Die Klinik am See Jubiläumsbox 4 – Arztroman. Britta Winckler

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Название Die Klinik am See Jubiläumsbox 4 – Arztroman
Автор произведения Britta Winckler
Жанр Языкознание
Серия Die Klinik am See Box
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783740931711



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heute nicht, sondern hinüber zum Tegernsee, nach Rottach, zu meiner Mutter, die dort ein Haus hat«, erklärte Alice.

      »Na, das ist ja nicht sehr weit«, meinte Volker. »Da müsste sich doch jemand finden lassen, der dich hinüberfährt.«

      Da blitzte es in Gerhards Augen auf. »Schon gefunden«, sagte er lächelnd. »Ich bringe Alice nach Hause.« Suchend sah er sich nach seinem Freund Michel um, in dessen Wagen er hergekommen war, und winkte ihn heran, als er ihn entdeckte.

      »Tja, dann wäre das ja geklärt. Ihr entschuldigt mich!« Volker Reinegger gesellte sich wieder zu einer kleinen Gruppe.

      »Das finde ich nett, dass du mich …«

      »Ist doch selbstverständlich«, fiel Gerhard seinem Schwarm gönnerhaft ins Wort. »Michel«, wandte er sich an seinen nähergetretenen Freund, »wir fahren jetzt gleich nach Rottach. Alice will nach Hause zu ihrer Mutter.« Scharf sah er Michel an und blinzelte verstohlen mit dem rechten Auge.

      Michel, nicht gerade das, was man als einen männlichen Typ bezeichnen konnte, der sich deshalb auch nur zu gern im Fahrwasser des gut aussehenden Gerhard bewegte, hatte verstanden. Er nickte und feixte ein wenig. »Sofort?«, fragte er.

      »Ja«, bestätigte Gerhard. »Anschließend fahren wir natürlich wieder hierher zurück.«

      Damit war alles abgesprochen, und ohne sich groß von den anderen zu verabschieden, verließen Alice, Gerhard und Michel wenige Sekunden darauf das Haus.

      »Darf ich bitten!« Michel deutete auf den viertürigen schwarzen Wagen, der eigentlich seinem Vater gehörte, der ihm aber großzügigerweise öfters überlassen wurde. So wie eben an diesem Samstagabend.

      Erleichtert stieg Alice ein – in den Fond des Fahrzeuges, annehmend, dass Gerhard auf dem Beifahrersitz Platz nehmen würde. Doch da hatte sie sich geirrt. Gerhard setzte sich einfach an ihre linke Seite und gab Michel, der schon hinter dem Steuer saß, das Startzeichen. »Also dann los, Michel!«, rief er.

      Eine ganze Weile war Schweigen im Innern des Autos. Weder Michel noch Gerhard sprachen ein Wort, als der Wagen den Ort verließ und auf die direkt hinüber zum Tegernsee führende Landstraße einbog. In Alice meldete sich mit einem Mal ein etwas beklemmendes Gefühl. Ihr war, als würde etwas Unangenehmes auf sie zukommen, dem sie nicht auszuweichen vermochte. Sie merkte, dass der links neben ihr sitzende Gerhard immer näher an sie heranrückte. Zweimal war sie dieser Annäherung schon ausgewichen. Nun ging es nicht mehr. Sie saß inzwischen schon ganz dicht an der rechten hinteren Wagentür.

      »Was soll das, Gerhard?«, fragte sie energisch. »Du hast doch genügend Platz. Weshalb rückst du mir so dicht aufs Fell?«

      Gerhard lachte leise. »Dreimal darfst du raten«, erwiderte er. »Habe ich mir nicht einen Kuss für mein Entgegenkommen verdient?«, fragte er und legte seinen Arm um Alices Schulter.

      »Lass den Quatsch!«, fauchte Alice und versuchte sich, aus dem Zugriff des jungen Mannes zu befreien. Es gelang ihr nicht. Sie erreichte mit ihren Bemühungen nur das Gegenteil. Der Griff Gerhards wurde fester und fordernder. »Wenn du nicht sofort Ruhe gibst, steige ich aus«, zischte sie.

      »Hier auf der gottverlassenen Landstraße und in der Dunkelheit?« Gerhard lachte leise. »Herrgott, sei doch nicht so prüde!«, ließ er plötzlich die Maske des wohlerzogenen jungen Mannes fallen. Durch den genossenen Alkohol angeregt, wurde er immer aggressiver. Seine Hand tastete verlangend über Alices Körper. Jetzt wollte er es genau wissen. Wozu sonst hatte er sich den ganzen Abend mit diesem Mädchen abgegeben, statt sich einem der anderen hübschen Mädchen zu widmen?

      Der Wagen fuhr jetzt schon an der Ostseite des Tegernsees entlang und näherte sich Rottach.

      Alice kam es vor, als hätte ihr Begleiter plötzlich fünf oder noch mehr Hände, die sie an ihrem Körper fühlte. Zornig schrie sie Gerhard an, als sich dessen Gesicht dem ihren bis auf wenige Zentimeter näherte! »Ich will nicht … Lass mich los!« Mit aller Kraft wehrte sie sich gegen die Zudringlichkeiten des jungen Mannes. Ihre rechte Hand kam dabei an den Türgriff der nicht verriegelten Seitentür. Erneut warf Alice ihren Oberkörper zurück, als Gerhard sie küssen wollte. Ungewollt drückte sie dabei den Türgriff herunter, und die Seitentür öffnete sich – gerade in dem Augenblick, in dem Gerhard sich fester an sie drängen wollte. Alice spürte plötzlich keinen Halt mehr auf ihrer rechten Seite. Sie verlor das Gleichgewicht, spürte sekundenlang den Fahrtwind und im nächsten Augenblick stürzte sie aus dem glücklicherweise nicht allzu schnell fahrenden Auto. Das ging alles so schnell, dass sie nicht einmal Zeit hatte, einen Schrei auszustoßen. Sie spürte lediglich einen dumpfen Schlag auf ihrem Kopf und einen plötzlichen stechenden Schmerz in ihrem Leib. Dann schwanden ihr die Sinne.

      Gerhard starrte entgeistert auf den leeren Platz neben ihm.

      »Bist du verrückt geworden, Gerhard?«, fuhr Michel auf und drosselte das Tempo. »Du kannst sie doch nicht aus dem Wagen werfen.«

      »Hab ich doch gar nicht«, schrie Gerhard mit heiserer Stimme. »Die Tür ging plötzlich auf.« Angst erfasste ihn. Hastig drehte er sich um. Da sah er, wie sich Alice vom Straßenrand aufrichtete. »Scheint nichts passiert zu sein«, stieß er hervor und wandte sich wieder an Michel. »Fahr weiter, schnell! Sie wird schon weiterkommen.« Er war völlig durcheinander und konnte nicht klar denken. So etwas wie Panik hatte ihn erfasst. Aber nicht nur ihn, auch seinem Freund Michel. Den sogar nicht wenig. Der dachte an seinen Vater, vor dessen Zorn er sich fürchtete, wenn er erfuhr, was in seinem Wagen geschehen war. Statt nun auf das Bremspedal zu treten, wie er es vor Sekunden noch hatte tun wollen, trat er das Gaspedal tiefer durch. Keinem der beiden jungen Männer fiel es ein, sich um Alice zu kümmern. Beide redeten sich in diesen Paniksekunden einfach ein, dass dem Mädchen nicht viel passiert sein konnte, nachdem sie sich nach dem Sturz aus dem Auto wieder aufgerichtet hatte, wie Gerhard es gesehen hatte. Michel fuhr jedenfalls weiter. Aber nicht mehr zurück zur Fete, sondern um den Tegernsee herum in Richtung Gmund.

      Dass Alice in diesen Minuten bewusstlos am Straßenrand lag, wussten sie gar nicht. Alice hatte nach dem Sturz tatsächlich versucht, wieder auf die Beine zu kommen, und hatte es auch geschafft. Aber nur für Sekunden. Dann war sie mit einem Wehlaut wieder zusammengebrochen und bewusstlos liegen geblieben.

      Sie merkte auch nicht, dass etwa zwanzig Minuten später ein von der Arbeit kommender Radfahrer sie fand, bis zum nächsten Telefon fuhr und die Rettung verständigte, die auch nach wenigen Minuten eintraf.

      Mit heulender Sirene und rotierendem Blaulicht wurde Alice sofort in die Klinik am See gefahren, weil sie die nächstgelegenste war.

      *

      Dr. Köhler, der den Nachtdienst hatte, kam gerade von einem Rundgang durch die Stationen zurück und wollte einen von der Nachtschwester schon vorbereiteten Kaffee trinken, als er von der Schwester in der Notaufnahme verständigt wurde, dass die Rettung eine Verletzte gebracht hatte.

      »Nichts mit dem Kaffee«, rief er der Nachtschwester zu und eilte in die Notaufnahme hinunter. Die kurze Information des Notarztes sagte ihm nichts. Ein Unfall, das war sicher. Aber welcher Art und mit was für Auswirkungen?

      Dr. Köhler reagierte sofort. In aller Eile untersuchte er die junge Frau, aus deren Personalausweis hervorging, dass sie Alice Mangold hieß, Studentin war und in München wohnte. »Auf jeden Fall eine Gehirnerschütterung«, murmelte Dr. Köhler. »Sofort zum Röntgen!«, befahl er den diensthabenden Schwestern. »Alle Körperregionen, damit wir sehen, ob noch weitere Schäden vorhanden sind.«

      Er fuhr auch selbst mit zur Röntgenabteilung.

      Wenig später hatte er die Aufnahmen im Lichtkasten und erschrak. Die Aufnahmen zeigten ihm einen lebensgefährlichen Milzriss, der einen sofortigen Eingriff erforderlich machte. Der Chirurg war notwendig. »Lassen Sie die Patientin in den OP bringen!«, befahl er der Schwester. »OP-Alarm! Ich versuche Dr. Hoff und den Chefarzt zu erreichen!«

      Im Stationszimmer der Chirurgie hängte er sich an den Telefonapparat. Bei Dr. Hoff hatte er zum Teil Glück, bekam aber nur dessen Frau an den Apparat.

      »Mein Mann ist nicht hier, er ist bei Freunden