Darcian. Julia Lindenmair

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Название Darcian
Автор произведения Julia Lindenmair
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Издательство
Год выпуска 0
isbn 9783946843887



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wem oder was auch immer du vergeben musst. Ein Ratsmitglied wird in Kürze hier auftauchen. Bis dahin bist du vorerst auf dich alleine gestellt. Vielleicht findest du ja eine dir bekannte Seele. Und vergiss nicht, eure Erdenzeit ist hier nur eine Illusion. Eine Einbildung, die frische Seelen noch in sich tragen. Das wird auch noch vergehen.«

      Ich drehe mich von Charlie weg, als er plötzlich mein Handgelenk packt. »Und wer ist dieser Mox? Ist das etwa Gott?«

      Meine Augenbrauen wandern nach oben. Gott. Ich lache innerlich auf. Mox hasst diesen Namen.

      »Mox mag vielleicht so was wie dein Schöpfer sein, aber nenn ihn niemals Gott, hast du mich verstanden? Wenn er einen schlechten Tag hat, verbannt er dich sonst in die Unterwelt. Und da wieder rauszukommen ist beinahe ein Ding der Unmöglichkeit.«

      Charlie schluckt schwer. Ich liebe es, frischen Seelen Angst zu machen.

      Ich klopfe ihm auf die Schulter. »Mox ist immer bei dir. Du siehst ihn in jeder Seele und in jedem Element dieses Jenseits.«

      Charlie runzelt die Stirn und schluckt den Kloß hinunter, der sich bei meinen Worten in seinem Hals gebildet hat. Seine Augen wandern in der Stadt umher, auf der Suche nach einem Zeichen von seinem Schöpfer. Mein Grinsen muss ich mir verkneifen.

      »Darcian, wenn du nicht endlich damit aufhörst, die frischen Seelen zu verarschen, rupfe ich dir jede einzelne deiner schwarzen Federn aus und stecke sie dir in deinen Hintern!«

      Ich drehe mich zu der piepsenden Stimme hinter mir um und blicke schmunzelnd in Mox’ beißend gelbe Augen, die dunkelgrün umrandet und von glatter Lederhaut umgeben sind.

      »Wer ist dieses froschartige Wesen?«, fragt Charlie mit bebender Stimme.

      Mox schnalzt mit seiner gespaltenen Zunge. »Frosch? Ich hab mich wohl verhört?«, schimpft er, sichtlich empört.

      »Darf ich vorstellen: Das ist dein Schöpfer«. Ich zwinkere Charlie zu, der seine Lippen zu einer dünnen Linie zusammenpresst.

      Mox’ Gesichtsausdruck nach zu urteilen, würde er mich gerade am liebsten erwürgen.

      »Aber … ich habe mir den Allmächtigen ganz anders vorgestellt. Nicht so … ähm … reptilienhaft«, gibt Charlie zu.

      »Ach echt? Und wie sollte deiner Meinung nach der Allmächtige aussehen?«, frage ich, obwohl ich die Antwort bereits kenne. Die Menschen stellen sich Mox nach ihrem Ebenbild vor. Ein Mann mit weißem, langem Bart und einem Heiligenschein. Mox hingegen, ist nicht größer als mein Hals und ähnelt mehr einer Wanze als einem Gott.

      Unser Allmächtiger kaut wütend auf seiner Zunge herum. Er ist nicht sonderlich erfreut darüber, wieder eine Seele anzutreffen, die nicht von mir belehrt wurde. Aber gerade das ist es, was mich von allen anderen Todesengeln unterscheidet – meine Gelassenheit. Etwas, auf das Mox niemals verzichten würde, er muss sich dessen nur noch bewusst werden.

      »Also ich gebe Charlie dann an dich ab. Im Große-Töne-Spucken bist du ohnehin viel besser als ich. Ciao, Chef.« Langsam lasse ich meine Flügel flattern, doch Mox ist schneller als ich. Mit seinen kräftigen Hinterbeinen stürzt er sich auf mein Gesicht und hält sich mit den beiden kurzen Vorderbeinen an meinen Ohren fest. Ein Würgereiz überkommt mich. Wenn Mox seine glitschigen Schwimmhäute nicht sofort von mir löst, dann bekomme ich noch Pickel!

      Er sieht mir tief in die Augen. »Du wirst dieser Seele jetzt gefälligst erklären, dass ich nichts mit seiner Schöpfung zu tun habe, sonst kannst du was erleben!«

      »Willst du mir dann mein hübsches Gesicht zerkratzen?« Ich lache, weil wir beide wissen, dass Mox niemals dazu im Stande wäre, mir etwas anzutun – und weil er keine Fingernägel hat.

      »Ich werde dir die Ohren lang ziehen, du respektloses Bürschchen!« Er macht seine Drohung war und zieht so fest, dass ich mir einen Schmerzenslaut nicht verkneifen kann.

      »Na schön.« Mit einem Ruck reiße ich Mox von mir runter und reibe meine heißen Ohren. Zeitgleich sehe ich zu Charlie, der deutlich überfordert ist.

      »Dieser Grobian von der Größe einer lästigen Wanze ist nicht dein Schöpfer. Vielmehr ist er die Darstellung des Grauens in einer unvollkommenen Froschgestalt. Zufrieden?«

      Mox’ Kopf wird vor Zorn violetter als der Himmel über uns, während Charlie, nun noch verwirrter, den Kopf schüttelt. Ziel erreicht.

      Mit dem rechten Handrücken wische ich mir über die Nase, doch Mox’ ekliger Fischgestank hat sich bereits darin festgesetzt. »Den Rest schaffst du selbst, Chef«, zwinkere ich ihm zu und mache mich aus dem Staub, ehe er mich erwürgen kann. Mit ruckartigen Flügelschlägen erhebe ich mich in den bunten Himmel.

      »Darcian, du bist unmöglich! Wenn ich dich in die Finger bekomme, dann …!«, ruft er mir wütend nach, während ich lachend davonfliege.

      Obwohl Mox einer der obersten Ratsvorsitzenden ist, und noch dazu mein Chef, pflegen wir eher ein Verhältnis, das neckenden Brüdern gleicht. Das war schon immer so, und auch wenn es Mox manchmal den letzten Nerv kostet, bin ich mir sicher, dass ihn meine Neckereien im Großen und Ganzen amüsieren. Sie lockern unser streng strukturiertes Dasein auf.

      Ich strecke meine Schwingen aus, spreize sie und lasse den Wind durch jede einzelne meiner schwarzen Federn gleiten. Ich fliege durch samtweiche Wolken hindurch, drehe mich dabei im Kreis und werde eins mit der Umgebung. Das Gefühl, das mich dabei überkommt, ist mehr als unsägliche Euphorie. Es ist ein Rausch, der die Gedanken nicht vernebelt, sondern frei macht. Der Wind fährt durch meine pechschwarzen Haare hindurch, spielt mit meinem Federkleid, und schmiegt sich an mich wie eine warme Woge der Freiheit.

      Mitten im Flug öffne ich das Portal zur Zone drei und bin so schnell hindurch geschlüpft, dass Mox nicht einmal in Erwägung ziehen kann, mir wütend auf seinem kleinen, fliegenden Wölkchen zu folgen. Ohnehin wird er gerade damit beschäftigt sein, Charlie darüber zu informieren, dass er genauso wenig sein Schöpfer ist, wie ich ein Dämon bin.

      Was ich nie verstehen werde, ist, warum Erdenbewohner andauernd alles hinterfragen müssen. Sie sind so damit beschäftigt, ständig etwas oder jemanden zu finden, um ihre Existenz erklären zu können, dass sie völlig über das Klarste hinwegsehen – ihr Ursprung ist so simpel wie die Entstehung der Erde: Sie allein sind ihre Schöpfer. Die Seelen schicken sich selbst auf die Erde, um zu lernen und sich dadurch weiterzuentwickeln, und überlassen es uns Himmelsbewohnern über sie zu wachen wie Mütter über ihre Kinder. Es ist ein ständiges Kommen und Gehen, wie bei einem kurzen Besuch, der in unterschiedlichen Welten stattfindet. Auf der Erde dauert er ein ganzes Leben lang, wobei er im Jenseits bloß für einen einzigen Wimpernschlag andauert. Ein Kreis, der sich niemals schließt. Und je länger die Frischlinge im Jenseits sind, umso schneller erlangen sie ihre geistige Klarheit wieder, die sie bereits als Baby im Mutterleib zurückgelassen haben. Wir helfen ihnen dabei, wieder zu sich selbst zu finden, denn es muss schwer sein, immer wieder aufs Neue alles zu vergessen.

      Zumindest tragen sie die Existenz von uns Engeln noch in ihrem Unterbewusstsein, obwohl ihr Ideal wohl eher nicht auf mich zutrifft. Auch wenn die Seelen auf der Erde ihre Erinnerungen verlieren, wundert es mich immer wieder, dass ihnen Einzelheiten über das Jenseits und mancher Himmelsbewohner im Gedächtnis geblieben sind. Dabei muss ich sofort an Lucien denken. Seine Brust schwillt vor Stolz immer an, wenn ihn eine frische Seele umgehend wieder erkennt, was leider nicht selten der Fall ist. Lucien ist der, den die Menschen Amor nennen. Ein Liebesengel, der dazu bestimmt ist, Herzen höherschlagen zu lassen. Dabei ist er einer der dreistesten Engel überhaupt, der seine Liebespfeile dazu nutzt, die Herzen der Menschen in Flammen zu setzen, um dadurch ihre Leidenschaft zu wecken. Lucien ist es dabei piep egal, ob er damit Unheil anrichtet, wie Ehen zu zerstören oder Liebespaare zu fertigen, die einem Menschen eher suspekt sind. Damit haben die Pfeile schon viele Erdenbewohner an den Rand der Verzweiflung getrieben. Dennoch vergöttern sie ihn, wenn sie ihn sehen. Ich schüttle grinsend den Kopf. Dieser freche Scheinheilige spielt mit den Gefühlen anderer und alle bewundern seine Taten, während ihre erste Begegnung mit mir immer in einer Panikattacke endet. In meinem Kopf höre ich Luciens Stimme sagen: »Manche haben es eben drauf, manche nicht.« Ich lache in mich