Killerwitwen. Charlie Meyer

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Название Killerwitwen
Автор произведения Charlie Meyer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847684800



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der Beerdigung fragte? - Nein? Dann werde ich deinem Gedächtnis mal auf die Sprünge helfen, du Alzheimer-Leiche, du! Papa, hat sie damals gesagt, Papa, den Herrn Woitzack, den lässt der Petrus aber nicht in den Himmel, oder? Und du Trampeltier, du hast ihr vor lauter schlechtem Gewissen eine geklebt. Wenn du mit deiner Hand nicht so schnell gewesen wärest, hätten wir bestimmt schon an dem Tag erfahren, was für ein Schwein der Fritze war. Einer Zehnjährigen unter das Röckchen zu grapschen!“

      Emmi sammelte die abgeschnittenen Efeutriebe ein und stopfte sie in die Plastiktüte für Abfälle. Der Rücken tat ihr weh, und eine Hand auf dem zweiten und dritten Lendenwirbel, ihrem Prolaps, richtete sie sich ächzend auf.

      „Weißt du, wann mir Christina die Geschichte erst erzählt hat, dank deiner Ohrfeige? Letztes Jahr! Und weißt du, wann er sich an ihr vergriffen hatte? Zwei Wochen vor seinem tödlichen Sturz, als der Fritze unser mickriges Klo kacheln musste, weil Jochen blau war und du zur Lola wolltest! Na und ich hatte mir wahrscheinlich das Fahrrad geschnappt und bin zum Aldi gefahren, um euer Gestöhne nicht hören zu müssen. Woher sollte ich denn ahnen, dass so ein ... ein Perversling neben uns wohnt?- Ach du mein Güte, Hermann, komm mir jetzt bloß nicht wieder mit dem Märchen von dem Weihnachtsgeschenk. Erstens hattest du gar kein Geld für eine Pelzstola - genau genommen nicht einmal für einen Kaninchenkragen, wenn du dich wenigstens daran erinnern könntest - und zweitens kannst du an dem Tag gar nicht in Göttingen gewesen sein. Erklär mir doch mal, wie es in Göttingen - wie hast du dich damals ausgedrückt? - zwei brutale Schläger mit Skimasken über den Köpfen anstellten, dich auszurauben, während die Lehmann’sche in Koppstedt beobachtet, wie sich ein gewisser Hermann Nichterlein hintenherum zur Lola ins Haus schleicht. Na? Da bist du platt, was? Also spar dir in Zukunft deine Flunkereien, ich glaub‘ dir ohnehin kein Wort.

      Übrigens habe ich Julia mal gefragt, ob sie ebenfalls vom Fritze angefasst wurde, und weißt du, was mir deine Älteste antwortete? Ach geh doch, sagte sie, lass mich mit den alten Geschichten zufrieden. Ich will nichts mehr davon wissen! Na, sagt das nicht alles? Ich schwöre dir, es hat mich richtig gepackt vor Wut! Du kannst dem Fritze bei euren mitternächtlichen Geistertreffen ruhig ausrichten, dass ich mich schon darauf freue, ihn wenigstens im Jenseits noch in die Finger zu bekommen. So was verzeiht eine Mutter nie! Und falls du noch irgendwelche väterlichen Regungen in dir spürst, dann schlag ihm meinetwegen die Zähne ein. Viel mehr wird ja wohl kaum noch von ihm übrig sein. - Ach was, hör doch bloß auf mit deinem blöden Rumgerede. Warum um alles in der Welt sollten sich deine Töchter so etwas ausdenken? Glaubst du, die haben einen Knacks? Na ja, Christina vielleicht - manchmal - aber doch nicht Julia. Nicht, dass ich damit ausdrücken möchte, das wäre alles normal mit ihrem Maurer-Bauern und der Fußballmannschaft, aber unter einer so verlogenen Fantasie wie du hat sie, dem Himmel sei Dank, noch nie gelitten. Ich schwöre dir bei allem was mir heilig ist, der Fritze hat deine Töchter wirklich angegrapscht. Weißt du überhaupt, wie oft ich mir den Kopf über Christina und das zugeklappte Dachfenster zerbrochen habe? All die Jahre wusste ich doch nicht, warum. Ich meine, was dahintersteckte. - Wovon ich rede? Ach Gottchen, Hermann, habe ich das noch gar nicht erzählt? Nein? Komisch - aber vielleicht auch besser so. Lass man gut sein, ein Toter braucht schließlich nicht mehr alles zu wissen!“

      Seufzend bückte sie sich wieder und begann mit der dreizackigen Kralle die Erde rund ums Grab aufzulockern.

      „Manchmal glaube ich, du spukst hier tatsächlich noch irgendwo als Geist herum, und du und deine Saufkumpane, ihr sitzt abends auf den Grabsteinen mit euren Bierflaschen und prostet euch zu. Na ja, irgendwie muss man ja wohl die Ewigkeit über die Runden bringen. Da fällt mir übrigens ein, dein anderer Freund, der Jochen, der liegt jetzt neben den Zigeunern vom Ribbenkopp. Sagt jedenfalls die olle Taube. Der Bauer Hippel hat sein Bohnenfeld an die Stadt verkauft, und die hat es an den Friedhof angegliedert. Grundgütiger, Hermann, die Olle hat sich vielleicht aufgeregt. Nüscht gegen die Ausländer, Frau Nichterlein, aber die da oben am Ribbenkopp ... Du kennst ja ihr dummes Gerede. Deine kleine Gaitana würde das bestimmt nicht gern hören. Carmelita hieß sie, nicht? Meinst du, die liegt jetzt aus Versehen neben dem Jochen anstatt neben dir? Wenn du willst gehe ich auf dem Rückweg mal an den Gräbern vorbei und gucke nach den Namen. Obwohl du ja eigentlich aus erster Hand wissen müsstest, wer hier noch so alles rumspukt. - Woher ich das weiß mit deinem Zigeunerliebchen? Ach du liebes Lieschen, Hermann, komm von deiner Wolke runter, der ganze Pfuhl hat sich damals das Maul über euch zerrissen, nicht nur die olle Taube. Aber wenn die noch mal anfängt mit ihrem Jochen, dem Unschuldslamm ... Na ja, Schwamm drüber. Aber weißt du was ich dir wirklich übel nehme, Hermannchen? – Nein, ich rede jetzt nicht von deiner Sauferei, die steht auf einem ganz anderen Blatt. Aber was mich tatsächlich immer noch fuchst, ist, dass du bei mir in all den langen Jahren nie sooo gestöhnt hast wie bei der roten Lola.“

      Sie hatte sich rückwärts zum Weg vorgearbeitet, blieb einen Moment schwer atmend in der Hocke, stach dann mit dem alten Küchenmesser das Unkraut zwischen den Steinen aus und kicherte leise.

      „Weißt du, Hermann, wenn ich es so recht bedenke, inzwischen gönne ich dir deine Carmelita sogar. Wenn sie jung sind, diese Liebchen, nichts als Augen und Beine, aber später ... Also wenn ich mir vorstelle, dich besucht jetzt Abend für Abend eine Zweizentnerfrau mir nichts als Falten im Gesicht und hopst dir auf den Schoss. Mein lieber Schollie! Na, lassen wir das. Du bist jetzt sicherlich auch keine Augenweide mehr, wenn dir das verschlissene Hemd so um die nackichten Rippen hängt. Und ehrlich gesagt, diese ganze Sauferei hat dich schon zu Lebzeiten verhunzt. Aber egal. Vorbei ist vorbei!“

      Emmi nahm den Handfeger und fegte den Dreck von den Steinen. Danach begoss sie ihren Hermann sehr ausgiebig und wischte sich schließlich aufatmend die nassen Hände an der Strickjacke ab.

      „So, jetzt bist du frisch gewaschen, deine Haare sind geschnitten und den Dreck unter den Fußnägeln kannst du dir selbst rauspulen. Meine Pflicht habe ich getan, und ich sag’s dir noch einmal bevor ich gehe: Es ist deine eigene Schuld, dass du da unten liegst, und weißt du was? Wenn ich dich so reden höre, bin ich immer noch froh darüber. Und wenn ich noch zehn Jahre durchhalte, dann wird man deine Knochen wieder ausbuddeln, weil die fünfundzwanzig Jahre Pacht abgelaufen sind, und dann, mein Lieber, kaufe ich die Grabstelle ganz für mich allein. Oder hast du im Ernst gehofft, wir beide würden noch einmal im selben Bett landen? Vielleicht lass ich mir sogar irgendetwas zur abschreckenden Erinnerung an dich geben, wenn man dich ausbuddelt. Ein Fingerknöchelchen oder so. Wobei mir einfällt - neulich war dein Sohn zu Besuch. - Ja, natürlich meine ich David, deinen anderen, du weißt schon wen, den hast du mit deinem Gemeckere ja bis ans Ende der Welt getrieben. Du wirst seinen Namen nie mehr in meiner Gegenwart nennen, Emmi! So ein hirnverbrannter Blödsinn. Du bist genauso eine Mimose wie David. – Na jedenfalls war der Junge da und hat mal wieder gegramt. Dein Gesicht kann im Augenblick auch nicht steifer sein, als seines bei dem Besuch war. Und dann diese fürchterliche Empfindlichkeit. Dabei unterhielten wir uns nur ein bisschen, und schon spuckt er das gute Mittagessen wieder aus. Rouladen mit Sahnesoße und Kroketten. Aber du warst genauso. Ein Wort mal nicht auf die Goldwaage gelegt und Hermannchen lief grün an. – Glaubst du nicht? Seltsam. Ich war nämlich die, die dir beim Essen immer gegenübersaß. Emmi, deine Frau.“

      Emmi verstaute die Grabutensilien in ihren diversen Plastiktäschchen, die diversen Plastiktäschchen in einer großen Plastiktüte, wischte mit einem Papiertaschentuch den Staub vom Boden der Handtasche, streifte die dreckigen Schuhsohlen an der Kante des Grabsteins von Hermanns Nachbarn ab - las stirnrunzelnd Thomas Meinert, Gott verzeihe ihm - und sah schließlich einen Moment lang sinnend auf die Grabschale, unter der sie Hermanns skelettierten Kopf vermutete.

      „Die Kinder gucken immer noch ganz bedröppelt, wenn die Rede auf den fehlenden Grabstein kommt“, sagte sie langsam. „Aber sag mal ehrlich, welche Inschrift hätte ich denn guten Gewissens eingravieren lassen sollen: Meinem geliebten Mann, treu bis in den Tod oder Hier liegt Hermann Nichterlein, Schluckspecht und Hurenbock? Weißt du, ich glaube, wir lassen die Kinder einfach weiter bedröppelt gucken. Und falls ihnen deine Steinlosigkeit das Herz zerreißen sollte, können sie dir ja einen eigenen Grabstein mit eigener Inschrift kaufen. Unserem geliebten, treu sorgenden Vater zum ewigen Gedenken. Er brachte uns immer ein paar Bierdeckel aus der Kneipe mit. Oder so etwa Ähnliches. - Da fällt mir übrigens