Die Klinik am See Staffel 1 – Arztroman. Britta Winckler

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Название Die Klinik am See Staffel 1 – Arztroman
Автор произведения Britta Winckler
Жанр Языкознание
Серия Die Klinik am See Staffel
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783740912307



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in ihrem ganzen Verhalten und in ihrer äußeren Erscheinung auf eine ganz bestimmte Weise von den meisten Frauen unterschied, die in seine Praxis kamen. Da war etwas, was ihn ein wenig irritierte. Es war das Gesicht, das ihm bekannt vorkam und ihn an irgend etwas erinnerte. »Eine Frage vorweg, Frau Angern«, ergriff Dr. Lindau das Wort. »Kennen wir uns? Waren Sie schon einmal in meiner Praxis?«

      Die Besucherin zuckte unmerklich zusammen. »Nein, Herr Doktor«, antwortete sie mit leiser, angenehm klingender Stimme. »Noch nie…«

      »Also eine Ähnlichkeit«, murmelte Dr. Lindau. In seinem Kopf aber blieb der Gedanke, diese Frau schon gesehen zu haben, haften. Mit dem Namen der Frau konnte er allerdings auch nichts anfangen. Er hatte plötzlich das Gefühl, daß dieser Name nicht richtig war. Es wäre nicht das erste Mal gewesen, daß eine Frau zu ihm kam und einen anderen Namen angab, weil sie von ihm das wollte, was er auch bei seiner jetzigen Besucherin vermutete. Er sollte sich nicht getäuscht haben. »Ich will Ihnen den Grund für mein Hiersein sagen…«

      »Ich kann ihn mir denken«, entgegnete Dr. Lindau, als die Frau nicht weitersprach.

      »Sieht man mir das an?« Die Besucherin erblaßte etwas, verlor jedoch nicht ihre Selbstsicherheit. »Also, um es kurz zu machen«, sprach sie weiter, »ich bin schwanger und möchte Sie um Ihre Hilfe bitten.«

      »Sie meinen damit sicher keinen Abort«, gab Dr. Lindau ruhig zurück. »Ich dachte es mir.«

      »Ja, das meine ich und… und… Ihr Honorar…«

      »Davon wollen wir nicht reden, meine Dame«, warf Dr. Lindau dazwischen. »Seit wann sind Sie schwanger?« wurde er nun sachlich, behielt aber seine Freundlichkeit weiter bei.

      »Seit… seit… zwei Monaten et­wa«, kam die Antwort. »Ich kann und darf das Baby aber nicht bekommen.«

      »Deshalb möchten Sie, daß ich einen Schwangerschaftsabbruch vornehme…«

      »Ja. Ich bitte Sie darum. Sie werden es nicht zu bereuen haben.«

      Dr. Lindau winkte ab. »Lassen wir diesen Punkt beiseite, Frau Angern«, sagte er.

      Spätestens in diesen Sekunden stand bei ihm fest, daß er den Wunsch dieser Frau nicht erfüllen würde. Nicht ohne wirklich zwingenden Grund. Einen solchen konnte er aber beim besten Willen jetzt nicht erkennen. Die Frau machte einen durchaus gesunden Eindruck, und ihr Äußeres, ihre elegante Kleidung einschließlich des vor dem Hause stehenden gewiß nicht billigen Wagens deutete darauf hin, daß sie nicht gerade in Armut lebte. Dr. Lindau hatte es sich aber zur Pflicht gemacht, solchen Frauen, die mit einem derartigen Wunsch zu ihm kamen, nicht sofort ein striktes Nein entgegenzuhalten. Er hatte es immer für richtiger empfunden, diesen Frauen zuzureden, im Körper heranwachsendes neues Leben nicht der Vernichtung zuzuführen. Der Erfolg in den vergangenen Jahren hatte ihm gezeigt, daß er mit dieser Einstellung einer Art Therapie, auf dem richtigen Weg war. Zugegeben – manche Frauen, jüngere wie schon etwas ältere, die sich mit solchen Problemen an ihn gewandt hatten, waren verzweifelt gewesen. Die von ihnen genannten Gründe für einen Abort waren vielfältig und zum Teil auch verständlich gewesen. Doch er war hart geblieben. Und – es hatte sich gelohnt. Er war nicht wenig stolz auf die verschiedenen Dankschreiben jener Frauen, die dank ihm trotz vorherigem Wunsch nach Schwangerschaftsunterbrechung dann doch glückliche, zumindest aber zufriedene Mütter geworden waren.

      Nachdenklich sah Dr. Lindau seine Besucherin an. Er war entschlossen, auch hier seine sich bisher bewährte Therapie anzuwenden und sich nicht sofort ablehnend zu verhalten. »Weshalb wollen Sie Ihr Kind nicht haben?« fragte er.

      »Weil… weil… es mein… Beruf nicht erlaubt, daß ich… Mutter werde«, kam die ein wenig stockend hervorgebrachte Antwort.

      »Ich bin… bin Künstlerin und als solche ständig unterwegs.«

      »Hm, ich sehe ein, daß dabei ein Kind etwas hinderlich ist«, meinte Dr. Lindau. »Allerdings ließen sich bei einem solchen Problem sicher andere Lösungen finden, denke ich.«

      »Eben nicht, Herr Doktor.«

      »Darf ich fragen, welcher Art Künstlerin Sie sind, Frau Angern?«

      »Ich bin Sängerin«, kam die Antwort.

      In Dr. Lindaus Kopf schrillte plötzlich eine Art Alarmsignal. »Sängerin?« wiederholte er fragend. »Schlager, Pop oder…«

      »Nein, Opernsängerin.« Beinahe entrüstet kam es über die Lippen der jungen Frau.

      Forschend sah Dr. Lindau die Frau an, die sich als Opernsängerin ausgab. In diesen Sekunden fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Natürlich, schoß es ihm durch den Sinn, deshalb kommt mir das Gesicht bekannt vor. Auf dem Umschlag der Schallplatte, die seine Tochter ihm gezeigt hatte, war diese junge Frau abgebildet. Herrgott, wie ist doch gleich ihr Name? überlegte er blitzschnell. Sonja – daran erinnerte er sich. Aber wie noch? Irgendwie italienisch war der Nachname. Und plötzlich wußte er es – Parvetti, ja.

      Nur wenige Sekunden hatten diese Überlegungen beansprucht. Geradezu erleichtert kam sich Dr. Lindau vor, als er nun wußte, wer seine Besucherin in Wirklichkeit war. »Darf ich Sie bei Ihrem richtigen Namen nennen – Frau Parvetti?« fragte er leise.

      Sonja Parvetti wurde blaß. »Sie wissen, wer ich bin?« fragte sie flüsternd.

      »Meine Tochter ist ein Fan von Ihnen«, erklärte Dr. Lindau lächelnd. »Sie hat Schallplatten von Ihnen. Am Freitag hat sie sich die Übertragung von LA TRAVIATA angehört und aufgezeichnet. Ich aber habe Ihr Bild auf einem dieser Plattenumschläge gesehen.« Er lächelte. »So einfach ist das, Frau Parvetti«, setzte er hinzu.

      »Ja, so einfach«, flüsterte die Opernsängerin. Fest sah sie den Arzt an. »Hat das nun eine Bedeutung für Sie, daß Sie jetzt wissen, wer ich bin?« fragte sie. Ihre Stimme klang gepreßt. »Ich meine – werden Sie mir jetzt helfen?«

      »Ich werde Ihnen helfen«, erwiderte Dr. Lindau. Allerdings nicht so, wie Sie sich das vorstellen, fügte er in Gedanken hinzu.

      Sonja Parvetti oder Selma von Angern, wie sie mit dem richtigen Namen hieß, atmete erleichtert auf. »Wann, Herr Doktor?« fragte sie leise. »Heute? Jetzt gleich?«

      Dr. Lindau schüttelte den Kopf. »Nein«, antwortete er. »So schnell geht das nun wieder nicht. Zunächst muß ich Sie untersuchen. Es könnte doch auch sein, daß sich bei Ihnen eine sogenannte Scheinschwangerschaft eingestellt hat.«

      Dr. Lindau stand auf. Aus einem der Glasschränkchen holte er ein leeres Fläschchen hervor. Er reichte es der Sängerin. »Sie wissen, wozu das ist?« fragte er und gab auch gleich die Antwort dazu: »Für eine Urinprobe. Gleich nach dem Aufstehen morgen früh. Den ersten…«

      »Ich verstehe«, murmelte die junge Frau ein wenig verschämt.

      »Gut so«, entgegnete Dr. Lindau. »Damit kommen Sie bitte morgen vormittag wieder zu mir. Ich nehme dann eine Untersuchung vor und dann… dann werden wir weitersehen.«

      Sonja Parvetti erhob sich. Hoffen und Bangen war in ihr, als sie sich verabschiedete und von Dr. Lindau bis zum Ausgang begleitet wurde.

      Dessen Miene war nachdenklich, als er der davonfahrenden braunen Limousine nachblickte, sich dann ins Haus zurückbegab, die Eingangstür verschloß und anschließend hinauf in die Wohnung ging.

      »Hallo, Paps…« Astrid kam aus der Küche gestürmt. Ihr Atem ging hastig. »Weißt du schon das Neueste?« rief sie dem Vater zu.

      »Die Dame, die ich vorhin eingelassen habe, ist…«

      »Sonja Parvetti«, fiel Dr. Lindau seiner Tochter ins Wort.

      Astrid bekam runde Augen. »Du weißt es?« fragte sie und schien enttäuscht zu sein, weil ihr die Überraschung nicht gelungen war.

      »Ja«, antwortete Dr. Lindau und erzählte mit wenigen Sätzen, wie er das herausgefunden hatte. »Aber du, wie bist du dahintergekommen?« fragte er.

      »Als sie vorhin das Haus verließ, hatte sie keinen Schleier vor dem Gesicht«, erklärte Astrid. »Ich