Potsdamer Abgründe. Carla Maria Heinze

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Название Potsdamer Abgründe
Автор произведения Carla Maria Heinze
Жанр Языкознание
Серия Enne von Lilienthal
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783960416838



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an der Stirnwand des Bettes, summten Geräte mit mehreren Monitoren, die über Kabel mit verschiedenen Stellen seines Körpers verbunden waren. Neben seinem Bett stand ein verchromter Ständer mit Tropf, dessen durchsichtiger Schlauch zu einem Zugang an Körners Handgelenk führte.

      Kaum hatte er den Raum betreten, überkamen Lilienthal Fluchtgedanken.

      Der Alte öffnete die Augen und winkte ihn matt zu sich.

      Bemüht leise trat Lilienthal zu ihm. »Wollte mal schauen, wie es Ihnen geht«, sagte er aufgesetzt munter zur Begrüßung. Das »Sie« hatte er im Behördenalltag beim Alten beibehalten, obwohl er Körner seit Langem kannte, der ihn von Anfang an geduzt hatte.

      »Hervorragend, sieht man das nicht?«, konterte Körner unwirsch. »Ich lebe, das muss fürs Erste reichen.« Er musterte seinen Hauptkommissar. »Fein gemacht hat sich der Herr. Hat es sich wenigstens gelohnt?«

      Was weiß der Alte?, überlegte Lilienthal verblüfft. Er hatte niemandem von der Einladung zu dem Gespräch bei der Bundespolizei erzählt. Nicht einmal Susanne. Aber Körner, dem alten Fuchs mit seinem weitreichenden Beziehungsnetzwerk, blieb anscheinend kaum etwas in seinem Umfeld verborgen.

      »Du warst bei Steffens, hat mir ein Vögelchen gezwitschert. Also los, red schon, Maik. Immerhin kann ich noch hören und sprechen.«

      »Was sagen denn die Ärzte?«, probierte Lilienthal abzulenken.

      »Pah, Ärzte«, schnaubte Körner. Er versuchte, sich anders zu lagern, verzog jedoch sogleich schmerzverzerrt das Gesicht. »Was hat Steffens dir angeboten?«

      Lilienthal überlegte kurz. Wenn Körner bereits wusste, dass er bei der Bundespolizei gewesen war, konnte er ihm auch gleich hier und jetzt seinen Entschluss mitteilen. »Den Stab bei der Kriminalitätsbekämpfung.«

      »Soso«, murmelte der Alte. »Nicht schlecht. So etwas habe ich mir fast schon gedacht. Und ab wann?«

      »So schnell wie möglich. Einarbeitung in München und Koblenz. Danach, bis das neue Gebäude in der Heinrich-Mann-Allee bezugsfertig ist, werde ich abwechselnd im BMI in Berlin und in Potsdam sein.« Lilienthal konnte seine freudige Erregung kaum verbergen.

      »Aha. Im Bundesministerium des Inneren. Sozusagen auf dem Schoß des Ministers«, spottete Körner. »Und wie stellst du dir deine Nachfolge in Potsdam vor?« Seine buschigen Augenbrauen zogen sich bedrohlich zusammen.

      Lilienthal mied seinen Blick. Auf einmal wurde er sich der ganzen Tragweite von Körners Unfall für ihn und das MK1 bewusst. Der Alte würde wochen-, wenn nicht sogar monatelang arbeitsunfähig sein. Und er wollte weg. So schnell wie möglich die Potsdamer Behörde verlassen. Bei der Personalknappheit, die nicht nur in Brandenburg, sondern auch in Berlin herrscht, kannst du es vergessen, einen Nachfolger zu finden, flüsterte ihm sein Alter Ego zu. Aber musste er sich darum Gedanken machen? Es war doch seine Karriere, sein Leben, um das er sich zuvorderst kümmern musste. Der Nachfolger war Körners Part beziehungsweise, wenn der ausfiel, der der Behördenleitung.

      »Es wird ja nicht so schwer sein, mich zu ersetzen«, erwiderte er von oben herab.

      »Ich krieg gleich einen Hörsturz, Maik«, bollerte der Alte los. »Wo bleibt dein Pflichtgefühl? Verdammt! Du wirst mich vertreten, ist das klar? Und falls du denkst, der Bundeshansel könnte etwas für dich tun, weil der dem BMI untersteht«, Körner gab ein grunzendes Geräusch von sich, das man nur im besten Fall als Lachen auslegen konnte, »dann hast du dich geschnitten, aber so was von. Das werde ich nicht zulassen.«

      Es wurde still im Raum, sogar die Monitore summten leiser als zuvor, so schien es Lilienthal.

      Nach einer Weile wandte der Alte den Kopf, starrte ihn an und sagte heiser: »Ich werde Himmel und Hölle in Bewegung setzen, dass wir in Potsdam nicht mit noch weniger Personal als jetzt schon dastehen.« Eine tiefe Zornesfalte hatte sich über seiner Nasenwurzel eingegraben. »Du solltest dich daran erinnern, dass du als Beamter in erster Linie deinem jetzigen Dienstherrn verpflichtet bist, und das ist der Polizeipräsident von Brandenburg. Was der in der aktuellen Situation anordnen wird, brauche ich dir nicht zu sagen. Ein Herr Dr. Steffens von der Bundespolizei kann uns kreuzweise«, schob er nicht gerade fein noch hinterher. Während der letzten Worte hatten sich rote Flecken auf Körners Gesicht und dem Hals ausgebreitet.

      Lilienthal hatte sich nicht gerührt, den Alten nicht unterbrochen. Zuerst mit aufsteigendem Ärger, dann mit wachsender Besorgnis seinen Redeschwall über sich ergehen lassen.

      Jetzt atmete Körner stoßweise und tastete nach dem Rufknopf.

      Wenige Sekunden später öffnete eine Schwester die Tür. Als sie den Patienten mit schmerzverzerrtem Gesicht sah, rief sie über das Handy den behandelnden Arzt. »Gehen Sie bitte«, befahl sie Lilienthal streng, der dem nur allzu gern nachkam und fluchtartig das Krankenzimmer verließ.

      9

      Seit seinem Gespräch mit Körner waren gerade einmal drei Tage vergangen. Die Behördenleitung hatte für ihre Verhältnisse überraschend schnell darauf reagiert, dass Körner auf noch nicht absehbare Zeit ausfallen würde. Eher widerstrebend hatte Lilienthal sich für diesen Anlass in Schale geworfen. Aber schon immer war seine Devise gewesen, sich dem Anlass angemessen zu kleiden. Und Kriminalrat wurde man nicht alle Tage. Wobei Kalumet, ohne die Miene zu verziehen, aber für ihn unüberhörbar, von seiner »Jubelfeier« gesprochen hatte. Leider kam er sich selbst eher vor wie jemand, dem man kurz vor geplanter Übergabe den Hauptgewinn vorenthält. Außerdem war der Behördenchef verhindert. Dringende Besprechung mit dem Innenminister. An seiner statt hatte ihm der Stellvertreter mit ein paar dürren Worten die Ernennungsurkunde in die Hand gedrückt. Gegen das seltsame Gefühl half auch die Kiste Champagner nichts, die ihm das Team anschließend überreicht hatte.

      Sogar Steffens von der Bundespolizei hatte bereits über seine spontane Ernennung zum Kriminalrat Bescheid gewusst, als er ihn gestern Abend darüber informieren wollte, dass er zumindest vorerst in Potsdam bei der Kripo bleiben würde. Die Potsdamer Polizeibehörden waren doch ein Dorf. Kannte man einen, kannte man alle.

      »Aber natürlich, lieber Herr von Lilienthal«, hatte Steffens auf seine Erklärung, dass er zum jetzigen Zeitpunkt nicht in den Dienst der Bundespolizei eintreten könne, gequetscht erwidert. »Das ist doch selbstverständlich, dass Sie vorerst Ihre Pflicht bei der Potsdamer Polizei erfüllen wollen.« Und hatte dann gönnerhaft hinzugefügt: »Aufgeschoben ist ja nicht aufgehoben.« Nur Lilienthal war klar, dass die von der Bundespolizei nicht auf ihn warten würden.

      Aber heute galt: Noblesse oblige. Immerhin stammte er aus einer alten märkischen Adelsfamilie, auch wenn er sonst nie besonderen Wert darauf legte. Und so trug er jetzt zum anthrazitfarbenen Leinenanzug mit dezent milchweißem Hemd eine schwarz-silber gestreifte Seidenkrawatte.

      Susanne hatte ihn mit hochgezogenen Augenbrauen gemustert, als er so vor sie getreten war. Doch ab heute bin ich der Chef, Punkt, hatte er gedacht, da kann ich anziehen, was ich will. Wobei ihn ihre Reaktion auf die Nachricht schon etwas enttäuscht hatte. Seine Beförderung war längst überfällig gewesen. Durch seinen Studienabschluss mit dem Zweiten Staatsexamen war er für den Dienstgrad prädestiniert. Nur gerissen hatte er sich nicht darum. Und dennoch saß er jetzt hier hinter diesem Monstrum von Schreibtisch, weil Körner sich hatte hinschmeißen müssen. Na gut, ein unglücklicher Umstand, dass dieser Hund ihn angefallen hatte. Aber sich gleich und auch noch dermaßen kompliziert einen Wirbel zu brechen? Er schaute sich missbilligend um. Früher hatte er das nie so empfunden, wenn er mit dem Alten hier zusammengesessen hatte. Alles war überdimensioniert. Angefangen beim Büro selbst bis zum Mobiliar, nichts passte zu ihm. Durch die angelehnte Tür hörte er Körners Sekretärin Hella Rosenfeld, die jetzt seine war, auf der Tastatur klappern. Die Neubesetzung von Körners Stelle war auch ihr zu schnell gegangen. Als das Telefon auf dem leeren Schreibtisch klingelte, griff Lilienthal zum Hörer und meldete sich.

      Wenig später lief er aufgeräumt an Hella Rosenfeld vorbei, die erstaunt aufblickte, und öffnete die Tür zu seinem ehemaligen Büro.

      Susanne saß lässig hinter seinem Schreibtisch. Heike und Kalumet ihr gegenüber. Vor ihnen lag der Urlaubsplaner