Die Klinik am See Staffel 2 – Arztroman. Britta Winckler

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Название Die Klinik am See Staffel 2 – Arztroman
Автор произведения Britta Winckler
Жанр Языкознание
Серия Die Klinik am See Staffel
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783740939724



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zwischen den Händen. So traf ihn Dr. Lindau an. Herr Frehner hatte sein Kommen nicht gehört. Er stand bereits einige Zeit vor dem verzweifelten Mann, ehe dieser den Kopf hob.

      »Herr Doktor!« Ingo sprang auf. Er nahm die Hand des ihm gut bekannten Chefarztes und schüttelte sie. »Wie schön, daß Sie da sind! Sie werden meinem Sohn helfen.«

      Ernst schüttelte Dr. Lindau den Kopf. »Ich wollte, ich könnte es! Ich selbst habe noch nie einen lebenden Tetanusfall gehabt. Noch besteht jedoch Hoffnung. Im Gegensatz zu Krebs ist der Starrkrampf nicht unbesiegbar. Sie können sicher sein, daß hier bereits alles getan wird. Die nächsten Stunden, nein, Tage wird man Ihr Kind keine Sekunde aus den Augen lassen.«

      »So lange?«

      Der Chefarzt nickte. »Der Zustand Ihres Kindes kann tagelang unverändert sein, das heißt für Sie aber, daß noch Hoffnung besteht.«

      »Sie meinen, ich kann nichts tun als warten, warten und nochmals warten?« fragte Ingo verzweifelt. Seine Füße versagten ihm den Dienst, er ließ sich wieder auf die Bank fallen.

      »Sie können hoffen!«

      »Hoffen«, wiederholte Ingo bitter. »Sie haben recht! Als meine Frau den Unfall hatte, ging alles so schnell. Bereits eine Stunde später wußte ich, daß es keine Hoffnung mehr gab.«

      Dr. Lindau sah auf den Mann, der sein Gesicht abgewandt hatte. Das Schicksal war hart mit ihm umgesprungen. Er räusperte sich. »Ich sehe jetzt nach Ihrem Jungen, dann unterhalten wir uns weiter.«

      Ingo antwortete nicht, und so verschwand der Chefarzt in der Intensivstation. Dort wurde er bereits von seiner Tochter und seinem Schwiegersohn erwartet, denn er hatte sich telefonisch angemeldet gehabt.

      »Ich hoffe, das Richtige getan zu haben«, sagte Dr. Mertens. »Es ist ein Wunder, daß das Kind noch lebt.«

      Astrid trat an die Seite ihres Mannes. »Hör auf zu grübeln. Wenn du nicht Toxin gegeben hättest, wäre Patrick schon tot.«

      »Nun ist die Frage, ob er das Toxin überlebt oder das Toxin ihn.«

      Dr. Lindau bemerkte im Gesicht seines Schwiegersohnes zwei tiefe Falten, die er bisher noch nie wahrgenommen hatte. Er legte ihm die Hand auf die Schulter. »Ich kann gut verstehen, wie dir zumute ist. Es ist nicht einfach, erkennen zu müssen, daß uns Grenzen gesetzt sind. Ihr werdet weiter um das Leben dieses Kindes kämpfen, aber die Entscheidung über Leben und Tod trifft am Ende ein anderer.«

      Erstaunt sah Astrid ihren Vater an. So hatte sie ihn noch nie sprechen gehört.

      »Ich möchte nicht, daß ihr euch Vorwürfe macht.« Sehr ernst blickten die Augen des erfahrenen Arztes von der Tochter auf den Schwiegersohn. »Ich selbst habe vor Jahren einmal an mir gezweifelt. Ich konnte nicht helfen. Eine Patientin starb mir unter den Händen. Damals war ich nahe daran, meinen Beruf aufzugeben. Im übrigen konnte ich auch Astrids Mutter nicht helfen.«

      Dr. Mertens Schultern strafften sich. »Dein Vater hat recht. Wir werden unseren Kampf fortsetzen, und noch können wir gewinnen. Es kann Tage dauern, bis eine Änderung in Patricks Zustand eintritt. Bei Wundstarrkrampf geht es um Leben und Tod, für uns ist jedoch wichtig, daß bei einer Genesung keine Hirnschäden oder dergleichen zurückbleiben.«

      »Ich habe noch keinen mit Wundstarrkrampf infizierten Patienten gesehen«, gestand Astrid.

      »Ich kenne Tetanus nur aus Lehrbüchern.«

      »Ein Tetanusfall kommt auch heutzutage so gut wie nicht mehr vor«, entgegnete ihr Vater. »Wunden werden sofort desinfiziert. Man sucht einen Arzt auf. Oder aber man erkennt den Wundstarrkrampf erst, wenn der Verletzte tot ist.«

      »So weit ist es zum Glück noch nicht!« Astrid strich sich das Haar zurück. »Alexander und ich werden uns an Patricks Bett abwechseln. Da ich heute keinen Dienst hatte, werde ich die Nachtschicht übernehmen.«

      »Ich bleibe selbstverständlich auch in der Klinik.«

      »Du mußt dich etwas ausruhen.« Besorgt sah Astrid ihren Mann an.

      »Ich lege mich dann schon für ein oder zwei Stunden hin. Entschuldige mich, bitte, Papa! Ich sehe wieder nach Patrick.«

      »Kann ich euch helfen?«

      »Danke, Papa, aber wir haben bereits einen Sitzwachplan entwickelt. Auch andere Ärzte haben sich bereit erklärt, Sonderdienst zu machen. Wie du weißt, kann es Tage dauern.«

      Dr. Lindau nickte, dann fiel Ihm der Hotelier ein. »Weiß das Herr Frehner auch?«

      »Ist er etwa noch hier? Ich habe ihn gebeten, nach Hause zu gehen.« Astrid zuckte die Achseln. »Da werde ich noch einmal mit ihm reden müssen. Es hat keinen Sinn, wenn er die Nacht hier verbringt. Er kann nichts für Patrick tun.«

      »Laß nur, Kind! Ich werde mit ihm sprechen.« Eigentlich hatte er Astrid von der jungen Mutter erzählen wollen, aber er merkte selbst, daß jetzt nicht der richtige Zeitpunkt dazu war. Daher sagte er noch einmal mit Überzeugung: »Ich werde mich um Herrn Frehner kümmern.« Er nickte seiner Tochter aufmunternd zu, sein Schwiegersohn war bereits wieder an Patricks Bett geeilt.

      »Wie geht es Patrick?« Ingo Frehner sprang auf, als Dr. Lindau aus der Intensivstation kam. Seine Augen hingen am Gesicht des Chefarztes.

      »Ich habe ihn nicht gesehen«, sagte Dr. Lindau ehrlich. »Ich habe aber mit meiner Tochter und meinem Schwiegersohn gesprochen. Sie müssen Geduld haben. Die Krankheit ist erst vor wenigen Stunden ausgebrochen. Wir sind nicht einmal sicher, ob sie bereits den Höhepunkt erreicht hat. Es wird Tage dauern, bis wir etwas anderes sagen können. Inzwischen wird Ihr Sohn intravenös ernährt.«

      »Was soll ich inzwischen tun?«

      »Nach Hause gehen! Es hat keinen Sinn, wenn Sie hier sitzen bleiben.«

      »Sie wollen mich wegschicken? Das können Sie nicht!« Ingo nahm wieder auf der Bank Platz. Sein Gesicht war starr.

      »Niemand will Sie wegschicken. Ich appelliere nur an Ihre Vernunft.« Dr. Lindau setzte sich neben den Hotelier. »Sie können nichts ändern. Auch ich kann nichts tun. Ich habe mich davon überzeugt, daß für Ihren Sohn bereits alles getan wird.«

      »Das glaube ich! Nur, was soll ich zu Hause?«

      »Sie müssen sich beschäftigen, sonst stehen Sie diese Tage nicht durch. Es kann länger dauern, und Sie können nicht tagelang hier sitzen.« Da der Hotelier nichts sagte, verbesserte Dr. Lindau sich: »Natürlich können Sie es, nur hätte es keinen Sinn. Sie müssen versuchen, nicht ununterbrochen an Patrick zu denken.«

      »Ich versuche nur zu begreifen.« Ingo sah den Chefarzt nicht an, er verschlang die Hände ineinander. »Tetanus! Mein Sohn hat eine Wunde gehabt und diese hat sich entzündet.« Abrupt wandte er den Kopf, jetzt suchte er den Blick des Chefarztes. »Können Sie mir erklären, wie dies möglich war?«

      »So wie meine Tochter sagte, hat sich Ihr Sohn an einem Stacheldraht geritzt, das war deutlich zu erkennen. Herr Frehner, wenn Sie wollen, erzähle ich Ihnen, was ich über Wundstarrkrampf weiß. Aber muß das hier sein?«

      »Gut, Sie wollen mich von hier weg haben.« Ingo erhob sich. »Aber wohin gehen wir? In mein Haus möchte ich nicht. Dort ist Angela, Fräulein Wunter. Sie hat sich in den letzten Wochen um Patrick gekümmert. Ich war froh darüber, Patrick sollte nicht unter dem Tod seiner Mutter leiden. Doch jetzt weiß ich, daß es ein Fehler war. Ich kenne Angela überhaupt nicht, trotzdem habe ich ihr meinen Sohn anvertraut.«

      »Kommen Sie! Am besten wird es sein, wir gehen in Ihr Hotel. Dort bekomme ich auch etwas zu essen und zu trinken. Ich habe heute noch kaum Zeit dazu gehabt. Sie können in Ihrem Hotel übernachten, und wir können reden.«

      Ingo verstand. »Sie wollen mir also Gesellschaft leisten, das ist nett von Ihnen. Ich weiß wirklich nicht, wie ich die Stunden verbringen soll. Ich darf Sie also bitten, mein Gast zu sein?«

      Dr. Lindau konnte nicht ablehnen. Er würde sich also nicht früh zu Bett begeben können, sondern mit dem Hotelier zu Abend essen. Dem Essen