Название | Darcian |
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Автор произведения | Julia Lindenmair |
Жанр | |
Серия | |
Издательство | |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783946843887 |
Jessica Strang
Stapenhorststraße 15
33615 Bielefeld
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E-Mail: [email protected]
Text: © Julia Lindenmair
Buchsatz: André Ferreira
www.skill-tree.net
Lektorat/ Korrektorat: Teja Ciolczyk -
www.gwynnys-lesezauber.de
Umschlaggestaltung: Hannah Sternjakob Design
Bildmaterial/ Illustrationen: © Shutterstock.com
© Dreamstime.com
ISBN: 978-3-946843-88-7
Alle Rechte vorbehalten
© Tagträumer Verlag 2020
1. Auflage
Julia Lindenmair
DARCIAN
SCHWARZE SCHWINGEN
Schwarze Flügel
Für Elias und Amelie – meine Engel.
Weil die Liebe das Licht in der Dunkelheit ist!
Teil 1: Himmelstau
Liebe ist das stärkste Gefühl von allen – sie ist bedingungslos und fordert nicht. Zu Lieben heißt, jemanden nicht mit dem Verstand, sondern mit dem Herzen zu sehen. Glücklich allein ist die Seele, die liebt.
Johann Wolfgang von Goethe
Die Erde ist eine verwirrende Welt voller Fragen, während die Antworten in jedem einzelnen Körper stecken. Man muss nur beginnen, darauf zu hören.
Kapitel 1
Ich habe nie gewusst, was es bedeutet, Todesangst zu haben. Aber ich habe vielen Erdenbewohnern dabei zugesehen.
Viel zu lange stehe ich schon in diesem sterilen Krankenzimmer, in dem es nach Desinfektionsmittel und schweißnassen Bettlaken riecht. Ich wurde nicht zum ersten Mal hierher gerufen, in dieses hässliche Gebäude, das einem geschmacklosen Kasten aus Beton gleicht. Erdenbewohner, die sich Architekten nennen, scheinen viel Freude daran gehabt zu haben, eine überdimensionale Kiste zu bauen.
Die niedrige Decke scheint mich zu erdrücken, während die grellen Bilder an den Wänden förmlich danach schreien, von mir herunter gerissen zu werden. Lediglich das leise Surren der Klimaanlage wirkt beruhigend und lässt mich zu meiner Arbeit zurückkehren.
Gebannt blicke ich auf das römische Ziffernblatt der Taschenuhr in meiner Hand, konzentriere mich auf das feine Hämmern des Federwerkes und warte darauf, dass der verschnörkelte Zeiger endlich zu wandern aufhört. Beendet dieses mechanische Herz seine Tätigkeit, wird sie das Gegenstück in der linken Brust des Mannes vor mir auch tun. Und in wenigen Minuten wird es soweit sein, darauf hoffe ich. Eine Zeit lang sehe ich auf das zerschlissene Glas hinunter, doch von Minute zu Minute werde ich ungeduldiger.
Bleib stehen!, befehle ich dem Zeiger per Gedankenübertragung, allerdings komme ich nicht gegen die Sturheit dieser Uhr an. Ich lasse einen ungeduldigen Seufzer los, der still und heimlich durch den Raum wandert, während mein Blick zum Krankenbett vor mir schweift.
Das letzte Lächeln, das der bauchige Geschäftsmann seiner Frau schenkt – die natürlich die ganze Nacht nicht von seiner Seite gewichen ist – erlischt langsam. Noch sind seine dunkelbraunen Augen leicht geöffnet, sein Atem gleichmäßig, aber schwach, und sein Wille stark. Doch es ist ein Kampf, den er nicht gewinnen kann – der Tod schleicht sich hartnäckig heran und wird seinen Willen brechen.
Es klopf an der Tür, woraufhin ein schlaksiger Krankenpfleger in einem brombeerfarbenen Shirt den Raum betritt, gefolgt von einem penetranten Chemiegeruch, der sich sofort in der stickigen Luft verteilt. Während mein Magen zu rebellieren beginnt, tigert der Pfleger im Zimmer herum, begleitet vom Quietschen seiner Schuhsohlen auf dem Linoleumboden. Mit prüfendem Blick bleibt er an einem piepsenden Gerät stehen, das einem einzigen Wirrwarr aus Kabeln und Schläuchen gleicht.
Es dauert einen Moment, bis auch er begreift, wie drückend es im Raum ist. Schnaubend tritt er durch mich hindurch, ehe er das Fenster abkippt. Endlich dringt ein Schwall feuchter Luft in den stickigen Raum, der mich tief durchatmen lässt.
Auf der Erde ist es Ende Oktober. Noch zu früh für Schnee, doch nicht früh genug für raue Nächte und frostige Brisen. Ich mag die Kälte nicht und bin froh, dass es im Himmel keine Jahreszeiten gibt. Dort ist es tagsüber immer angenehm warm und sommerlich hell.
Ich inhaliere die frische Luft, ohne den Zeiger der Taschenuhr auch nur eine Sekunde aus den Augen zu verlieren. Gleich ist es soweit.
Schließlich – um 18:22 Uhr – hält er an. Wie auf Knopfdruck klappe ich den goldenen Deckel der Taschenuhr zu. Bevor ich sie zurück in meinen Lendenschurz stecke, streiche ich über die Gravur Charlie Fields, die in geschwungenen Buchstaben den gesamten Deckel ziert. Es ist bereits zu meinem Ritual geworden, mir nach dem Tod eines Erdenbewohners zuallererst seinen Namen einzuprägen. Charlie Fields also.
Charlies letzter Atemzug rasselt, während er Luft holt, die jedoch in seiner Lunge stecken bleibt. Die Geräte, an die er angeschlossen ist, beginnen wie wild zu piepsen, woraufhin der Krankenpfleger sofort reagiert: Er wird kreidebleich.
Nachdem er einen Moment so aussieht, als würde er sich gleich übergeben, fängt er sich wieder und drückt einen roten Knopf an der Wand.
Charlies Gliedmaßen haben aufgehört zu zucken. Sein eingefallenes Gesicht wirkt friedlich, seine Muskeln entspannt. Seine Augen, tief gebettet in geschwollene Tränensäcke, schließen sich langsam – für immer.
Mrs Fields springt vom Stuhl auf und schlägt sich die Hand vor den Mund. Abwartend sehe ich zu, wie der zuständige Arzt ins Zimmer stürzt, dicht gefolgt von einem ganzen Team aus Krankenschwestern. Der rothaarige Mann im weißen Kittel kontrolliert zuerst die Geräte, infolgedessen begutachtet er durch seine dicken Brillengläser Charlies Augen mit einer kleinen Taschenlampe und fühlt nach seinem Puls. Nach einigen erdrückenden Sekunden folgt ein gemächliches Kopfschütteln, mit dem der Arzt allen Anwesenden im Raum die Gewissheit verleiht, dass sein Patient nun seinen Frieden gefunden hat – denkt er, denn gleich übernehme ich. Das hat mit Frieden allerdings genauso wenig zu tun wie der Himmel mit der Unterwelt.
Charlies Frau fährt sich mit beiden Händen durch ihre grauen Haare und keucht, als würde sie gleich hyperventilieren. Der Arzt klopft der schluchzenden Witwe mitfühlend auf den Rücken, ehe er und seine Gefolgschaft sie mit ihrem leblosen Mann alleine lassen. Für sie bricht eine Welt zusammen, während es für mich lediglich eine frische Seele mehr im ewigen Kreislauf des Todes bedeutet.
Ab jetzt lastet die Verantwortung für Charlie alleine auf meinen Schultern, und wie immer warte ich sicherheitshalber ab, bis sich die Seele völlig vom Körper gelöst hat und bereit ist, mir gegenüberzutreten.
Meistens läuft es so ab, dass ich zuerst in die Augen der frischen Seelen blicke, die von Angst genauso erfüllt sind, wie von Erleichterung, wenn der Schmerz ein Ende gefunden hat. Sie blicken wortlos zurück, fragend und resignierend, als wären sie verrückt und ich nichts weiter als ein Hirngespinst. Danach dauert es eine Weile, bis ihnen bewusst wird, dass sie nicht mehr an ihre physische Hülle gebunden sind. Die Fassungslosigkeit darüber ist bei jeder frischen Seele gleich: Sie reißen den Mund auf, schnappen nach Luft und drehen sich um ihre eigene Achse, weil ihnen anfangs das Gefühl der Schwerelosigkeit genauso fremd ist wie die Tatsache, dass sie ihren eigenen Körper nicht mehr spüren können.
Irgendwann ist selbst die skeptischste Seele überzeugt und an der Stelle der absoluten Verzweiflung angekommen. Jeder reagiert zwar anders, aber die meisten Frischlinge sind Opfer ihrer eigenen Panik. Viele stürzen sich quiekend auf ihren Leib, wollen es nicht wahrhaben, während andere nur wie gelähmt dahinschweben und glotzen, als würden