Название | Die Klinik am See Staffel 1 – Arztroman |
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Автор произведения | Britta Winckler |
Жанр | Языкознание |
Серия | Die Klinik am See Staffel |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783740912307 |
»Aber Sie haben doch sicher schon Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen«, warf die Patientin ein.
»Das habe ich«, bestätigte Dr. Lindau. »Sehr wenige nur. Ich kann sie an einer Hand abzählen. Nur diese wenigen waren medizinisch begründet, weil entweder das Leben der Mutter oder des Kindes in Gefahr waren. Bei Ihnen jedoch ist weder das eine noch das andere gegeben. Sie aber sollten sich wirklich ernsthaft überlegen, was für Spätfolgen sich einstellen könnten, wenn ich Ihrem Verlangen nachkäme.« Mit ruhiger Stimme und verständlichen Worten machte er der Sängerin klar, daß bei einem Abort unter Umständen eine spätere Mutterschaft hinfällig sein könnte. Minutenlang redete er auf die mehr und mehr verzweifelnde Sonja Parvetti ein. Eindringlich erklärte er ihr die Risiken – körperlicher wie seelische Art.
»Viele Frauen, die einen solchen Schritt getan haben – aus welchen Gründen auch immer – waren zuerst zufrieden, ja, fast glücklich«, beendete er seine lange Rede. »Das böse Erwachen kam aber später. Sie haben es seelisch nicht verkraftet, und was anfangs als Glück betrachtet wurde, ist zum Unglück geworden.«
Sonja Parvetti blieb von solchen Worten zwar nicht unbeeindruckt, aber sie hatte sich nun einmal zu diesem Schritt entschlossen. Liebend gern hätte sie, wenn es nur nach ihr gegangen wäre, ihr Kind zur Welt gebracht. Aber es ging eben nicht allein nach ihr. Roger wollte kein Kind, das war der springende Punkt. Es war ihr ohnehin schon ungeheuer schwergefallen, zugunsten der Liebe zu Roger auf ihr Baby verzichten zu wollen oder zu müssen. »Ich darf das Kind nicht zur Welt bringen, Herr Doktor«, stieß sie verzweifelt hervor.
»Wer sagt das?« Zwingend sah Dr. Lindau die junge Frau an.
»Roger, mein Verlobter«, entfuhr es ihr unkontrolliert.
Dr. Lindau horchte auf. »Ist das der Vater des Kindes?« hakte er sofort nach.
Die Sängerin nickte.
»Weiß er es?«
»Nein, noch nicht…«
»Weshalb nicht?« Dr. Lindaus Fragen wurden drängender. »Lieben Sie denn diesen Mann?«
»Das ist es ja eben«, brach es aus Sonja Parvetti schluchzend heraus. »Gerade weil ich ihn so sehr liebe, darf ich kein Kind haben«, fuhr sie mit sich überstürzenden Worten fort. »Er würde sich von mir abwenden, wenn er wüßte, daß ich Mutter werde, weil er das Leben mit mir allein und ohne Kinder genießen will. Verstehen Sie das nicht, Herr Doktor?«
»Ehrlich gesagt nein«, antwortete Dr. Lindau. »Anders ausgedrückt – ich habe kein Verständnis für eine solche Haltung eines Mannes, der von einer schönen und liebenswerten Frau geliebt wird, der diese Frau, wie ich annehme, ebenfalls liebt. Dieser Mann – Roger, nannten Sie ihn…«
»Ja, Roger Steenwell«, fiel Sonja Parvetti dem Arzt leise ins Wort. »Er ist Deutsch-Amerikaner…«
»Was und wie auch immer«, ergriff Dr. Lindau rasch wieder das Wort, »auf jeden Fall ist das eine sehr egoistische Einstellung.«
»Mag sein, aber er liebt mich und möchte mit mir allein das…«
»Das sagten Sie schon«, fiel Dr. Lindau seiner Besucherin ins Wort. »Hm, wenn Sie möchten, so will ich gern einmal mit diesem Herrn ein paar ernste, aber vernünftige Worte reden.«
»Um Gottes willen, nein«, wehrte Sonja Parvetti erschrocken ab. »Roger darf nicht einmal wissen, daß ich schwanger bin und bei Ihnen um Hilfe gebeten habe.« Tränenglanz war in ihren Augen, als sie Dr. Lindau flehentlich ansah. »Sie müssen mir helfen, Herr Doktor!« stieß sie hervor. »Ich zahle Ihnen, was Sie wollen.«
»Frau Parvetti, das ist keine Sache des Geldes«, entgegnete Dr. Lindau ernst, »sondern eine Sache der Ethik, der Moralauffassung und des ärztlichen Gewissens. Es tut mir leid, aber ich kann Ihren Wunsch nicht erfüllen.«
»Warum nicht?« fuhr die Sängerin auf. »Können Sie nicht oder wollen Sie nicht?«
Dr. Lindau ließ sich nicht aus der Fassung bringen. »Zunächst einmal will ich nicht, weil kein zwingender Grund vorhanden ist«, erklärte er mit eindringlicher Stimme. »Zum anderen aber, ich kann nicht aus… nun sagen wir mal... rein technischen Gründen! Ihre Schwangerschaft ist in einem Stadium, in dem eine normale Indikation in der Praxis nicht ohne Risiko vorgenommen werden kann. Sie müßten sich in eine Klinik begeben und dort einen operativen Eingriff vornehmen lassen. Ich aber habe keine Klinik, leider. So gern ich sie auch gehabt hätte.«
»Mein Besuch bei... bei... Ihnen… war also… vergebens?« flüsterte Sonja Parvetti, die sich sehr zusammennehmen mußte, um nicht in Tränen auszubrechen. »Aber Sie könnten einen Abbruch bei mir hier in Ihrer Praxis vornehmen, wenn Sie nur wollten?«
»Notfalls könnte ich das unter Umständen, aber ich will nicht«, antwortete Dr. Lindau. »Frau Parvetti, bitte, seien Sie doch vernünftig! Lassen Sie den Gedanken an einen Abort fallen, und Sie werden dankbar und glücklich sein, wenn das neue kleine Erdenbürgerlein erst in Ihren Armen, an ihrer Brust liegt«, redete er der Sängerin zu. »Kommen Sie morgen über Mittag wieder zu mir, dann reden wir weiter.« Er wußte natürlich, daß er morgen oder übermorgen auch nichts anderes sagen würde, als was er jetzt schon erklärt hatte.
Ihm kam es jetzt nur darauf an, Sonja Parvetti durch gutes und eindringliches Zureden ihren Entschluß zu einer Abtreibung als absurd, als völlig falsch hinzustellen.
Sonja Parvetti gab keine Antwort. Sie fühlte, nein, sie wußte nun, daß dieser Dr. Lindau sie nicht von ihrem Problem, von ihrer Sorge und Angst befreien würde. Er wollte es gar nicht. Diese Erkenntnis war wie ein Schock für sie. Hastig stand sie auf und lief grußlos davon.
Dr. Lindau war sekundenlang von dieser Reaktion so überrascht, daß er wie erstarrt sitzenblieb. Als er sich nach Sekunden dann wieder faßte, aufsprang und der Sängerin nachlief, sah er sie gerade noch in ihrer braunen Limousine wegfahren. Irgendwie unzufrieden mit sich selbst ging er ins Sprechzimmer zurück. Minutenlang starrte er nachdenklich vor sich hin.
»Hallo, Paps, so nachdenklich?« Astrid war eingetreten.
Dr. Lindau fuhr aus seinen Überlegungen hoch.
Er ließ die Frage unbeantwortet.
»Haben wir noch jemanden im Wartezimmer?« fragte er statt dessen.
Astrid öffnete die Tür zum Wartezimmer. »Nein«, gab sie zurück.
»Gut...« Dr. Lindau stand auf. »Ich fahre jetzt für ein Weilchen weg«, erklärte er. »Sag’ Frau Stäuber, daß sie Schluß machen kann.«
»Mach ich.« Astrid blickte den Vater verwundert an. »Willst du nicht raufkommen und etwas essen?« fragte sie.
»Später, wenn ich zurückkomme«, erwiderte Dr. Lindau kurz. »Ich fahre über Land und besuche noch zwei Hauspatienten«, setzte er hinzu und ging.
Mit nachdenklicher Miene begab sich Astrid in die Wohnung hinauf.
*
»Ich war schon in Sorge, weil es so lange gedauert hat«, empfing Anna Schleitz aufgeregt die Herrin des Schlosses, als diese am späten Nachmittag wieder im Schloß eintraf. »Ist alles gutgegangen?« fragte sie drängend.
Der Blick, mit dem die Sängerin die Frau des Kastellans bedachte, sagte mehr als Worte. Ein Ausdruck von Enttäuschung, Niedergeschlagenheit und auch Verzweiflung war in den Augen der jungen Frau. Man konnte sehen, daß sie geweint hatte.
Anna Schleitz verstand auch ohne weitere Fragen. Mitfühlend legte sie den Arm um Sonja Parvettis Schulter. »Kommen Sie, Selma, und erzählen Sie!« bat sie. »Wir sind allein und ungestört.«
»Es gibt nicht viel zu erzählen«, antwortete die Sängerin mit klagender Stimme. »Doktor Lindau hat abgelehnt…«
»So