Killerwitwen. Charlie Meyer

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Название Killerwitwen
Автор произведения Charlie Meyer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847684800



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nicht mehr als Hauptschulabschluss und nackten Stachelbeerbeinen, das auf der Straße wehrlose Frauen mit schlüpfrigen Witzen belästigte. Was für ein Glück, dass die endlich auszog!

      Emmi schnaufte wie eine Lokomotive am Berg. Sie bog in den Kiesweg ein, stellte das Fahrrad vor ihrer Haustür auf den Ständer, ohne der rosa Pracht der in diesem Jahr spät blühenden Heckenrosen auch nur einen Blick zu gönnen, und ließ sich im Esszimmer auf einen Stuhl fallen. Bei dem Alten zu Hause dauerts bestimmt auch nochne kleine Weile, bis er einen ... So eine bodenlose Frechheit. Aber so war er, jawohl! So war der Ton, den die heutige Jugend gegenüber der älteren Generation anschlug. Eine bodenlose Frechheit! Eine Unverschämtheit sondergleichen! Und warum? Weil die Eltern ihren Kindern keinen Respekt mehr vor dem Alter einbläuten. Bleibt ruhig sitzen, sagten sie im Bus zu ihnen, wenn einem krückenbewaffneten Neunzigjährigen die Beine unter dem Hintern wegzuknicken drohten, wir haben schließlich auch bezahlt! O ja, so war die heutige Einstellung. Aber dass der Mann zwei Weltkriege und vielleicht sogar seine Frau und ein halbes Dutzend Kinder überlebt hatte, nur um jetzt mit einem Oberschenkelhalsbruch im Krankenhaus an Lungenentzündung einzugehen, das interessierte die Jungschen nicht. Genauso wenig, wie es sie interessierte, wenn eine alte Frau auf der Straße von zwei schweinischen Möbelpackern angepöbelt wurde.

      Ha! - Sie schnaufte immer noch. Ihr Herz bummerte wütend gegen die Rippen, die Füße zuckten unter dem Tisch, und ihre Hände ballten sich zu Fäusten. Dieser verflixte Hermann. Wenn er nicht so eine gewaltige Schnapsdrossel vorm Herrn gewesen wäre, dann würde er jetzt noch leben. Und wenn er noch lebte, dann würde er jetzt mit Sicherheit auf die Straße stürmen. Und wenn er stürmte, dann, um sich mit seinen Kumpels die beiden unverschämten Kretins zur Brust zu nehmen und ihnen die Hucke vollzuhauen. Sauferei hin oder her, ihr Hermann und auch sein Freund Jochen, das waren wenigstens noch zupackende Männer gewesen. Männer mit Mumm in den Knochen, die mit derlei Gesindel kurzen Prozess zu machen pflegten und nicht erst lange nach dem Wie oder Warum fragten.

      Und David? Ach du liebes Lieschen. Der doch nicht. David würde sich einen Stuhl heranziehen, ihr tief in die Augen blicken und sagen: „Mama, es ist dein gutes Recht, dich darüber aufzuregen. Aber weißt du, es ist nicht gut, wegen jeder Kleinigkeit einen Streit vom Zaun zu brechen. Natürlich bist du wütend, aber im Grunde genommen ist es doch nur eine Nichtigkeit. Sieh mal, du musst die beiden verstehen. Sie haben einen miesen Job und sitzen tagaus, tagein in ihrem Lastwagen oder schleppen Möbel, und wenn ihnen ab und an mal eine Bemerkung über die Lippen rutscht, die nicht so ganz koscher ist, dann bin ich natürlich der letzte, der so etwas entschuldigen würde, aber Mutter ...“ Und so weiter und so fort. Emmi schüttelte gereizt den Kopf.

      Lag es eigentlich an ihr oder an Hermann, dass aus ihren Kindern so selbstgerechte Dummschwätzer geworden waren? Bis auf Christina, von den Nervenzusammenbrüchen mal abgesehen, hatte keins den Mumm der Eltern geerbt. Stefan war vor seinem streitbaren Vater sogar bis nach Australien geflohen. Und David und Julia? Weichknochige, rückgratlose Feiglinge, alle beide. Kümmerlinge! Vor allem aber David!

      Wie fassungslos er sie damals angeblickt hatte, bei der Sache mit Christinas Meerschweinchen. Wie ein Äffchen, das höflich gebeten wird auf einem Seziertisch Platz zu nehmen.

      „Du hast waaaas getan?“ Sie hörte förmlich noch sein asthmatisches Japsen.

      „Einer musste ja schließlich etwas unternehmen, und wie du weißt, ist dein Vater zu Tante Hildegards Beerdigung nach Husum gefahren.“

      „Aber ... „

      „Aber was? Wolltest du etwa losziehen und den Kühlwagen suchen?“

      „Mein Gott, Mama, der arme Kerl konnte doch gar nichts dafür, dass ihm Tinas Meerschweinchen vor den Reifen lief?“

      „Er hätte ja bremsen können!“

      „Eine Vollbremsung für ein Meerschweinchen. Ja bist du denn noch ganz dicht?“

      Emmi nickte energisch. Damals fing das schon an mit diesem respektlosen Ton den Älteren gegenüber, und wenn David nicht schon über dreiundzwanzig und sie nicht so fuchtig auf den Lastwagenfahrer gewesen wäre, hätte sie ihm sicher eine geklebt.

      „Wenn du mir noch einmal so frech kommst, mein Junge, kannst du den Sack schmutziger Wäsche am nächsten Wochenende deinem Spieß zum Waschen geben. Mir jedenfalls nicht mehr. Als ob in einer so großen Kaserne nicht irgendwo eine Waschmaschine herumsteht!“, hatte sie stattdessen empört gesagt. „Und vielleicht denkst du mal darüber nach, was hätte passieren können, wenn Christina dem Meerschweinchen nachgelaufen wäre! Auf dem Friedhof gibt es eine Extraecke für Kindergräber. Wusstest du das schon? Oder warst du in der letzten Stunde wenigstens mal oben in ihrer Kammer und hast deine Schwester getröstet? Nein? Dachte ich’s mir doch!“

      „Nein ... ich meine ja, natürlich ... ach um Himmels willen, Mama, du verstehst mich nicht. Wenn ... wenn dich der Lastwagenfahrer nun gesehen hat? Was, wenn es Zeugen gibt? Heute ist Sonntag und bestimmt halb Koppstedt unterwegs bei dem schönen Wetter. Und ... und überhaupt, die ganze Sache wäre doch nie passiert, wenn du Tina nicht immer erlaubt hättest, dieses verdammte Meerschweinchen mit nach draußen zu nehmen. Sie ist doch erst vier!“

      „Ach? Nun bin ich wohl wieder an allem Schuld. Wenn ihr großer Bruder ab und an mal etwas Zeit erübrigen könnte, um sich um seine kleine Schwester zu kümmern, bräuchte sie auch keine Meerschweinchen durch die Gegend zu schleppen. Du weißt ganz genau, wie sehr ihr Stefan fehlt, und dass sie sich langweilt, weil Julia mit deinem Vater nach Husum ist. Du kümmerst dich ja nie! Wenn du an den Wochenenden nach Hause kommst, dann stellst du dich an, als müsstest du tot umfallen, sobald dich Mama nicht mehr von vorn bis hinten bedient. Und dass du vierundzwanzig Stunden Schlaf am Tag brauchst, ist doch wohl ein Witz! Mein Gott, David, du bist lediglich beim Bund und arbeitest nicht in einer Holzeierfabrik im Akkord, wie dein Vater in deinem Alter. Aber ab jetzt wird sich hier einiges ändern, mein Lieber, und damit Basta! Und vielleicht kümmerst du dich dann auch endlich mal um deine Beförderung, oder willst du dich für den Rest deines Lebens anbrüllen lassen und auf Befehl irgendeines nichtsnutzigen Burschen durch den Schlamm robben?“

      „Mama ...“

      „Basta hab’ ich gesagt!“

      „Das ist nicht fair. Was soll ich denn tun? Dem Feldwebel in den Hintern kriechen oder dem General die Stiefel lecken? Außerdem, Mama ...“

      „Das haben auch andere vor dir getan, aber so ein Pingel wie du ...“

      „... darum geht es doch jetzt gar nicht. Was machen wir, wenn es gleich klingelt und die Polizei vor der Tür steht. Mama, so etwas darf man nicht. Das ist strafbar. Du ... du kannst nicht einfach hingehen und fremde Reifen zerstechen!“

      „Schluss mit der Debatte. Aus und vorbei! Ich habe getan, was ich tun musste und ...“

      „Wir werden ja sehen, was Pap ... Papa dazu sagt.“ Dem Jungen hatten mit einem Mal tatsächlich die Zähne geklappert.

      „Deinen Vater werden wir mit solchen Kleinigkeiten nicht belästigen!“ Zugegeben, Hermann war in seinen nüchternen Zeiten ein ganzer Mann gewesen, und was er tat, bewunderte er selbstredend, während sich bei den Taten anderer - besonders bei den ihrigen - seine Stirn über Wochen zweifelnd fältelte. Es war doch besser, ihn mit derlei Nichtigkeiten zu verschonen.

      „Ich werde es ihm trotzdem sagen“, hatte David heftig und mit Tränen in den Augen gerufen.

      „Mein lieber David“, hatte sie ruhig aber bestimmt erwidert. „Ich lege genauso wenig Wert darauf, dass du deinem Vater diese Geschichte erzählst wie du wahrscheinlich Wert darauf legst, dass ich deiner zukünftigen Frau Tante Mathildens David-Geschichten erzähle und wie sich ein gewisser David, den wir beide kennen, dabei immer vor Angst in die Hosen pullerte.“

      David sprach dann doch nicht mit Hermann über Meerschweinchen und angestochene Reifen, sondern schmollte nur über drei oder vier Wochen. Und als er das erste Mal seine Alice mit nach Koppstedt brachte, mein Gott, mit welch flehentlichem Blick er seine Mutter zu bannen suchte. Armer Junge. Was hatte Tante Mathilden da nur angerichtet.

      „Hat