Killerwitwen. Charlie Meyer

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Название Killerwitwen
Автор произведения Charlie Meyer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847684800



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die Stirn, und am Gartentor blieb sie mit weichen Knien stehen und sah sich unauffällig um.

      Also wirklich, alt zu werden war einfach nur lästig.

      Sie zauderte. Im vorderen Reihenhaus stand in Meiers Schlafzimmer der eine Fensterflügel offen, und der Wind blähte die Gardine. Konnte der Meier sie noch sehen, wenn sie hinter Sipkovs hoher Buchenhecke hockte? Sie peilte die Linie Fenster-Hecke an und schüttelte erleichtert den Kopf. Nein, der nicht, dafür aber mit Sicherheit die olle Taube, sollte sie auf die Idee kommen, sich hinter die halb vorgezogene Gardine ihres weit aufgerissenen Wohnzimmerfensters zu stellen. Die hatte es gerade nötig auch noch die Fenster aufzumachen, die alte Hexe, dabei besaß sie ohnehin schon die unheimliche Gabe, jedes Ereignis im Birkenpfuhl aus dem Effeff und in allen intimen Einzelheiten weiterzutratschen, auch wenn sie zu dem Zeitpunkt nachweislich nicht einmal in der Stadt gewesen war, und die Beteiligten sich am nächsten Laternenpfahl aufzuhängen drohten, wenn sie der Taube gegenüber auch nur die Andeutung einer Andeutung angedeutet hätten. Hieß es da nicht das Schicksal herausfordern, sich trotz des schon vorbereiteten Taube‘schen Logenplatzes an den Reifen zu wagen?

      Emmi stöhnte gequält, von Zweifeln geplagt. Sollte sie oder sollte sie nicht? Ja oder nein? - Nein, sie würde es nicht tun. Es war viel zu riskant. Hier gab es keinen verlassenen Parkplatz vor einem sonntäglich verrammelten Supermarkt in der Abenddämmerung, wie damals bei dem Kühlwagen, sondern nur einen buntkiesigen knirschenden Weg zwischen zwei Reihenhäusern an einem Samstagmorgen zur besten Einkaufszeit. Langsam schob sie das Fahrrad den Weg hinunter, schielte erst über die Heckenrosenhecke in Woitzacks Garten und dann über die Buchenhecke in Sipkovs Garten. Niemand zu sehen. Weder in den Gärten, noch auf der Straße, so weit sie für Emmi einsichtig war. Auch nicht im Führerhaus des Möbelwagens, der hoch und blau quer vor der Mündung des Weges parkte. Dafür stand aber die Haustür der roten Lola weit offen. Und eben, als sie ein weiteres Mal zehenspitzig spähte, und sich gerade streng zur Ordnung rief, schwing dich auf dein Fahrrad, Emmeline, und fahr einfach einkaufen, da tönte doch aus dem dunklen Schlund des Hauses ein dröhnendes Gelächter, und ertappt zuckte sie zurück und spürte hitzig den Blutandrang im Kopf. Die schon wieder! Sicher saßen sie jetzt alle zusammen, wiederholten ein ums andere Mal diesen schweinischen Witz und lachten über die drollige Alte, die nur ein Un-mög-lich über die Lippen gebracht hatte. Nun gut, es reichte. Das Lachen würde ihnen bald vergehen. Nagel und Hammer waren griffbereit. Entschlossen und angestachelt durch die nicht enden wollenden Heiterkeitsbekundungen aus dem Woitzack’schen Hause stellte sie das Fahrrad auf den Ständer, hockte sich vor dem rechten Vorderreifen des Möbelwagens auf den Weg und blickte sich hastig um. Sipkovs Hecke verbarg sie vollständig vor den Blicken der vorderen Reihenhausbewohner, sie selbst konnte nur noch den Dachfirst sehen, und zur linken verdeckten die Heckenrosen Lolas offene Tür. Emmi spitzte zufrieden die Lippen. Damit setzte sie sich allenfalls der Gefahr aus, dass plötzlich Sauerbachs hinter ihr den Weg hinuntertrippelten, um zum samstäglichen Einkauf in den Supermarkt zu fahren - Schmidtchen Schleicher und sein Pusselchen. Oder die olle Taube am Fenster hockte. Sie sah sich noch einmal um. Sauerbachs Wohnzimmerfenster füllte eine gelbe Jalousie aus, und Taubes Gardine hing schlaff herunter.

      Nur eine Frage der Schnelligkeit, dachte Emmi, schlang hastig das Handtuch um den Hammerkopf, setzte die Spitze des langen dünnen Nagels in eine der tiefen Reifenrillen und schlug kräftig zu. Der Nagel federte zurück und ließ ihren ganzen Körper erzittern. Sie stutzte und schlug ein zweites Mal zu! Der Nagel federte zurück. Emmi runzelte die Stirn. Waren die beiden Reifen des Kühlwagens nicht viel durchgängiger gewesen? Längst nicht so hartnäckig? Sollte sich in den knapp dreißig Jahren so viel in der Reifenherstellung geändert haben? Gab es vielleicht sogar schon nagelsichere Reifen? Emmi biss die Zähne zusammen und hob den Hammer so hoch es ihr ratsam schien, um den Nagelkopf und nicht ihre Finger zu treffen, als sie mit einem Mal das knirschende Geräusch über Kies gehender Füße vernahm.

      Noch in Hockstellung fuhr sie in Panik herum und blickte, bevor sie das Gleichgewicht verlor und unsanft auf dem Hintern landete, den langen leeren Kiesweg bis zu Sauerbachs Haus hinunter. Kein Mensch zu sehen. Nichts! Nur ihr Kopf, der verrückt spielte und sich mit akustischen Angsthalluzinationen quälte. Ihr Atem ging stoßweise, als sie sich wieder aufrappelte, und einen Moment lang lehnte sie blind mit dem Rücken am Reifen, während ein Wirbelsturm durch ihren Kopf brauste.

      Beim nächsten Versuch schlug Emmi zwar kurz aber ausgesprochen heftig zu. Der Nagel bohrte sich auf Millimeter ins dicke Gummi und blieb schwankend stecken. Zwei Schläge später steckte er bis zum Anschlag im Reifen. Sie ruckelte vorsichtig mit der Kneifzange am Nagelkopf. Pfff machte es. Sie ruckelte kräftiger. Aus dem dezenten Pfff wurde ein deutlich hörbares Pfffffffffff. Emmi stand auf, stemmte den rechten Fuß gegen den Reifen und zog, mit der Kneifzange heftige Kreisbewegungen beschreibend, den Nagel mit Brachialgewalt wieder heraus. Das Pfffffffffffffffffffffffffffffff war nicht nur deutlich hörbar, es war ausgesprochen laut, und die kleine gebündelte Luftfontäne über dem Loch pustete ihr die Löckchen aus der Stirn.

      Emmi trat rasch einen Schritt zurück und - traf auf etwas großes Weiches, das unter ihrem Fuß entsetzlich zuckte. Ein schmerzerfülltes Jaulen gellte durch die klare Morgenluft, und einen Moment lang jaulte sie erschrocken mit, dann hopste sie wie eine aufgescheuchte Springmaus wieder nach vorn und prallte hart gegen die Tür des Möbelwagens. Dackel Dreizehn wankte krummbeinig und mit eingezogenem Schwanz zur Seite, und blickte sie aus triefenden braunen Augen anklagend an.

      „Grrrrrrr“, knurrte er vorwurfsvoll, „grrrrrrrr!“

      „Schleich dich!“, flüsterte Emmi wütend und stupste ihn mit dem Fuß an, während ihre Blicke besorgt umherschweiften.

      Im nächsten Augenblick stieß sie einen erstickten Laut aus, und fuhr sich mit beiden Händen zum Mund. Das Taubesche Wohnzimmer! Die Fensterflügel standen nicht mehr offen, sondern waren fest verschlossen, dafür war nun die Gardine vollständig aufgezogen. Sie starrte auf die gleißende, die Morgensonne reflektierende Glasscheibe und fragte sich entsetzt, ob die Taube, für sie, Emmi, unsichtbar, hinter dem Fenster stand und zurückstarrte.

      Natürlich! Sie hätte es wissen müssen, und hatte sie es nicht auch zumindest geahnt? Das Einschlagen des widerspenstigen Nagels konnte tatsächlich nicht mehr als eine Minute gedauert haben, aber ausgerechnet in dieser einer Minute, einer von siebenhundertzwanzig möglichen eines Zwölfstundentages, entschloss sich die Taube, ihr Fenster wieder zu schließen. Zufall oder Hexenwerk? Spökenkiekerei oder Eingebung?

      Emmi beeilte sich, in den Sattel des Fahrrades zu kommen und bog mit sehr gemischten Gefühlen in die Weidenstraße ein, während Dackel Dreizehn mit fliegenden Ohren an ihrem Hinterrad klebte und heisere Wuffs bellte. Erst an der Abzweigung zur Kastanienallee gab er die Verfolgung auf und humpelte hechelnd aber stolz erhobener Schnauze wieder zurück.

      „Dussliger Kläffer!“, murmelte sie geistesabwesend, den Kopf bereits voll mit Schreckensvisionen über die Konsequenzen und das Ausmaß der Katastrophe, falls die Taube sie tatsächlich beobachtet haben sollte. Meine Mutter?, würde David mit Sicherheit seinem Chef antworten, wenn er wegen des Fernsehberichtes zur Rede gestellt wurde. Ach um Himmels willen, wo denken Sie denn hin. Meine Mutter ist schon lange unter der Erde. Und dann würden er sie einweisen lassen. David und seine dünkelhafte Moral.

      Der laue Fahrtwind wehte ihr um die Nase, und das gleichförmige Treten der Pedalen, rundherum und immer wieder rundherum, wirkte beruhigend auf ihr Gemüt. „Nein“, entschied sie bereits am Ende der Kastanienallee. „Nein! Keine zehn Pferde hätten die Olle daran gehindert, herauszukommen, um mich in flagranti zu ertappen! Oder zumindest auf dem Fensterbrett zu liegen und quer durch die Siedlung zu brüllen: Sieeee, Frau Nichterlein, was machen Sie denn da? Oder: Mein Thomas, wissen Sie, der wo mein Ältester is’, der hätt‘ Sie das aber viel besser machen können! Oder: Wenn Sie sich so dusselig anstellen tun, wird das nie nich’ was!“ Emmi lachte grimmig.

      „Nein“, wiederholte sie beruhigt und bog auf den Parkplatz des Supermarktes ein. Eine Heimliche war die Taube nicht. Der machte es viel zu viel Spaß, jemandem unerwartet von hinten auf die Schulter zu tippen. Zum Beispiel dem Herbert Rosenstock mit seiner schwachen Blase, wenn er in Sipkovs Hecke pieselte. Nein, die Wahrscheinlichkeit sprach eher für eine