Die Klinik am See Jubiläumsbox 4 – Arztroman. Britta Winckler

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Название Die Klinik am See Jubiläumsbox 4 – Arztroman
Автор произведения Britta Winckler
Жанр Языкознание
Серия Die Klinik am See Box
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783740931711



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erklärend hinzu. »Auf jeden Fall braucht die Patientin absolute Ruhe. Ich wünsche, dass sie unter ständiger Aufsicht ist.« Diese Worte richtete er an die Adresse der Stationsschwester. »Sorgen Sie bitte dafür!«

      »Selbstverständlich, Chef.« Die Schwester machte sich sofort ein paar kurze Notizen.

      »Außerdem möchte ich sofort verständigt werden – auch wenn es nachts ist – wenn diese Schockeinwirkung nachlässt und die Patientin halbwegs ansprechbar ist«, wies Dr. Lindau die Stationsschwester noch an. »Hat man inzwischen feststellen können, ob und wo die Patientin Familie oder Angehörige hat, die verständigt werden könnten?«, wandte er sich dann fragend an Dr. Bernau.

      Der verzog das Gesicht. »Leider nein«, erwiderte er. »Die Patientin hatte lediglich eine Art Studentenausweis bei sich, aus dem ihr Name – Alice Mangold – hervorgeht und dass sie in München wohnt.« Fragend sah er den Chefarzt an. »Sollen wir die Polizei einschalten?«, wollte er wissen.

      Dr. Lindau dachte kurz nach und schüttelte dann den Kopf. »Nein«, beantwortete er Dr. Bernaus Frage. »Noch nicht. Ich möchte mit der jungen Dame erst selbst sprechen. Dann können wir weitersehen.«

      Damit war diese Kurzvisite beendet, und die beiden Ärzte verließen wieder die Intensivabteilung. Nur die Stationsschwester blieb noch zurück, um den Tropf und einige an die Patientin angeschlossene Messapparate zu kontrollieren.

      Dr. Lindau hielt sich nun auch nicht länger in der Klinik auf. »Ich bin ja auf jeden Fall zu Hause zu erreichen, wenn etwas los sein sollte«, gab er Dr. Bernau zu verstehen und verabschiedete sich von ihm.

      Wenige Minuten später saß er bereits in seinem Wagen und fuhr nach Hause, zurück ins Doktorhaus. Diesen dienstfreien Sonntag wollte er genießen – mit einem kurzen Spaziergang vielleicht und mit dem Lesen eines Buches, das er schon vor einiger Zeit begonnen hatte und womit er endlich fertig werden wollte.

      Ganz kurz dachte er auch an den gestrigen Abend, an die Oper und damit auch zwangsläufig an die Konsulswitwe. Er hatte natürlich gemerkt, dass sie ihm seinen abrupten Abgang übel genommen hatte. Natürlich bedauerte er das, denn in gewisser Hinsicht war sein hastiger Aufbruch, das beinahe fluchtartige Verlassen ihres Hauses nicht gerade höflich gewesen. Doch seine Verantwortung und Pflicht als Arzt hatte ihm keine andere Alternative gelassen.

      Sie wird sich schon wieder beruhigen, dachte er und schob auch sofort alle Gedanken, die sich mit Katharina Helbrecht beschäftigten, energisch beiseite.

      Dass sich Katharina Helbrecht aber noch lange nicht beruhigt hatte und zu Hause in ihrem eleganten Heim sich grübelnd den Kopf zerbrach, wie sie trotz dieses verpfuschten gestrigen Abends doch noch ihr Ziel erreichen konnte, ahnte Dr. Lindau in diesen Sekunden nicht.

      *

      Hoffnungsvoll schlug Dr. Lindau am nächsten Tag, kaum dass er sein Sprechzimmer und Büro betreten hatte, das Rapportbuch auf. Ihn interessierten vor allem die Eintragungen der Intensivabteilung, die Alice Mangold betrafen. Zu seinem Leidwesen musste er feststellen, dass sich an dem Zustand der Patientin anscheinend noch nichts geändert hatte. Die Schockwirkung und die damit verbundene angenommene Bewusstseinsstörung war noch nicht abgeflaut. Nachdenklich schlug Dr. Lindau das Rapportbuch zu. Wenn er nur gewusst oder wenigstens geahnt hätte, was die wirkliche Ursache dieses Zustandes war, dann wäre es natürlich leichter, eine entsprechende Behandlung oder Therapie einzuleiten. So aber konnte man sich nur in Geduld üben.

      Es klopfte, und Marga Stäuber betrat das Zimmer.

      »Ja, Frau Stäuber?« Dr. Lindau sah seine Sekretärin fragend an. »Wie viel haben wir?«, wollte er wissen und meinte damit eventuelle Wartezimmerpatienten.

      Die Sekretärin verstand. »Stellen Sie sich vor, Herr Doktor – keinen einzigen«, erwiderte sie. »Ist das nicht erstaunlich?«

      Dr. Lindau lächelte. »Ich halte das eher für ein gutes Zeichen«, sagte er.

      »Wie Sie meinen, Herr Doktor«, entgegnete die Sekretärin und legte ihrem Chef einen dünnen Ordner auf den Schreibtisch. »Das sind die Sachen, die ich heraussuchen sollte und die Sie für Nürnberg benötigen«, erklärte sie.

      »Nürnberg?« Dr. Lindau hob verwundert die Augenbrauen an. In der gleichen Sekunde aber erinnerte er sich. »Stimmt«, stieß er hervor. »Daran habe ich gar nicht mehr gedacht.«

      »Aber ich«, gab Marga Stäuber mit Betonung zurück. »Die Tagung findet Mittwochvormittags statt.«

      »Wenn ich Sie nicht hätte, Frau Stäuber …«, entgegnete Dr. Lindau lobend und lächelte.

      Geschmeichelt warf sich Marga Stäuber in die Brust. »Man kennt doch seine Pflichten«, meinte sie. »Wann fahren Sie denn?«, wurde sie sachlich.

      »Hm …« Dr. Lindau überlegte kurz und erklärte dann: »Ich denke, dass ich morgen Nachmittag nach Dienstschluss fahren werde. Bestellen Sie doch bitte gleich ein Zimmer für mich!«

      »Mach ich«, versicherte die Sekretärin. »Für eine Nacht oder für zwei?«

      »Nur für eine, denn ich komme am Mittwochabend wieder zurück.« Dr. Lindau sah auf die Uhr. »Tja, da wir keine Wartezimmerpatienten haben, kann ich mit der Visite etwas früher beginnen«, sagte er. »Geben Sie es durch – in fünfzehn bis zwanzig Minuten fange ich auf der Kinderstation an!«

      Marga Stäuber nickte und verschwand wieder in ihr Vorzimmer.

      Dr. Lindau erhob sich und wollte auch gehen, als durch eine andere Tür seine Assistentin Bettina Wendler eintrat.

      »Keine Patienten heute?«, fragte sie.

      »Wie Sie sehen – nein«, antwortete der Chefarzt. »Was machen denn die Analysen der zweiten Gewebeprobe von Frau Gerber?«, wollte er wissen.

      »Sie bekommen Sie gegen Mittag, Herr Doktor«, erwiderte Bettina Wendler.

      »Gut.« Dr. Lindau ging zur Tür. »Ich bin die nächsten zehn Minuten auf der Intensivstation und anschließend bei der Visite, falls etwas sein sollte«, rief er seiner Assistentin zu und ging.

      Minuten später stand er schon vor dem Bett von Alice Mangold. Eine ganze Weile betrachtete er die apathisch daliegende junge Patientin, ehe er zu fragen begann. Seine Stimme klang verhalten, dabei aber beschwörend.

      »Was ist passiert, Fräulein Mangold? Hatten Sie einen Unfall? Können Sie sich daran erinnern?«

      Alice wandte den Kopf und sah den Arzt an. In ihren Augen war plötzlich ein schwaches Blinken. »Ich …, ich weiß … nicht …«, kam es dann aber stockend und kaum vernehmbar über ihre Lippen.

      In Dr. Lindaus Züge trat ein gespannter Ausdruck. Endlich, dachte er, ist eine Reaktion erkennbar. Erneut stellte er Fragen. »Sind Sie mit dem Auto verunglückt?«

      »Auto …, ja …, die Musik und …, und … die vielen Hände …«, flüsterte Alice und verzog das Gesicht. Das Nachdenken schien ihr Schmerzen zu bereiten. »Wo …, wo bin ich?« In ihren Augen war plötzlich ein Ausdruck von Furcht und Fassungslosigkeit. Man merkte ihr an, dass sie sich anstrengte, ihr Denkvermögen, ihre Erinnerung zu mobilisieren.

      So sehr Dr. Lindau dieses hübsche Mädchen auch leidtat, so sehr aber war er auch zufrieden, dass die Patientin langsam Reaktionsfähigkeit erkennen ließ – auch wenn es ihr im Augenblick noch nicht möglich war, diese in richtige Bahnen zu lenken. »Ich bin Dr. Lindau, der Chefarzt der Klinik am See und …«

      »Klinik …«, flüsterte Alice verwundert.

      »… und will Ihnen helfen«, sprach Dr. Lindau. »Sie wurden gefunden und hatten eine schwere lebensbedrohende innere Verletzung und eine Gehirnerschütterung. Wir haben Sie operieren müssen, um Ihr Leben zu retten.«

      »Mein …, mein Leben … retten …«, murmelte Alice, und in ihren Augen blitzte es kurz und schwach auf. »Dr. … Li…, Lind…au«, kam es stockend über ihre Lippen.

      »Was meinten Sie mit den vielen Händen, Fräulein Mangold?«, fragte Dr. Lindau leise. »Das ist doch Ihr Name