Die Klinik am See Staffel 2 – Arztroman. Britta Winckler

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Название Die Klinik am See Staffel 2 – Arztroman
Автор произведения Britta Winckler
Жанр Языкознание
Серия Die Klinik am See Staffel
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783740939724



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Brühl die Augen. Ihr Blick wanderte durch das Zimmer, und dann begriff sie. Sie lag in der Klinik am See und hatte ihr Kind zur Welt gebracht. Sie hob den Kopf und merkte, daß sie sich frisch fühlte. Erstaunt begriff sie, daß sie lange und fest geschlafen hatte.

      Ihr Blick fiel auf das Nachttischchen. Richtig! Die Ärztin hatte ja veranlaßt, daß man ihr etwas zu essen hinstellte. Nun spürte sie auch, daß sie Hunger hatte. Sie konnte nicht anders, sie griff sich eines der Brötchen und biß hinein. In diesem Moment öffnete sich die Tür und Schwester Karla steckte den Kopf ins Zimmer.

      »Guten Morgen!« Neugierig sah sie auf Susanne. »Sind Sie schon lange wach? Warum haben Sie nicht geklingelt?«

      »Ich bin gerade erst aufgewacht.« Unsicher legte Susanne das angebissene Brötchen auf den Teller zurück.

      »Sie haben Hunger? Das ist verständlich! Ich bringe Ihnen gleich das Frühstück.« Karla lächelte Susanne an. In der Klinik gab es heute nur ein Gesprächsthema, und das war die namenlose Patientin. »Fühlen Sie sich gut?« Sie hätte der Patientin gern weitere Fragen gestellt.

      »Ja! Ich werde aufstehen.« Susanne warf die Bettdecke zurück. Sie hatte kein Recht, hier zu sein.

      »Bleiben Sie doch liegen«, rief Schwester Karla erschrocken. »Dr. Westphal hat bereits nach Ihnen gesehen.«

      »Dr. Westphal«, wiederholte Susanne und ihre Augen weiteten sich erschrocken.

      »Frau Dr. Westphal ist die Stellvertreterin des Chefs«, erklärte Schwester Karla. Dann besann sie sich aber ihrer Pflichten. »Ich hole Ihr Frühstück.«

      »Danke, ich glaube, ich habe doch keinen Hunger!« Susanne ließ sich ins Bett zurücksinken.

      »Sie müssen essen, das wird Ihnen die Frau Doktor auch sagen.« Sie ließ die Türklinke noch einmal los. »Haben Sie sonst noch irgendeinen Wunsch?«

      »Nein! Doch! Mein Kind! Wie geht es meinem Baby?«

      »Gut!« Schwester Karla wußte Bescheid. Sie hatte selbst einen Blick auf das Baby geworfen, das sich noch im Brutkasten befand. »Nach der Visite können Sie vielleicht aufstehen und dann können Sie Ihr Baby sehen. Die Oberschwester hat vorhin gemeint, daß Ihr Baby nicht mehr allzulange im Brutkasten bleiben muß.«

      »Das ist schön!« Für den Bruchteil einer Sekunde huschte ein Lächeln um Susannes Gesicht. »Es wird also leben!«

      »Natürlich! Frau Dr. Westphal wird es Ihnen bestätigen.« Schwester Karla lächelte, doch dann bemerkte sie, daß der Blick der Patientin starr zur Decke gerichtet war. Freute die Frau sich denn nicht darüber, daß es ihrem Kind gutging? Sie betrachtete die Frau eingehend. Susanne, die den Blick spürte, drehte den Kopf zur Seite. Da verließ die Schwester rasch das Zimmer.

      Obwohl Susanne hörte, daß die Tür geschlossen wurde, rührte sie sich nicht. Sie lebte und ihr Kind lebte. Darüber war sie froh. Doch wie sollte es nun weitergehen? Sie konnte für ihren Aufenthalt hier nicht aufkommen, konnte die Arztkosten nicht bezahlen. Wohin sollte sie mit dem Kind?

      Wieder wurde die Tür geöffnet. Rasch schloß Susanne die Augen.

      »Sie schläft noch«, hörte Susanne eine Männerstimme sagen.

      »So, ich dachte, Schwester Karla hat gesagt, daß sie aufgewacht sei«, wunderte sich die Oberschwester, die an der Seite von Dr. Hoff das Krankenzimmer betreten hatte.

      »Vielleicht ist sie wieder eingeschlafen. Da Frau Dr. Westphal sich um diese Patientin persönlich kümmern will, wollen wir nicht weiter stören«, sagte der Frauenarzt. Trotzdem trat er näher. Susanne versuchte gleichmäßig zu atmen.

      »Kollege Bernau hat recht«, sagte er wenige Sekunden später und wandte den Kopf nach der Oberschwester. »Sie ist sehr hübsch. Wer sie wohl ist? Schon eigenartig, daß sie keine Papiere bei sich hatte. Aus der Umgebung scheint sie nicht zu sein, jedenfalls wird sie von niemandem vermißt.«

      »Ich weiß«, bestätigte die Oberschwester. »Ich habe bereits mit der Polizei gesprochen. Man rief schon bei uns an. Die Nachforschungen blieben bisher erfolglos.«

      »Nun, man wird uns schon noch sagen, wer sie ist«, meinte der Arzt. Er warf noch einen Blick auf Susanne. Irrte er sich oder zitterten ihre Lider leicht? Er beschloß, der Sache nicht auf den Grund zu gehen. Auf Wunsch von Dr. Westphal war die junge Mutter ihre Patientin. So wandte er sich ab, sagte jedoch noch: »Schwester Erna, sorgen Sie dafür, daß sie ein reichhaltiges Frühstück bekommt. Wenn sie aufwacht, wird sie Hunger haben. Sie muß essen, damit sie wieder zu Kräften kommt.« Er ging zur Tür. »Kommen Sie, Oberschwester!«

      Erna Lackner nickte. Sie folgte Dr. Hoff aus dem Zimmer. Vor der Tür meinte sie: »Sie hat nicht geschlafen, das haben Sie doch gemerkt?«

      »Natürlich! Lassen wir ihr Zeit.« Unwillkürlich sah Dr. Hoff auf seine Armbanduhr. Bis zur Visite blieb ihm noch fast eine Stunde. »Ich sehe nach den anderen Neuaufnahmen.«

      Kaum hatte sich die Tür geschlossen, setzte Susanne sich ruckartig auf. Panik stand in ihren Augen. Sie mußte weg, bevor man sie und ihr Kind auf die Straße setzte. Warum hatte man gleich die Polizei eingeschaltet? Sie hatte doch nichts getan. Sie hatte niemanden täuschen wollen.

      Susanne hatte noch keinen klaren Gedanken gefaßt, als ein Geräusch an der Zimmertür sie erneut erschreckte. Rasch legte sie sich wieder zurück und schloß die Augen. Sie wollte mit niemandem sprechen.

      Schwester Karla stieß die Tür mit dem Fuß weiter auf. Sie rollte den Frühstückswagen ins Zimmer. Als sie merkte, daß die Patientin die Augen geschlossen hielt, zuckte sie die Achseln, vermied aber, Lärm zu machen. Vorsichtig stellte sie das Tablett auf den Tisch. Susanne rührte sich nicht. Erst als Schwester Karla den Wagen wieder aus dem Zimmer gerollt hatte, schlug sie die Augen auf. Was sie hier tat, hatte doch keinen Sinn! Sie konnte sich nicht ständig schlafend stellen. Bald würde jemand kommen und ihr Fragen stellen. Man würde nach ihrem Namen und ihrer Adresse fragen. Sie hatte nicht mehr in ihre kleine Wohnung zurück gewollt, dort erinnerte sie alles nur an Ralf. Die nächste Frage würde ihrer Krankenkasse gelten. Gestern wäre sie beinahe gestorben. Man hatte ihr das Leben gerettet und nicht nur ihr, sondern auch ihrem Kind. Dunkel erinnerte sie sich, daß viele Ärzte ihr Bett umstanden hatten. Man hatte sich auch um ihr Kind gekümmert. Sie hatte es Dr. Lindau zu verdanken, daß ihr Kind lebte, und er würde dafür sorgen, daß es ihm weiterhin gutging. Dieser Gedanke setzte sich in ihr fest und ließ sich nicht mehr verdrängen. Dr. Lindau würde für ihr Kind sorgen! Sie konnte es nicht.

      Susanne stand auf. Zuerst schwankte der Boden noch etwas unter ihren Füßen, doch sie biß die Zähne zusammen. Sie mußte hier weg, bevor ihr jemand Fragen stellen konnte. Man würde sie sowieso hinauswerfen, aber für ein unschuldiges Kind würde man sorgen. Susanne suchte ihre Kleider. Mit zitternden Fingern zog sie sich an, den Blick ständig auf die Tür gerichtet. Sie erschrak, als sie den riesigen Blutfleck an ihrem Rock entdeckte. Zum Glück fand sie im Waschraum einen weißen Mantel.

      Diesen zog sie über. Sie handelte, ohne nachzudenken, steckte ein Stück Seife ein, nahm vom Frühstückstablett ein Brötchen und zwei Kipfchen und dann wunderte sie sich, daß inzwischen niemand das Zimmer betreten hatte.

      Mit unsicheren Schritten ging sie auf die Tür zu. Noch immer kam niemand. Sie öffnete die Tür und trat hinaus auf den Gang. Automatisch setzte sie Fuß vor Fuß. Aus den Augenwinkeln bemerkte sie, daß jemand aus einer Tür kam. Sie ging einfach weiter den Gang entlang. Da war ein Lift, sie trat ein, drückte auf einen Knopf, die Kabine setzte sich in Bewegung. Ohne sich dessen bewußt zu sein, hatte sie den untersten Knopf gedrückt. So fuhr sie in den Keller. Von dort stieg sie eine Treppe hinauf und gelangte durch einen Hinterausgang in den Park. Hier war zu dieser Morgenstunde noch nicht viel los. Niemand sprach sie an und so gelangte sie bis zum Ufer des Sees. Dort setzte sie sich auf eine Bank, und ihre Erstarrung begann sich zu lösen. Sie hatte es geschafft, sie hatte die Klinik verlassen. Nun mußte sie nur noch irgendwo untertauchen. Von diesem Augenblick an begann Susanne, gezielt zu handeln. Versteckt hinter einem Busch versuchte sie, den Blutfleck aus ihrem Kleid zu entfernen. Nach wenigen Minuten war sie so erschöpft, daß sie innehalten mußte.