Название | Darcian |
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Автор произведения | Julia Lindenmair |
Жанр | |
Серия | |
Издательство | |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783946843887 |
»Was passiert hier? Wer seid ihr?« Ihre zitternde Stimme trifft auf meinen bebenden Körper.
Ich spüre, wie mir das Blut in den Kopf schießt, und mache vor Überraschung den Mund mehrmals auf und wieder zu, denn er ist von einer Sekunde auf die andere wie ausgetrocknet.
»Keine Angst, du bist in guten Händen. Wir werden dich jetzt ins Krankenhaus bringen. Dort wirst du umgehend verarztet«, antwortet ein schmächtiger Sanitäter auf ihre Frage, die eigentlich nicht an ihn gerichtet war.
In den Augenwinkeln sehe ich, wie sich Lucien die Hand vor den Mund hält. »Warte mal. Sie ist nicht tot, oder?« Er sieht mich erstaunt an. »Wie kann es sein, dass sie uns sieht?«
»Dasselbe wollte ich auch gerade fragen«, meldet sich Nora, genauso perplex, wie ich mich fühle.
Mein Atem wird schneller – noch nie habe ich mich in einer derartigen Situation wiedergefunden.
»Ich habe keine Ahnung, aber hier läuft gerade etwas gewaltig schief.« In meinem Kopf krame ich nach einer logischen Erklärung, doch mir fällt beim besten Willen nichts darauf ein. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass es jemals einen vergleichbaren Fall gegeben hat, bei dem uns ein Mensch vor seinem Tod sehen konnte. Das ist so unmöglich, dafür gibt es nicht einmal ein Protokoll.
»Ist das hier die versteckte Kamera, oder warum seid ihr alle angezogen wie beim Karneval?« White reibt sich ihre geröteten Augen. »Und Nora, wie bekommen sie es hin, dass du so verdammt unsichtbar aussiehst?«
Nora klappt den Mund auf, aber kein Ton kommt über ihre Lippen. Wie sollte sie es auch erklären, damit ihre Schwester es versteht, ohne einen Anfall zu bekommen? Aber egal, wie sie es formuliert, es führt alles auf dasselbe hinaus.
»Das reicht. Wir müssen etwas unternehmen.« Lucien stupst mich an, doch ich stehe nur da wie gelähmt. Auch Nora sieht mich hilflos an, allerdings stehe ich dieser Situation absolut machtlos gegenüber, und zum ersten Mal habe ich das Gefühl, die Kontrolle zu verlieren. Tausend Unklarheiten durchströmen mich, während die Sanitäter hinter uns die Türen schließen und der Rettungswagen losfährt.
Einer der Sanitäter setzt sich neben White und kontrolliert ihre Infusionen.
»Können sie mir bitte sagen, was hier überhaupt los ist? Vor allem, wer diese eigenartigen Gestalten sind?« Finster dreinblickend deutet White auf Lucien und mich. »Sie selbst scheinen nämlich auf den Mund gefallen zu sein. Von meiner Schwester mal ganz abgesehen.« Vorwurfsvoll schweift ihr Blick durch die Runde.
»Entschuldigen Sie bitte, aber ich weiß leider nicht, wovon sie sprechen.« Ich beobachte, wie die Sanitäter verwirrte Blicke austauschen. »Es könnte sein, dass ihnen ihr Zustand einen Streich spielt. Ein Hirntrauma ist bei einem derartigen Unfall nicht ausgeschlossen …«
White presst die Lippen aufeinander. »Welcher Unfall?«
»Dafür muss es doch eine Erklärung geben, oder? Jetzt steht nicht einfach tatenlos da, unternehmt gefälligst was!«, brüllt uns Nora an, während der Sanitäter versucht, White über die Geschehnisse der letzten Minuten zu informieren.
»Verdammt Darcian, Nora hat recht. Du musst dringend etwas unternehmen!«, äußert sich Lucien besorgt.
Zwar weiß ich nicht, was ich sagen soll, doch ich trete näher an White heran. Wie auf Knopfdruck zuckt sie zusammen und rutscht ein Stück weiter nach hinten, weg von mir. Ich beuge mich vor, so dicht, dass sich White aufrecht sitzend an die Wand presst. Mein Gesicht kommt so nahe an ihres heran, dass es sogar mir schon unangenehm wird. »Geh weg von mir, du Freak!«, zischt sie mich an. Unwillkürlich steigt mir ein seltsamer Geruch in die Nase. White riecht so ganz und gar nicht nach einem sterbenden Menschen, verschwitzt und ausgezehrt. Ihr Duft erinnert mich stark an die frische Brise in einer kühlen Winternacht.
Sie blinzelt ein paar Mal, während sie verängstigt, beinahe zaghaft meinen Blick festhält.
»Ähm. Sind das etwa violettfarbene Kontaktlinsen?«
»Hab keine Angst«, murmle ich in besänftigendem Tonfall, ohne auf ihre merkwürdige Frage einzugehen. Sie mustert mich von Kopf bis Fuß, während ihre Augen leuchten und durch ihr seltsames Smaragdgrün meinen Blick auf sich ziehen. Augenblicklich schnappe ich nach Luft, weil sich mein Hals anfühlt, als stecke ein Stein darin fest. Mit einem Mal prickelt und zischt es in mir, als würden Blitze durch mein Nervensystem jagen. Noch nie habe ich solche Augen gesehen, die mich mit ihrer scheinbar unendlichen Tiefe so in ihren Bann ziehen.
Sie führt ihre rechte Hand an ihre linke Brust und atmet schwer. »Was ist hier los?«
Der Sanitäter füllt einen Beleg aus und wirkt so, als würde er Whites vermeintliche Selbstgespräche nicht hören.
»Wer bist du?«
Ich schlucke fest. »Mein Name ist Darcian, ich bin ein Todesengel.«
White lacht hysterisch auf und rollt mit den Augen. »Na klar, und ich bin die Eiskönigin.« Ihr verstörter Blick weicht von meinem Gesicht und bleibt an meinem schwarzen Lendenschurz haften. »Ist es nicht etwas zu kalt für diese Jahreszeit, um halb nackt herumzulaufen? Oder bin ich hier in einer Freakshow gelandet?«
»Ähm«, ist alles, was ich darauf antworten kann. Ihre Schlagfertigkeit bringt mich aus dem Konzept und lässt mich erst mal innehalten.
»Schwesterherz, sieh mich an.« Wie auf Kommando dreht White den Kopf in Noras Richtung. »Ich weiß, es ist schwer zu verstehen, aber Darcian sagt wirklich die Wahrheit. Er ist ein Todesengel.«
»Nora, bist du auf Drogen? Wie kann ich so etwas Unmögliches bitte glauben?«
»Weil ich es bei unserer Schwesternschaft schwöre.«
Mit diesem Satz scheint Nora ins Schwarze getroffen zu haben, denn White wird noch blasser im Gesicht, als sie es ohnehin schon ist. Ihre schneeweiße Haut lässt das Rot ihrer vollen Lippen noch kräftiger wirken.
»Du weißt, dass wir darüber keine Scherze machen?«, fragt White noch einmal, in der offensichtlichen Hoffnung, das alles würde sich am Ende als dummer Streich herausstellen.
»Ich weiß, darum schwöre ich es ja. Damit du mir endlich glaubst.«
White sieht Nora noch immer ungläubig an.
So ungewohnt es auch ist, mich einer Lebendigen zu offenbaren, höre ich nicht auf, ihr alles möglichst schonend zu erläutern: »Eigentlich bin ich wegen deiner Schwester hier. Ihr hattet einen Autounfall und Nora ist dabei gestorben. Ich bin hier, um sie ins Jenseits zu führen, aber du … du kannst uns sehen – und du bist nicht tot. Verstehst du das?«
Ich warte auf Whites Reaktion, doch sie schüttelt nur wild den Kopf. »Nein, das verstehe ich ganz und gar nicht.«
»Hast du etwas gesagt?«, erkundigt sich der Sanitäter merklich angespannt. Er muss denken, White würde unter Wahnvorstellungen leiden.
White zieht die Stirn in Falten. »Er kann euch nicht sehen?«
Ich nicke zustimmend. »Nur du kannst das.«
»Nur ich?«, ihre Stimme schwankt, ihre Augen werden dunkel und wässrig. In ihrem trüben Blick schlummert ein tiefes Geheimnis, das weder sie noch ich enträtseln können.
»Ich muss mir den Kopf gestoßen haben«, flüstert sie, aber ich verstehe sie laut und deutlich.
»Versuche deine Schwester zu berühren«, raune ich ihr zu.
White mustert mich mit gehässigem Blick. »Willst du mir jetzt ernsthaft weismachen, dass meine Schwester tot ist? Na gut, ich werde euch zeigen, dass …« Ich höre, wie White scharf die Luft einsaugt, als ihre Hand mitten durch Nora ins Leere greift.
»Das gibt’s nicht!«, schreit sie hysterisch auf.
»Nora, wie kann das sein?«
Im selben Moment, in dem White endlich