Die Klinik am See Staffel 1 – Arztroman. Britta Winckler

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Название Die Klinik am See Staffel 1 – Arztroman
Автор произведения Britta Winckler
Жанр Языкознание
Серия Die Klinik am See Staffel
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783740912307



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ihn plötzlich und wurde in Sekundenschnelle zu einem festen Gedanken, der ihn nicht mehr losließ. »Melanie«, preßte er hervor, »wollen Sie mit Ihren Worten etwa andeuten, daß Sonja Mutterfreuden entgegensieht?«

      Die Garderobiere und Vertraute Sonja Parvettis nickte. »Und Sie Vaterfreuden«, erklärte sie. »Erlauben Sie mir zu sagen, daß ich es unverständlich finde, daß ein Mann, der eine Frau zu lieben angibt, kein Kind von ihr haben möchte. Aber seien Sie beruhigt, Herr Steenwell«, redete sie hastig weiter, »es wird nicht dazu kommen, wenn da unten in Bayern alles gutgeht. Vielleicht hat sie es jetzt schon hinter sich und ist schon wieder auf dem Heimweg. Wären Sie damit zufrieden?« In einem sarkastischen, ja, fast beißenden Ton warf sie dem Mann diese Frage an den Kopf.

      Roger Steenwell gab keine Antwort. Seine Gedanken wirbelten chaotisch durcheinander. Es dauerte eine Weile, bis er wieder klarer und vor allem realistischer denken konnte. »Das habe ich nicht gewußt«, stieß er hervor. »Verdammt«, fluchte er. »Weshalb hat sie mir verschwiegen, daß sie schwanger ist? Das ist sie doch, wenn ich Sie richtig verstanden habe?«

      »Ja«, bestätigte die Garderobiere. »Sie hat Ihnen nichts gesagt, weil sie Angst hat, daß Sie sich dann von ihr abwenden würden.«

      »So ein verdammter Unsinn«, knirschte Roger Steenwell. »Zugegeben – ich wollte die folgenden Jahre natürlich gern mit ihr allein verbringen. Ohne ein Kind, das dabei… nun ja... doch irgendwie etwas gestört hätte.« Aufgebracht schnaufte er hörbar durch die Nase. »Aber wenn sie schon Mutter werden soll...« Abrupt brach er ab und starrte die Garderobiere an. »Ist Sonja etwa nach Bayern gefahren, um sich das zu erwartende Baby wegmachen zu lassen, nur weil ich... weil sie...?« Er wußte nicht weiter.

      »Das war jedenfalls ihre Absicht, Herr Steenwell.«

      »Himmel noch mal, das soll sie doch nicht«, stieß der Mann aufgebracht hervor. »Das darf sie nicht.«

      Melanie horchte auf. »Heißt das, daß Sie Frau Parvetti auch heiraten würden, wenn sie Ihnen ein Kind schenkt?« fragte sie.

      »Ja und nochmals ja, zum Donnerwetter, denn ich liebe sie mit oder ohne Kind.« Roger Steenwell schrie diese Worte fast.

      »Du meine Güte«, stieß Melanie erschrocken hervor. »Warum haben Sie ihr das nicht schon früher gesagt?«

      »Warum, warum?« fuhr Roger Steenwell auf. »Sagen Sie mir lieber, wohin Frau Parvetti gefahren ist.«

      »Nach Bayern in irgendeinen kleinen Ort, dessen Namen ich nicht weiß«, antwortete Melanie Reimer. Inbrünstig hoffte sie jetzt nur, daß Frau Parvetti noch keinen Arzt gefunden hatte, der ihr Problem zu lösen bereit war. Mitfühlend sah sie auf Roger Steenwell hinab, der sich in einen Sessel hatte sinken lassen und mit finsterer Miene vor sich hin starrte. »Was nun?« fragte sie leise, bekam aber keine Antwort. Auch als sie die Frage wiederholte, reagierte Steenwell nicht. Achselzuckend zog sie sich zurück.

      Roger Steenwell schien gar nicht wahrgenommen zu haben, daß er allein in dem großen Zimmer war. Ein Gedanke jagte den anderen. Sein Kopf schmerzte vom Grübeln. Er verfluchte sich und seine Einstellung hinsichtlich eines Kindes. Plötzlich sah er alles mit ganz anderen Augen. Wie sehr mußte Sonja ihn doch lieben, wenn sie sich entschloß, auf Mutterfreuden zu verzichten und sich einer Prozedur zu unterwerfen, die mit Risiken verbunden war und die ihr letztlich einen seelischen Knacks geben konnte.

      »Nein, nein, das darf nicht sein«, murmelte er. »Ich muß das verhindern, wenn es noch möglich ist. Aber verdammt«, fuhr er in seinem Selbstgespräch fort, »wo ist sie hingefahren? Bayern ist groß. Wo soll ich sie finden?«

      Da zuckte plötzlich ein Gedanke in ihm hoch. Er erinnerte sich, daß Sonja ihm früher einmal etwas von einem Besitz da unten in Bayern erzählt hatte, in dem sie die Kinderjahre verbracht hatte. Der Name jenes Ortes war zwar auch gefallen, aber trotz angestrengten Nachdenkens fiel er ihm jetzt nicht ein. An einem See lag jener Ort – das wußte er noch.

      »Zum Teufel, wie hieß er nur?« stieß Roger Steenwell zornig hervor. Da kam ihm eine Idee. Vielleicht, so dachte er, erinnere ich mich daran, wenn ich den Namen auf der Karte lese. Federnd sprang er hoch und holte sich eine Karte von Süddeutschland aus dem Regal, in dem derlei Dinge lagen.

      Mit einer Lupe suchte er Zentimeter für Zentimeter auf der Karte ab. Die bayerischen Seen interessierten ihn vor allem. Zehn Minuten später hatte er gefunden, was er suchte. Ja, das war es. Als er den Namen des Sees und des daneben liegenden Ortes las, erinnerte er sich wieder. Sein Entschluß stand auch Sekunden darauf fest. Er würde dorthin fahren, und er war sicher, daß er dort auch Sonja finden würde. Nochmals studierte er die Karte und rechnete sich aus, daß er in etwa vier Stunden an Ort und Stelle sein konnte. Mit seinem Wagen war das durchaus zu schaffen.

      Roger Steenwell überlegte. Sollte er jetzt gleich losfahren? Die Uhr zeigte die elfte Nachtstunde. »Nein«, murmelte er. »Jetzt gehe ich zu Bett, fahre um vier Uhr morgens los und bin spätestens gegen neun da unten.« So etwas wie Erleichterung überkam ihn, als er sich nun zum Handeln entschlossen hatte.

      Das einzige, was ihn noch kurz vor dem Einschlafen bewegte, war der Gedanke, daß er vielleicht zu spät kam, daß es schon geschehen war. Hoffentlich nicht, dachte er und schlief ein.

      *

      »Gut geschlafen, Paps?« empfing Astrid ihren Vater, als der am Frühstückstisch Platz nahm.

      »Mehr oder minder«, erwiderte Dr. Lindau. »Weshalb fragst du?«

      »Weil ich dich in der Nacht habe etwas rufen hören, es aber nicht verstehen konnte«, erklärte Astrid. »Gestöhnt hast du auch. Hast du etwa wieder geträumt?«

      Dr. Lindaus Miene verfinsterte sich. »Ja«, antwortete er kurz.

      »Von meiner Mutter?«

      »Stimmt«, bestätigte Dr. Lindau. »Aber lassen wir das.« Man merkte ihm an, daß er darüber nicht weiter sprechen wollte.

      Astrid stellte auch keine weiteren Fragen. Sie schenkte Kaffee ein und reichte dem Vater die frischen Brötchen. Eine ganze Weile herrschte Schweigen zwischen Vater und Tochter. Erst nach mehr als zehn Minuten ergriff Astrid wieder das Wort. »Erwartest du heute viele Patienten?« wollte sie wissen.

      »Schwer zu sagen, Mädchen«, antwortete Dr. Lindau und legte die Serviette beiseite. »Weshalb willst du das wissen?«

      »Weil... weil... ich eigentlich am Vormittag für eine halbe Stunde weg möchte – zur Post und dann noch wegen einiger kleiner Einkäufe«, gab Astrid zurück.

      »Ich habe nichts dagegen«, meinte Dr. Lindau lächelnd. »Ich komme schon zurecht. Hm, bei der Gelegenheit könntest du einige Rezepte in der Apotheke abgeben.«

      »Selbstverständlich«, entgegnete Astrid. »Wenn es dir recht ist, radle ich um zehn Uhr los.«

      »Es ist mir recht.« Dr. Lindau stand auf und sah nach der Uhr. »Nanu, ist es tatsächlich schon gleich neun?« wunderte er sich.

      »So ist es«, bestätigte Astrid lächelnd. »Wir haben ein wenig verschlafen. Aber die Sprechstunde beginnt ja erst um neun.«

      »Trotzdem.« Dr. Lindau schritt zur Tür. »Ich gehe schon hinunter.«

      »Ich komme gleich nach, wenn ich abgeräumt habe«, rief Astrid ihrem Vater nach, als der sich entfernte.

      Aus dem gleich wurden dann aber doch fast zwanzig Minuten. Als Astrid im Sprechzimmer erschien, war ihr Vater gerade mit einer Patientin beschäftigt. Um nicht zu stören, machte sie sich im Labor zu schaffen. Sie reinigte einige Retorten und Phiolen und sortierte sie in den Glasschrank ein. Erst, als sie die Patientin das Sprechzimmer verlassen sah, trat sie zu ihrem Vater. »Ich wäre dann soweit«, sagte sie. »Du wolltest mir Rezepte…«

      »Ja, richtig.« Dr. Lindau reichte seiner Tochter das Verlangte. »Du brauchst sie nur abzugeben, die Patientinnen wissen Bescheid.«

      »In Ordnung, Paps.« Astrid verstaute die Umschläge in ihrer Tasche. »Ich fahre mit dem Rad und bin bald wieder zurück.« Astrid verließ das Sprechzimmer zur Wohnungsseite hin, holte