Killerwitwen. Charlie Meyer

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Название Killerwitwen
Автор произведения Charlie Meyer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847684800



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die Familie eine Prämie.

      Julia verwunderte sich am Telefon immer noch über Raouls plötzliches Interesse am täglichen Geschehen im Hause Becker, und seine ungeteilte Aufmerksamkeit ihren persönlichen Problemen gegenüber versetzte sie in helle Begeisterung und ließ ihr mütterliches Herz vor Stolz anschwellen, wenngleich mitunter eine gewisse Besorgnis in ihrer Stimme mitschwang:

      „Offensichtlich pubertiert er“, sagte sie nachdenklich, „obgleich er ja komischerweise überhaupt keine Pickel bekommt. Rupert meint, er hätte diese Stufe einfach übersprungen und würde viel schneller erwachsen, als wir es für möglich gehalten haben. Allerdings nimmt sein plötzliches Interesse manchmal recht sonderbare Formen an. Neulich nachts musste Rupert ihn unter dem Bett hervorfischen, als wir gerade Na-du-weißt-schon-was machen wollten.“

      Im nächsten Brief schrieb Emmi ihrem Enkel Raoul, für Spannereien aus zweiter Hand zahle sie nichts, wohl aber für die Information, ob seine Eltern ernsthaft gedächten, die Zeugung der Fußballmannschaft weiterhin voranzutreiben. Raoul schrieb zurück, er habe im ganzen Haus kein einziges Kondom finden können, und da er seine Eltern aber immer noch in der Nacht von Samstag auf Sonntag sowie von Mittwoch auf Donnerstag aus dem Schlafzimmer stöhnen höre, befürchte er das Schlimmste, aber er habe im Internet eine Anzeige gefunden, das ein nigerianisches Ehepaar für fünfundzwanzigtausend Euro ein weißes Baby zu kaufen suchte und ob seine Oma gegebenenfalls als prozentual beteiligte Vermittlerin fungieren wolle. Emmi antwortete, sie werde darüber nachdenken, aber Raoul möge ihr doch bitte Bescheid geben, wenn er im Internet eine Anzeige zwecks Abgabe erwachsener Kinder finde. Sie gebe auch gern noch ein paar Euro dazu. Raoul schrieb zurück, angesichts der Inhalte ihrer Briefe halte er es doch für besser, sie unmittelbar nach dem Lesen zu verbrennen, und er bitte sie nachdrücklich, seinem Beispiel zu folgen. Von nun ab unterzeichnete er nur noch mit einem Fingerabdruck aus Tinte. Ein cleverer Enkel. Und bis dato stimmten seine Informationen aufs i-Tüpfelchen. Julia stürzte sich erneut in eine Schwangerschaft, Christina erschien gemäß seiner Ankündigung zu Weihnachten, David (ohne Alice) zu Ostern und Julia nebst Kinderschar am Pfingstsonntag. Zum Muttertag lieferte die Friedhofsgärtnerei Pauli drei mittelgroße Blumensträuße ab.

      Raoul schrieb, der Rotationsplan sei auf dem Mist seines Vaters gewachsen, der es leid gewesen sei, immer zuhören zu müssen, wie Tante Christina seiner Mama vorjammere, alle erwarteten von ihr, öfter nach Koppstedt zu fahren, nur weil Göttingen näherliege als Hildesheim oder Frankfurt, und das sei nicht fair. Und nach diesem katastrophalen Siebzigsten - Raoul schrieb: der geilen Schlägerei - scheine das allgemeine Besuchsinteresse noch stärker nachzulassen. Raoul beendete seinen Brief mit: „Mama hat Papa angeschrien, wenn er Tante Alice auch nur noch einmal ansieht, dann würde sie ihn mit demselben Messer kastrieren, mit dem Papa immer den Kälbern die Eier abschneidet.“

      Nach dem ersten Grimm fand Emmi die Idee eines Rotationsplanes gar nicht mal so schlecht, und nach zwei Tagen billigte sie das Ergebnis der kindischen Verschwörung nicht nur, wie sie die Zusammenrottung ihrer Kinder bei sich nannte, sie begrüßte es sogar. Im Pulk benahm sich die Familie wie eine Herde eifersüchtiger Hammel und blökte genauso unsinniges Zeug. Der katastrophale Siebzigste im November sollte ihr eine lebenslange Lehre sein. Aber obgleich sie im Prinzip die Kinderrotation gut hieß, kam ihr der aufgestellte Plan - Raouls schickte für einen Hunderter eine Kopie des Originals - etwas spärlich besetzt vor, und so hockte sie sich an den Esszimmertisch und erweiterte ihn nach eigenen Bedürfnissen. Zwischen Weihnachten (Christina) und Ostern (David) zitierte sie Mitte Februar Julia nach Koppstedt, um sich von ihr bei einer Frauensache beraten zu lassen, eine Formulierung, die Julias Neugierde weckte - und wieder einschlafen ließ, als sich bei ihrem übereilten Kommen die Frauensache lediglich als Beratung beim Einkauf diverser Schminkutensilien herausstellte. Die Spanne zwischen Ostern (David) und Pfingsten (Julia) war ausreichend kurz und benötigte keine Abänderung des ursprünglichen Plans. Aber zwischen Pfingsten (Julia) und August (Christina stand am ersten Wochenende auf dem kopierten Plan) bestellte sie David zum Aufhängen der neuen Stores. Und nach Christina Anfang August und vor Davids turnusmäßigem Erscheinen zu ihrem Geburtstag im November würde sie erneut Julia bemühen müssen. Aus welchem Grund auch immer, seit Uronkel Heinrich war die Rieffenbach’sche Fantasie in Familienkreisen berüchtigt, und das Jahr konnte mit Christinas Erscheinen zu Weihnachten zu ihrer Zufriedenheit ausklingen.

      Rupert und Alice, Schwiegersohn und Schwiegertochter, standen nicht auf dem Plan und mussten als Angeheiratete ohnehin nur zu Nullergeburtstagen oder Beerdigungen erscheinen, eine Tradition, die Emmi nach Kräften unterstützte, weil sie beide nicht mochte. Rupert war in ihren Augen ein dümmlicher Möchtegern-Bauer, mit dem sich ohnehin nichts anzufangen ließ, und Alice eine arrogante Zicke, die sich in allem besser dünkte als der Rest der Welt. Seit ihrem Geburtstag herrschte sowieso Funkstille. Grundgütiger, was war sie damals auch so naiv gewesen, sich von diesem ganzen Siebzigerjahre-Trara derart mitreißen zu lassen. Eine Familienfeier im großen Stil, so wie im Fernsehen, mit Sekt und einem Festessen und sie als strahlender Mittelpunkt einer großen glücklichen Familie. Was für ein Schmarren!

      Es fing schon damit an, dass die Kinder im Vorfeld auf ihre Anregung sehr verhalten reagierten und ihr versuchsweise die persönlichen Opfer andeuteten, die sie ihr Kommen kosten würde. David musste seiner beleidigten Schwiegermutter absagen, Christina ihr Meditationswochenende in der Eifel und Julia und Rupert einen Aushilfs-Kuhmelker einarbeiten. Raoul schrieb später, in diesem Jahr sei der Rotationsplan etwas konfus ausgefallen, und ihr Geburtstagstermin sei versehentlich in den Januar gerutscht, was bei allen große Bestürzung ausgelöst habe. Aber nachdem sie so drängte und einmal, wie peinlich, beinahe sogar in Tränen ausbrach (die Kinder der ollen Taube hatten kurz zuvor deren Siebzigsten im Koppstedter Grand-Hotel ausrichten lassen!), da blieb ihren eigenen Sprösslingen natürlich keine Wahl mehr, als wenigstens zu erscheinen. Es war auch nicht so gewesen, dass sie sich nicht wirklich bemühten, sich in ihrer unterdrückten Gereiztheit nicht gegenseitig die Haare auszureißen. Sie kamen, lachten laut und nervös, standen sich und anderen im Weg herum, und die Enkel tobten ungezügelt durchs ganze Haus.

      Erst als der vom Partyservice gelieferte Rollbraten nebst Leipziger Allerlei am Abend verzehrt war, der erste Sektkorken knallte und die große Bowle im Wohnzimmer auf dem Tisch stand, da entwickelte sich tatsächlich bis zu einem gewissen Grade eine angeheiterte Geselligkeit wie unter normalen Menschen ohne hemmende Verwandtschaftsgrade. Bis Alice, diese Etepetete in klappernden Stöckelschuhen, plötzlich den Geburtstag gründlich verdarb. Sie vertrug einfach einen Alkohol.

      Emmi schüttelte verärgert den Kopf. Warum hörte dieser Junge auch nie auf sie? Dabei stand doch schon vor seiner Hochzeit klipp und klar fest, wie wenig er und seine Zukünftige zusammenpassten und was für einen schrecklichen Fehlgriff er zu ehelichen gedachte. Aber nein, David schmollte nur wieder, als sie ihn vorsichtig darauf hinwies, und sprach wochenlang kein einziges Wort mehr mit ihr. Und bei der Hochzeitsfeier brach Alices Mutter in Tränen aus, nur weil sie, Emmi, glaubte, in ihr eine Frau mit gesundem Menschenverstand gefunden zu haben, die der Lächerlichkeit dieser Verbindung offenen Auges gegenüberstand.

      Obgleich es an ihrem Geburtstag eigentlich Julias Rupert war, der die Lawine auslöste. Ganz plötzlich schweifte er von Tinnitus und Prolaps ab und ließ sich über Reizwäsche aus. Vielleicht lag es ja daran, dass man von einem Maurer, der sich als Bauer versuchte, nichts anderes erwarten konnte, aber dass Julia, Alice und selbst Christina dann anfingen, sich gegenseitig zu überbieten und vor den offenmündigen Kindern mit BH-Größen, geschlitzten Slipzwickeln und was sonst noch für Schweinereien prahlten, hatte sie doch sehr verärgert. Kein Wunder, dass Alice mit einem Mal verschwand, wieder auftauchte und in einem rosa Flatternegligé durchs Zimmer tanzte - wie ein Schluckspecht hatte sie den ganzen Abend lang ihren Schnabel in die Bowle getaucht! Und natürlich wollte sie mal wieder alle anderen ausstechen.

      Und dann erst David. Für eine Mutter wirklich beschämend zu sehen, wie sehr sich der Junge zum Narren machte. Musste er wie ein Springteufel mit hochrotem Kopf aufspringen und seine kreischende Frau quer durchs Zimmer jagen? Hätte eine einfache Ohrfeige nicht ausgereicht? Ein wenig mehr zupackende Vernunft und der albernen Göre wäre keine Zeit mehr geblieben zu stolpern und auf Ruperts Schoss zu landen. Was für ein Kuddelmuddel!

      Rupert packte beherzt zu, Alice kreischte lauter, David brüllte