Die Klinik am See Staffel 1 – Arztroman. Britta Winckler

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Название Die Klinik am See Staffel 1 – Arztroman
Автор произведения Britta Winckler
Жанр Языкознание
Серия Die Klinik am See Staffel
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783740912307



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»Er ist ein Arzt, der sich an seinen hipokratischen Eid gebunden fühlt.« Diese Erkenntnis war ihr nach dem Weggang aus der Praxis gekommen. Lange war sie kreuz und quer durch die Gegend gefahren und hatte dabei überlegt, was sie nun tun sollte.

      »Aber was soll nun werden?« warf Anna Schleitz die Frage auf.

      »Ich... ich... weiß es nicht«, stammelte die Schloßherrin.

      In den Zügen der Kastellansfrau zuckte es. Man sah ihr an, daß ihre grauen Zellen in höchster Erregung waren. Sie überlegte, wie sie ihrer Baronesse helfen könnte. Daran hatte sie schon gedacht, als diese von ihrem Arztbesuch noch nicht zurück gewesen war. Anna Schleitz war nicht dumm. Schon am Vorabend, als sie erfahren hatte, daß Selma wegen eines Abortes zu Dr. Lindau gehen wollte, waren ihr Zweifel gekommen, ob der auf Selmas Verlangen eingehen würde.

      Noch nie hatte man von ihm gehört, daß er sich zu einem illegalen Schwangerschaftsabbruch bereitgefunden hatte.

      »Vielleicht weiß ich, was geschehen soll«, sagte sie mit verhaltener und geradezu geheimnisvoll klingender Stimme.

      »Ja?« Ein winziger Hoffnungsschimmer zeigte sich in Sonja Parvettis Augen.

      »Ja«, bestätigte Anna Schleitz und blickte sich nach allen Seiten wie eine Verschwörerin um, ehe sie weitersprach. »Es gibt nämlich jemanden hier im Ort, von dem man sagt, daß er so etwas macht«, sagte sie. »Es kostet natürlich etwas und – es ist natürlich nicht offiziell. Sie verstehen.«

      O ja, die junge Schloßherrin verstand. »Anna, Geld spielt keine Rolle, das weißt du«, entgegnete sie. »Wer ist das? Ein Arzt?« wollte sie wissen.

      »Das gerade nicht«, kam die Antwort. »Es ist eine ehemalige Krankenschwester, eine schon ältere Frau. Sie kennt sich aus.«

      »Hat sie das früher schon…?«

      »Aber ja«, fiel Anna Schleitz der Sängerin hastig ins Wort. »Von Klagen der Betroffenen hat man bis heute noch nichts gehört«, fügte sie hinzu.

      Hinter Sonja Parvettis Stirn überschlugen sich die Gedanken. Ganz wohl war ihr nicht gerade bei dem Gedanken, sich einer nichtstudierten Medizinerin auszuliefern. Aber hatte sie eine andere Wahl, wenn sie Roger nicht verlieren wollte?

      »Du weißt, wo sie zu finden ist?«

      »Ja«, antwortete die Frau des Kastellans. »Sie wohnt nicht weit von hier, auf der anderen Seite des Ortes, in der Aue-Siedlung, jenseits des Flusses. Im fünften Häuschen auf der rechten Seite.«

      Sekundenlang war Schweigen zwischen den beiden Frauen.

      »Was soll ich tun, Anna? Was würdest du mir raten? Dir habe ich doch immer vertraut.« Bittend sah Sonja diese Frau des Kastellans an.

      »Raten?« wiederholte die fragend und schüttelte den Kopf. »Das, liebe Selma, kann ich nicht. Ich kann Ihnen nur raten, sich das gut zu überlegen, denn es ist allein Ihre Entscheidung.«

      »Ich weiß das«, flüsterte die Schloßherrin und zog sich in ihr Zimmer zurück. Grübelnd saß sie bis zum Abend am Fenster und starrte zum naheliegenden See hinüber. Schweigend nahm sie dann später ein paar Bissen zu sich und verschwand wieder. Niedergeschlagen begab sie sich dann zu Bett. Schlaf fand sie lange keinen. Aber als es dann endlich soweit war, hatte sie sich zu einem Entschluß durchgerungen – nämlich doch am nächsten Tag zu jener Frau zu gehen und deren Hilfe zu erkaufen.

      »Ich tu’s der Liebe wegen, deinetwegen, lieber Roger«, flüsterte sie und schlief wenig später ein.

      *

      Wenn es so etwas wie Gedankenübertragung gab, so traf das an diesem späten Abend zu, als Roger Steenwell nach Erledigung der üblichen Zollformalitäten das Flughafengebäude des Rhein-Mainflughafens eiligst verließ und sich mit einem Taxi in die Stadt fahren ließ.

      Mit allen seinen Gedanken war er bei Sonja. Man sah ihm die Freude des Wiedersehens an. Obwohl er nur wenige Tage fort gewesen war, hatte er doch mächtige Sehnsucht nach der Frau, mit der er sein weiteres Leben teilen wollte.

      Roger Steenwell war ein wenig schuldbewußt, weil er nicht wie versprochen aus den Staaten angerufen hatte. Aber die paar Tage drüben waren eine einzige Hetze gewesen, die allerdings den Vorteil erbracht hatte, daß er schon jetzt wieder zurückkehren konnte. Er hatte mit einer knappen Woche gerechnet; die ihn in den Staaten beschäftigt hätte. Roger Steenwell unterdrückte sein Schuldbewußtsein und redete sich ein, daß Sonja sich bestimmt über seine frühzeitige Rückkehr freuen würde – so wie das auch bei ihm der Fall war.

      Enttäuscht war er aber wenig später, als ihm von Sonjas Garderobiere Melanie erklärt wurde, daß Sonja außer Haus sei.

      »Wo ist sie?« wollte er wissen. Forschend sah er Melanie an.

      »Frau Parvetti ist… ist… weggefahren«, kam die zögernde Antwort. »Ich bin allein hier.«

      »Weggefahren? Wohin? Und wann kommt sie zurück? Ist sie zu einer Party, einer Gesellschaft?« stieß Roger Steenwell fragend hervor. »Sagen Sie es mir, und ich werde sie abholen«, verlangte er.

      Melanie Reimer war ein wenig durcheinander. Mit der so raschen Rückkehr Herrn Steenwells hatte sie nicht gerechnet. Wäre er wie geplant erst in drei oder vier Tagen wiedergekommen, so wäre Frau Parvetti auch schon wieder hiergewesen. Sie wußte jetzt nicht, was sie sagen sollte. »Ich... ich... weiß nicht genau, wo... wo… Frau Parvetti ist und wann sie wiederkommt«, stotterte sie. »Vielleicht morgen schon«, entfuhr es ihr.

      Roger Steenwell stutzte. »Was heißt das – morgen?« fuhr er Sonjas Vertraute an. »Ist sie denn nicht in Frankfurt?«

      »Nein«, erwiderte Melanie Reimer leise. »Sie ist in Bayern.«

      In Roger Steenwells Zügen zuckte es. »Was macht Frau Parvetti in Bayern?« fuhr er auf. Er hatte plötzlich das Gefühl, daß die Garderobiere etwas verschwieg. Eine eifersüchtige Anwandlung überkam ihn. »Melanie«, herrschte er die verlegen dreinblickende Frau an. »Sie wissen mehr, als Sie mir eben gesagt haben. Also reden Sie! Raus mit der Sprache! Was ist geschehen? Weshalb ist Sonja nach Bayern gefahren? Was halten Sie vor mir geheim?«

      Melanie Reimer zuckte zusammen. Obwohl sie nichts gegen Herrn Steenwell hatte – im Gegenteil –, löste der Ton, mit dem er sie anherrschte, Aggressionen in ihr aus. Ihr Körper versteifte sich. »So dürfen Sie nicht mit mir reden, Herr Steenwell«, zischte sie. »Ich bin nicht Ihre Angestellte.«

      »Ja, ja, ist ja gut, Melanie«, lenkte Roger Steenwell ein. »Ich wollte Ihnen auch nicht zu nahe treten. Aber Sie müssen doch verstehen, daß ich mir Gedanken und auch Sorgen mache.« Mit leiser Stimme setzte er hinzu: »Ich liebe Frau Parvetti nämlich.«

      »Ich weiß«, gab Melanie schon wieder versöhnlicher gestimmt zurück. »Aber Sie sollten auch danach handeln. Entschuldigen Sie, daß ich Ihnen das so direkt sage.«

      Roger Steenwell winkte ab. »Ich habe nichts gegen Offenheit und begründete, ehrliche Kritik«, sagte er gepreßt. »Aber wie soll ich Ihren Vorwurf verstehen?« Zwingend sah er die vor ihm stehende Frau an. »Also bitte, sagen Sie mir, was Sie wissen!« bat er.

      Melanie Reimer kämpfte mit sich. Durfte sie sich anmaßen, jetzt ein wenig Schicksal zu spielen oder es zumindest zu versuchen? Doch selbst wenn sie das tat und Erfolg hatte, war es dann nicht vielleicht schon zu spät? Wenige Augenblicke zögerte sie noch, doch dann brach es vorwurfsvoll aus ihr heraus: »Eigentlich sind Sie ja schuld daran, daß Frau Parvetti jetzt einen solchen verzweifelten Schritt tun muß – nur weil sie Sie so sehr liebt.«

      Roger Steenwell starrte Melanie Reimer fassungslos an. »Was für einen verzweifelten Schritt?« fragte er erregt.

      »Na, weil Sie keine Kinder von Frau Parvetti haben wollen…«

      Roger Steenwell zuckte zusammen. »Was hat das denn mit Sonjas Fahrt nach Bayern zu tun?« wollte er wissen. Seine Stirn umwölkte sich, und in seinem Kopf begann es zu brodeln.

      »Frau Parvetti möchte Sie nicht verlieren«, entgegnete Melanie. »Das aber