen orientierte. Aber das, was Steffens in den Raum gestellt hatte, übertraf dann doch seine kühnsten Erwartungen. Das Beste jedoch war, dass er einem erfahrenen Team von Kollegen vorstehen würde. Deutschlandweit. Das war schon eine andere Nummer als das, was er bisher in Potsdam getan hatte.

      Er schloss das Fenster und ging zum Schreibtisch. Als ihm das anstehende Gespräch mit Körner einfiel, erhielt seine gute Laune einen Dämpfer. Der Alte, nicht nur sein Chef, sondern seit seinem Beginn in Potsdam immer auch loyal bei allen Entscheidungen ihm gegenüber, würde brüskiert sein. In der letzten Zeit hatte sich ihre Beziehung zueinander verändert. Sein Vertrauensverhältnis zu Körner war nicht mehr so eng wie die Jahre zuvor, und das hing immer noch mit dem spektakulären Fall um das Nazigold zusammen. Körner hatte ihn bei einer wichtigen Entscheidung übergangen und dadurch seine Kompetenz und Führungsfähigkeit in Frage gestellt. Da biss die Maus keinen Faden ab.

      Körner wird alt, dachte er bitter und zog sich den Schlips vom Hals. Zeit für einen Generationswechsel bei der Mordkommission, aber ohne mich. Achtlos stopfte er die Seidenkrawatte in die oberste Schublade seines Schreibtischs und schob sie heftig zu. Natürlich hatte er dem Alten viel zu verdanken, das würde er nicht vergessen. Aber alles hatte seine Zeit. Und die Zeit mit Körner und dem MK1 in Potsdam musste auch mal ein Ende haben. Er wollte wieder über den Tellerrand schauen, andere Menschen kennenlernen, andere Möglichkeiten ausprobieren.

      Er schlenderte hinüber zur Kaffeemaschine und goss sich einen Becher voll. Registrierte dankbar, dass Kalumet daran gedacht hatte, Wasser und Kaffeepulver aufzufüllen. Die Kollegen würde er vermissen. Kalumet, seinen Juniorpartner, der sich hervorragend im Team entwickelt hatte und inzwischen fast ein echter Potsdamer geworden war. Den Offenbacher Zungenschlag hörte man ihm kaum noch an. Die letzten ungewöhnlichen Fälle hatten sie nicht nur kollegial zusammengeschweißt, Lilienthal fühlte sich ihm auch freundschaftlich verbunden. Heike würde ihm genauso fehlen. Zuverlässig und gewissenhaft hielt sie ihm mit ihren blitzschnellen Recherchen den Rücken frei. Und dass Leo und Heike inzwischen auch privat ein Paar waren, hatte sich erfreulicherweise nur positiv auf die Zusammenarbeit ausgewirkt.

      Lilienthal trank einen Schluck, blickte auf seine Armbanduhr. Eine goldene Junghans, ein Erbstück seines Großvaters, die er ihm feierlich zur Konfirmation überreicht hatte. Manni Langer fiel ihm ein, Leiter der Kriminaltechnik, sein Spusimann mit der Zusatzausbildung als Bombenentschärfer. Auch den würde er vermissen. Er fuhr sich mit den Händen durch sein volles dunkles Haar. Mein Dream-Team, dachte er und fühlte einen Anflug von Wehmut in sich aufsteigen. Alle hatten sie bei ihren Fällen bis zur totalen Erschöpfung Hand in Hand gearbeitet. Und jetzt, wo Susanne sich endgültig entschlossen hatte, zusammen mit Mäxchen, ihrem kleinen Sohn, zu ihm zu ziehen, was er sich seit Langem gewünscht hatte, musste er sich eingestehen, dass der Zeitpunkt für seinen Wechsel kaum ungünstiger sein konnte. Er würde bei der Bundespolizei in seiner neuen Position viel unterwegs sein und auch häufig im Ausland arbeiten. Das machte die Familienzusammenführung nicht gerade leichter.

      Er stellte die leere Tasse auf dem Regal ab und straffte die Schultern. Morgen würde er Körner von seiner Entscheidung in Kenntnis setzen und gleich danach die Kollegen.

      Er schob die Gedanken an Susanne und ihr weiteres Zusammenleben zur Seite. Zog sein Handy aus der Hosentasche. Das Display zeigte mehrere Nachrichten an. Als er die erste lesen wollte, öffnete sich die Tür.

      Susanne steckte den Kopf herein und lächelte ihn an. Ihr rotgoldenes, lockiges Haar, nur mit einem Stirnband gebändigt, umrahmte strahlend ihr Gesicht. Mit ihrer schlanken, durchtrainierten Figur, dem vollen Busen, der sich unter ihrem weißen, eng anliegenden T-Shirt abzeichnete, und der schmalen Taille wirkte sie auf ihn immer noch wie die Vollendung des Weiblichen. Wenn er an den kommenden Abend dachte, fühlte er bereits Hitze in sich aufsteigen. Wie froh war er, dass es sie gab. Sie hatten sich vor nicht allzu langer Zeit während einer Ermittlung kennengelernt. Susanne, damals Hauptkommissarin in der Direktion Frankfurt/Oder, war erst seit wenigen Wochen vom Bundeskriminalamt Wiesbaden zurück, wo sie anschließend gearbeitet hatte, und jetzt Teil seines Potsdamer Teams.

      »Kaum bin ich mal für ein paar Stunden nicht zu erreichen, bricht das Chaos aus.« Schmunzelnd deutete er auf sein Smartphone mit den vielen Benachrichtigungen.

      Susannes Miene veränderte sich, wurde ernst. »Chaos ist untertrieben, Maik. Ich komme gerade von der Tierklinik. Charly schläft noch von der Narkose. Er hatte eine große Bisswunde, die genäht werden musste.«

      »Was ist denn passiert?«, wollte er sofort wissen.

      Im Stenogrammstil berichtete Susanne von dem Angriff des fremden Hundes. Und dass die Tierärzte Charly zur Überwachung dabehalten wollten.

      »Ich fahre sofort hin.« Er griff nach seinem Jackett. Sein kleiner schwarzer Hundemann, der ihm in so kurzer Zeit ans Herz gewachsen war, war mutterseelenallein und würde bestimmt Angst haben, wenn er aufwachte.

      »Warte, Maik. Für Körner sieht es viel schlimmer aus. Er ist bei dem Angriff gestürzt. Verdacht auf Lähmungen durch Wirbelbruch mit Knochensplittern im Spinalkanal. Er liegt im Ernst-von-Bergmann-Klinikum. Deine Mutter hat mich informiert, sie macht sich große Sorgen.«

      Lilienthals noch vor wenigen Minuten euphorische Stimmung verpuffte jetzt endgültig. »Dann fahre ich erst zu Körner und anschließend in die Tierklinik. Das bin ich dem Alten schuldig«, murmelte er mehr zu sich selbst.

      Forschend schaute Susanne ihn an: »Warum warst du vorhin eigentlich nicht erreichbar?«

      »Später«, erwiderte er und vermied es, ihrem Blick zu begegnen.

      »Melde dich bitte bei deiner Mutter!«, rief ihm Susanne noch hinterher, als er bereits durch den Flur Richtung Ausgang eilte.

      Während der Fahrt zum Krankenhaus rief er seine Mutter an. Ennes Stimme klang anders, zögerlicher, registrierte er, als sie ihm wie zuvor schon Susanne eine Kurzfassung des Unfalls lieferte.

      »Da ist doch noch etwas, oder?« Im Laufe der Jahre hatte Lilienthal gelernt, bei ihren Berichten intuitiv auf die Zwischentöne zu achten.

      »Ich habe etwas gefunden, Maik.«

      »Nicht Körners Brieftasche, vermute ich mal?«

      »Nein, die ist verschwunden, leider. Wahrscheinlich hat sie jemand mitgenommen.« Dann, nach einer winzigen Pause: »Einen Rollstuhl.«

      »Aha«, erwiderte er irritiert. »Und was ist daran so ungewöhnlich?«

      »Er war im Schilf versteckt.«

      »Im Schilf? Wenn ich mich recht entsinne, wächst Schilf im Wasser. Wo genau hast du ihn gefunden?«

      »Im Heiligen See.«

      »Und was wolltest du da? Baden eher nicht, oder?«

      Sie überging seinen ironischen Ton. »Ich hatte etwas gesehen.«

      Als sie ihm beschreiben wollte, was sie zusammen mit dem Rollstuhl gefunden hatte, unterbrach er sie: »Entschuldige, aber ich bin schon am Krankenhaus. Wir reden später.« Dann drückte er das Gespräch weg.

      Körner lag in einem