Die Klinik am See Staffel 1 – Arztroman. Britta Winckler

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Название Die Klinik am See Staffel 1 – Arztroman
Автор произведения Britta Winckler
Жанр Языкознание
Серия Die Klinik am See Staffel
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783740912307



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hin. Es wurde spät, bis sie endlich zu Bett ging.

      Wird er mir helfen oder nicht? Aber was dann, wenn er ablehnt? Das waren ihre letzten Gedanken, bevor sie der Schlaf überkam.

      *

      Eine der ersten Patientinnen, die am nächsten Tag Dr. Lindaus Sprechzimmer betrat, war Evelyn Lenzer aus Rosenheim.

      »Herr Doktor, ich habe das Gefühl, daß das Mittel, was Sie mir gegeben haben, schon Wirkung zeigt«, sprudelte sie gleich nach den ersten Begrüßungsworten hervor.

      »Freut mich, Frau Lenzer.« Dr. Lindau ließ sich seine Skepsis nicht anmerken. Er wußte, daß das nicht stimmen konnte, denn die Behandlung war noch nicht abgeschlossen. Zufrieden aber war er, daß die Patientin sich das einbildete und an eine Besserung ihres Leidens glaubte. Für ihn als den Arzt war eine positive Einstellung einer Patientin zu ihrem jeweiligen Leiden nur hilfreich.

      »Dennoch müssen wir die Behandlung fortsetzen«, erklärte er der Patientin.

      Die lächelte. »Natürlich«, sagte sie, »deswegen bin ich ja auch hier. Tun Sie also, was sein muß…«

      Dr. Lindau nickte. Minuten später war die Behandlung vorbei.

      »Wann wieder?« fragte Evelyn Lenzer.

      »In drei Tagen.« Freundlich verabschiedete Dr. Lindau die Frau und gab Astrid einen Wink, die nächste Patientin hereinzulassen.

      Von nun an ging es verhältnismäßig rasch. An diesem Vormittag waren keine komplizierten Fälle zu behandeln. Zwei Frauen mußte Dr. Lindau zu etwas komplizierteren Untersuchungen ins Krankenhaus nach Rosenheim überweisen. Eine andere, eine junge Frau, die halb verzweifelt über einige häßliche Leberflecken im Gesicht und am Hals war, mußte er ebenfalls abweisen.

      Er sah auf die Uhr. »Nanu, schon so spät?« murmelte er. »Wo bleibt Frau Parvetti?«

      »Vielleicht hat sie es sich überlegt und will nun doch ihr Baby haben«, mutmaßte Astrid.

      »Daran kann ich nicht so recht glauben«, meinte Dr. Lindau. »Aber was soll’s? Wen haben wir denn noch?« fragte er.

      »Eine Frau sitzt noch im Wartezimmer.«

      »Also dann herein mit ihr.«

      Astrid war schon an der Tür, öffnete sie und schloß sie aber sofort wieder. »Sie ist da, Paps«, rief sie ihrem Vater mit verhaltener Stimme zu.

      »Wer? Frau Parvetti?«

      Astrid nickte. »Soll ich sie zuerst hereinlassen?« fragte sie.

      »Nein«, antwortete Dr. Lindau. »Auch eine prominente Opernsängerin muß die Reihenfolge einhalten.«

      Astrid verstand und bat die nächste Patientin ins Sprechzimmer.

      Dr. Lindau brauchte nicht lange, um die etwa fünfzigjährige Frau, die über Schlafstörungen klagte, abzufertigen. »Ich habe Ihnen hier etwas aufgeschrieben«, sagte er nach einigen Fragen an die Patientin, »und das holen Sie sich in der Apotheke. Einnahme täglich zwei Stunden vor dem Schlafen.«

      »Danke, Herr Doktor.« Zufrieden entfernte sich die Frau.

      »Also, dann wollen wir uns mal Frau Parvetti vornehmen«, rief Dr. Lindau seiner Tochter zu.

      Die war schon an der Tür. »Frau Parvetti – bitte…«

      Die so Aufgerufene stutzte. »Sie wissen meinen Namen?« fragte sie verwundert, als sie an Astrid vorbei ins Sprechzimmer ging.

      »Mein Vater sagte mir, daß Sie…«

      »Ach so? Hat er auch gesagt, weshalb ich hier bin?«

      Auch ohne die warnenden Blicke des Vaters, wußte Astrid, was sie zu antworten hatte. »Natürlich nicht, denn mein Vater hält sehr viel von der ärztlichen Schweigepflicht – auch mir, seiner Tochter gegenüber«, erklärte sie ruhig.

      »Aber Sie sind doch Assistentin hier, wenn ich mich nicht irre.«

      »Meine Tochter ist nur vorübergehend als eine Art Hilfskraft in der Praxis«, schaltete sich Dr. Lindau ein. »Sie beginnt erst in Kürze mit dem Medizinstudium.«

      »Ach, Sie wollen Ärztin werden?« fragte die Sängerin interessiert.

      »Ja, gnädige Frau«, antwortete Astrid, »und zwar Kinderärztin, um dann mit meinem Vater zusammenarbeiten zu können. Das ist mein größter Wunsch.« Leiser setzte sie hinzu: »Wir müßten nur eine Klinik haben.«

      »Eine Klinik?« Sonja Parvetti sah Dr. Lindau fragend an. »Wollen Sie sich sozusagen selbständig machen?«

      »Möchten schon«, erwiderte Dr. Lindau mit einem gezwungen wirkenden Lächeln. »Aber das sind natürlich nur Wunschträume, die sich wohl nie erfüllen lassen.«

      »Weshalb nicht?« fragte die Patientin.

      Dr. Lindau winkte ab. »Als Frauenarzt kan man kein Millionär werden«, sagte er gepreßt. »Ein solcher aber müßte man fast sein, um sich eine eigene Klinik leisten zu können, in der Vater und Tochter gemeinsam tätig…« Er unterbrach sich und wurde wieder realitätsbezogen. »Aber lassen wir das und kommen wir zur Sache.« Er warf Astrid einen Blick zu, den diese sofort verstand.

      Sie entfernte sich aus dem Sprechzimmer.

      Auch Sonja Parvetti schien begriffen zu haben. »Danke, Herr Doktor«, flüsterte sie.

      »Ich… hatte Sie eigentlich schon früher erwartet«, gab Dr. Lindau der Patientin zu verstehen.

      »Ich . . ich… dachte, daß es besser ist, wenn… wenn… ich etwas später komme«, gab Sonja Parvetti stockend zurück.

      »Ich verstehe«, entgegnete Dr. Lindau. »Sie möchten gern unerkannt, anonym bleiben. Deshalb kommen Sie unter anderem Namen zu mir. Richtig?«

      »In etwa haben Sie recht«, erwiderte die Sängerin leise. »Bei meinem Anliegen an Sie ist das wohl auch verständlich, oder?«

      Dr. Lindau ignorierte diese letzten Worte. »Haben Sie die Urinprobe mitgebracht?« wurde er nun vollkommen sachlich.

      »Hier.« Sonja Parvetti stellte das in Zellophan eingepackte kleine Fläschchen auf den Schreibtisch.

      »Gut. Ich werde die Probe sofort untersuchen«, sagte Dr. Lindau und stand auf. »Sie aber können sich nebenan im Untersuchungszimmer schon freimachen, damit ich auch bei Ihnen eine Untersuchung vornehmen kann.«

      Die Sängerin zuckte zusammen. »Muß das sein?« fragte sie leise, erhob sich aber und ging in das vom Arzt bezeichnete Untersuchungszimmer.

      »Es muß«, rief Dr. Lindau der Patientin zu, während er gleichzeitig mit der Untersuchung der Urinprobe begann. »Als Arzt muß ich mir zumindest ein Bild von Ihrer Schwangerschaft machen. Wie ich Ihnen schon gestern sagte, könnte es sich ja auch um eine sogenannte Scheinschwangerschaft handeln – mit den gleichen Symptomen…«

      Sonja Parvetti gab darauf keine Antwort und tat, wie ihr geheißen wurde. Zwei Minuten später wurde sie von Dr. Lindau untersucht. Das nahm nur wenige Minuten in Anspruch.

      »Sie können sich wieder ankleiden.« Dr. Lindau ging zum Schreibtisch zurück, setzte sich und machte sich einige Notizen. Unmittelbar darauf kam auch Sonja Parvetti aus dem Untersuchungsraum und nahm ebenfalls Platz. Erwartungsvoll sah sie den Arzt an.

      Dr. Lindau hielt dem fragenden Blick seiner Besucherin stand und ergriff das Wort. »Sie sind tatsächlich schwanger«, sagte er. »Sie dazu zu beglückwünschen, ist wohl nicht angebracht, nachdem ich Ihren Wunsch nach einen Abort vernommen habe. Ich frage mich allerdings, weshalb Sie Ihr Kind nicht haben wollen. Sie sind, wie ich feststellen konnte, gesund. Ein Risikofaktor bei einer Geburt des Kindes ist nicht zu erkennen. Eine soziale Indikation kommt auch nicht in Frage…«

      »Aber ich sagte Ihnen doch schon den Grund, Herr Doktor«, fiel Sonja Parvetti dem Arzt heftig ins Wort.

      »Bitte seien Sie mir nicht böse, aber es fällt mir schwer…«