Die Klinik am See Jubiläumsbox 4 – Arztroman. Britta Winckler

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Название Die Klinik am See Jubiläumsbox 4 – Arztroman
Автор произведения Britta Winckler
Жанр Языкознание
Серия Die Klinik am See Box
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783740931711



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Menschen, der sich in Not befand.

      Dr. Lindau spürte, dass sich die Patientin bemühte, nachzudenken, sehr angestrengt sogar, aber dass sie resignierte, weil es ihr nicht richtig gelingen wollte. Er sah ein, dass es keinen Zweck hatte, jetzt noch länger mit der Patientin zu reden. »Ruhen Sie sich jetzt aus, Fräulein Mangold«, redete er auf das Mädchen ein. »Es wird schon wieder werden. Ich komme wieder, und dann können Sie mir vielleicht schon mehr erzählen.« Sanft strich er mit der Hand über Alices Wange, lächelte und ging leise aus dem Zimmer.

      Mit einer gewissen Befriedigung berichtete er später – die Visite und die daran anschließende Ärztebesprechung war beendet – seiner Stellvertreterin Frau Dr. Westphal von dem ersten Gespräch mit Alice Mangold.

      »Das würde ja bedeuten, dass ihr Schock sich zurückbildet, wenn auch langsam«, meinte die Ärztin.

      »Genau«, bestätigte der Chefarzt und fügte hinzu: »Und damit kommt auch sehr bald wieder das Erinnerungsvermögen, das glücklicherweise nicht vollkommen gestört ist, wie ich feststellen konnte.«

      »Also nur Bewusstseinsstörungen oder Erinnerungslücken«, entgegnete Anja Westphal.

      Dr. Lindau nickte. »Genau«, bestätigte er. »Wenn ich mich jetzt nicht irre, so möchte ich fast sagen, dass wir die Patientin bis spätestens morgen in einem Normalzustand haben werden.«

      »Na, ich weiß nicht …« Anja Westphal war etwas skeptisch.

      »Wir werden ja sehen«, meinte Dr. Lindau. »Auf jeden Fall rede ich heute noch einmal mit ihr, und auch morgen.«

      Das tat er auch. Noch zweimal an diesem Tag ging er in die Intensivabteilung und versuchte sein Glück. Ruhig und gleichermaßen beschwörend redete er auf Alice ein und stellte seine Fragen. Zu seiner Erleichterung konnte er feststellen, dass Alice mit jedem Mal besser reagierte und dass sich ihr Erinnerungsvermögen mehr und mehr einstellte.

      Als er nach Dienstschluss nach Hause fuhr, wusste er wenigstens schon, dass Alice Mangold auf einer Party gewesen war und dann in einem Auto gefahren war. Wohin und mit wem hatte sie aber nicht sagen können, so sehr sie sich auch angestrengt hatte.

      Erst der folgende Tag – es war der Dienstag, an dem Dr. Lindau zu der Tagung nach Nürnberg fahren wollte – brachte den entscheidenden Durchbruch bei Alice Mangold.

      Es war kurz vor Mittag, als Dr. Lindau wieder bei ihr war und mit ihr sprach. Ihre Blicke waren klar, und der bisherige dumpfe Druck in ihrem Kopf war fast ganz verschwunden. Sie beantwortete die verschiedenen Fragen des Arztes relativ flüssig, ohne erst angestrengt nachdenken zu müssen. Die Erinnerung an den Samstagabend, an die Fete und an das, was danach gefolgt war, hatte sich wieder eingestellt. Bis auf einige Details, an die sie sich beim besten Willen im Augenblick nicht entsinnen konnte.

      »Ich weiß nur, dass ich im Auto weggefahren bin«, erzählte sie Dr. Lindau. »Wohin?« Sie sah den Chefarzt verzagt an. »Keine Ahnung«, sprach sie weiter. »Nach Hause wahrscheinlich …«

      »Nach München also?«, warf Dr. Lindau dazwischen.

      »Nein, das glaube ich nicht«, murmelte Alice.

      »Mit wem sind Sie gefahren?«, bohrte Dr. Lindau weiter. »Können Sie sich daran erinnern?«

      »Es war …, war …« Ein gequälter Ausdruck legte sich über Alices hübsches Gesicht. »Ich weiß es nicht«, stieß sie hervor. »Es fällt mir nicht ein.«

      Dr. Lindau nickte. »Gut, lassen wir das vorerst«, ergriff er das Wort. »Wie aber sind Sie aus dem Auto auf die Straße gekommen?«, wollte er wissen. »War es ein Unfall?«

      Nachdenklich blickte Alice den Arzt an, der ihr so großes Vertrauen einflößte. »Kein Unfall«, sagte sie. »Es …, es … waren die Hände, vor denen ich Angst hatte und dann …, dann ging die Tür plötzlich auf und …« Sie sprach nicht weiter, sondern starrte schweigend vor sich hin.

      »Dann sind Sie aus dem Auto gefallen. War es so?« Zwingend sah Dr. Lindau die Studentin an.

      Die wich dem Blick des Chefarztes aus. »S…, so muss es wohl gewesen sein«, erwiderte sie mit leiser Stimme.

      Dr. Lindau spürte, dass er jetzt nicht mehr aus Alice herausbekommen würde. Sie musste erst die wenigen noch fehlenden Erinnerungen finden. Lächelnd strich er der Patientin über die auf der Bettdecke liegende Hand. »Ich lasse Sie jetzt in Ruhe, Fräulein Mangold«, sagte er. »Morgen komme ich wieder zu Ihnen, und dann reden wir weiter. Heute Nachmittag fahre ich nämlich nach Nürnberg und komme erst morgen gegen Abend wieder. Ich verspreche Ihnen aber, dass ich sofort zu Ihnen komme, wenn ich zurück bin. Kopf hoch, junge Dame! Wir kriegen Sie schon wieder vollkommen in Ordnung.«

      Ein schwaches Leuchten war in Alices Augen. »Danke, Herr Doktor«, flüsterte sie. »Auch dafür, dass Sie mir das Leben gerettet haben.«

      Dr. Lindau winkte ab. »Also dann bis morgen Abend«, sagte er und ging. Auf dem Weg hinunter in sein Büro fiel ihm plötzlich etwas ein. Etwas verwundert registrierte er, dass Alice Mangold während aller Gespräche, die er bisher mit ihr geführt hatte, nicht ein einziges Mal von irgendwelchen Angehörigen, von Eltern oder auch von Freunden gesprochen hatte, die eventuell zu verständigen gewesen wären. Sollte es da wirklich niemanden geben?

      *

      Fast drei volle Tage brauchte Katharina Helbrecht, um ihre maßlose Enttäuschung über den Ausgang des Samstagabends einigermaßen zu überwinden. Dabei hatte sie sich schon so nahe an ihrem Ziel geglaubt. Wenn dieser Anruf in der Nacht nicht gekommen wäre, hätte sie es bestimmt geschafft, Hendrik für sich zu gewinnen. Dessen war sie sich sicher. Er war ja schließlich auch nur ein Mann, in dessen Adern warmes Blut floss. Katharina war nicht an einem vorübergehenden Liebesabenteuer mit dem gut aussehenden Chefarzt der Klinik am See interessiert. Nein, sie wollte ihn ganz für sich und für immer, weil sie ihn liebte. Zumindest redete sie sich das ein, und es war ihr auch tatsächlich ernst damit.

      Schade, dass ich nicht mehr seine Patientin bin, dachte sie. Diese Überlegung ließ sie plötzlich stutzen. »Warum eigentlich nicht?«, murmelte sie fragend vor sich hin. »Als Patientin wäre ich in seiner unmittelbaren Nähe.« Das war es ja, was sie anstrebte – seine Nähe. Dann würde sich bestimmt eine Gelegenheit ergeben, ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Schließlich lebte man ja in einer modernen und aufgeschlossenen Zeit, in der es nicht allein dem Mann zustand, die Initiative in Liebessachen zu ergreifen. Das konnte eine Frau heutzutage auch, und Katharina verspürte auch keine Hemmungen, sich einem Mann, dem Mann, den zu lieben sie sich einbildete, zu offenbaren.

      Fast den ganzen Dienstagnachmittag dachte sie darüber nach und dann plötzlich glaubte sie die Lösung gefunden zu haben. »Ich werde mich als Patientin in die Klinik legen lassen, als Privatpatientin«, flüsterte sie. »Dann muss Hendrik persönlich die Behandlung übernehmen.«

      Katharina wusste auch schon, wie sie das anstellen konnte. Sie war schließlich noch bis vor wenigen Tagen wegen ihres Herzleidens bei Dr. Lindau in Behandlung gewesen. Das schien ihr jedenfalls ein guter Vorwand zu sein, um als Patientin in der Klinik aufgenommen zu werden. Dieses Herzleiden konnte ja wiedergekommen sein, redete sie sich ein. Außerdem war sie eine Frau, in der auch etwas schauspielerische Begabung steckte. Es würde ihr also nicht allzu schwerfallen, Herzkrämpfe oder etwas ähnliches ein wenig vorzutäuschen.

      Katharina hatte diese Gedanken und Überlegungen kaum zu Ende gebracht, da war sie auch schon fest entschlossen, ihr Vorhaben auszuführen. Noch an diesem Tag wollte sie das tun. Es fehlten nur noch wenige Minuten bis sechs Uhr abends, als sie zum Telefon griff und den Notarzt in Rottach anrief.

      »Bitte kommen …, kommen … Sie rasch zu mir!« Sie nannte ihren Namen und ihre Adresse. »Ich …, ich glaube, ich habe einen …, einen Herzanfall.« Bewusst sprach sie mit schwacher und stockender Stimme, und es klang fast echt.

      Der Notarzt versprach sein sofortiges Kommen.

      Zehn Minuten später ließ Katharina ihn ins Haus. Es war ein junger Arzt. Er stellte ihr etliche Fragen, kontrollierte ihren Puls und horchte das Herz ab.

      »Schmerzen?«,