Killerwitwen. Charlie Meyer

Читать онлайн.
Название Killerwitwen
Автор произведения Charlie Meyer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847684800



Скачать книгу

Abend vor ihrer Konfirmation war das gewesen. Mein Gott, wie konnte ein kleines Mädchen nur so laut brüllen. Und um sich schlagen. Schließlich musste sie mit einer halben Adumbran zu Bett gebracht werden, und bei dem feierlichen Gottesdienst am nächsten Morgen schlief sie ein und rutschte unter die Kirchenbank.

      Eine Woche später – wie erbittert Hermann und sie sich in diesen Nächten über das Trinken und die unerreichbaren Eckhäuser mit den großen Badezimmern gestritten hatten - da saß Christina wieder in der Wanne, mit zusammengepressten Lippen und diesem seltsamen Blick in den aufgerissenen blauen Kinderaugen, während Emmi - Hermann war wohlweislich in die Dicke Wirtin geflüchtet - mit verschränkten Armen auf der Badematte stand und das Mädchen beaufsichtigte.

      Und am nächsten Tag, dachte Emmi und schloss die Kellertür zum Garten auf, habe ich mir den linken Arm gebrochen, als ich die Treppe hinunterging und auf einen ihrer Rollschuhe trat, der halb verborgen im Schatten der letzten Stufe stand. Und Hermanns ganzer Stolz, seine Streichholztitanic, lag zerquetscht unter dem dicken Weltatlas, der auf unerklärliche Weise aus dem Bücherregal gerutscht war.

      Was ihre Fähigkeit zu konsequentem Handeln betraf, schlug Christina eindeutig dem Rieffenbach’schen Familienzweig nach.

      Emmi schleppte die schwere Gießkanne die Steinstufen der Kellertreppe hinauf. Jenseits der großen, vom Regen hässlich gewordenen Bastmatte - sie trennte die Terrassen der beiden Mittelhäuser voneinander - hörte sie das monotone Schrubben der ollen Taube. Wieder einmal. Seit vierzig Jahren jeden zweiten Tag dasselbe Geräusch. Erst schrubbte sie die Terrasse, dann die Steine des Gartenweges. Energisch und unermüdlich. In Kittelschürze und mit nach hinten gebundenem Kopftuch, die Wangen vor Anstrengung gerötet, die großen grauen Augen mit dem schwarzen Wimpernkranz blitzend vor Genugtuung, der hölzerne Stiel des Schrubbers in festem Griff. Sie schrubbte alltags, an Sonn- und Feiertagen, bei Hitze und Kälte. Selbst nach einem Eisregen im Winter sah man sie gelegentlich auf Socken über die Steine schliddern, einen dampfenden Eimer mit heißem Wasser in den rot gefrorenen Händen. Erst wurde abgetaut, dann geschrubbt

      Die Luft roch nach Seifenlauge und Grillwürstchen. Eine Schwalbe segelte im Tiefflug über Emmis Kopf und ließ sie ärgerlich die Stirn runzeln. Sollte etwa der Wetterfrosch im Radio mit seiner Unkerei doch recht behalten?

      „Unsinn“, wisperte sie energisch, „es wird ein schöner Sommer.“ Und schlich sich auf Zehenspitzen längs der Hecke zum Steingarten. Nur keine schrubbende Nachbarin wecken.

      Heute konnte sie darüber lachen, wenn sie an Hermann und seine erste Begegnung mit Ilse Taube zurückdachte, aber damals? Eine neuerliche Bestätigung seiner schwerenöterlichen Veranlagung. Seiner Bereitschaft, sie für jeden flatternden Frauenrock beiseitezuschieben, was er auch buchstäblich tat, als er Ilse Taube erblickte, obgleich sie keinen flatternden Rock trug, sondern lediglich eine geblümte ärmellose Kittelschürze. Ein göttlicher Anblick. Eine kittelbeschürzte Aphrodite mit schulterlangen schwarzen Haaren, einem hellen Teint, großen grauen Augen, von dichten schwarzen Wimpern gerahmt und hohen Wangenknochen, die sich erwartungsvoll röteten. Rosenrot stieg zu Hermann aus dem Märchenbuch herab, und Hermann schmolz wie ein Schneemann auf einer Sonnenbank.

      Dass vom Eckgrundstück auf der anderen Seite eine spatenbewaffnete, busenwogende Walküre mit tizianroter Lockenpracht über frisch aufgeworfene Erdschollen herüberstapfte, bekam er in seiner Verzückung überhaupt nicht mit. Die Blendung der nymphenhaften Elfe mit dem poetischen Namen Ilse Taube überstrahlte alles. Ilsekind, wie ihr Mann sie rief. Oder Täubchen. Was für ein peinlicher, entwürdigender Augenblick. Hermanns Gestalt wuchs, seine Muskeln strafften sich, er zog den Bauch ein und drückte die Brust heraus, und Emmi konnte sich noch genau daran erinnern, sich just in dem Moment, als die kittelbeschürzte Aphrodite auf langen schlanken und nackten Beinen über die schmale Grenzrinne der brachen Grundstücke sprang und mit ausgestreckter Hand auf Hermann zuschwebte, sich unwillkürlich nach dem Fleischmesser auf dem Terrassentisch umgesehen zu haben. Überflüssigerweise, wie sich gleich darauf herausstellte, denn Hermanns Ego erschütterte nur Momente später ein Schock, der ihn zeit seines Lebens ungläubig den Kopf schütteln ließ.

      Rosenrot blieb stehen, ihre zarten Finger verschwanden in Hermanns rauer Pranke, das wohlgeformte Näschen kräuselte sich, sie öffnete die rosigen, fein geschwungenen Lippen und krähte mit durchdringender Kastratenstimme: „Siiiieee, is’ das man die Schubkarre von Sie, die mein Jochen, der wo mein Männeken is’, in die Gasse da vorn den Weg versperrt?“

      Nie zerplatzte ein Traum fixer als in diesem Moment. Hermann zuckte wie von einer Flintenkugel getroffen zusammen, seine Augen weiteten sich in maßloser Verblüffung, sein Brustkorb sank ein, die Schultern sackten nach vorn, und ein grämlicher Ausdruck bohrte sich in seine Mundwinkel. Ach Gottchen, wie schadenfroh sie damals feixte nach der ersten Verwirrung. Viel zu früh und viel zu unbedarft. Das war’s dann wohl, mein Lieber, flüsterte sie bereits, während doch das Drama erst seinen Anfang nahm. Nicht Ilse Taube sollte ihr den Hermann wegnehmen, sondern die rothaarige Walküre, die ihm wenig später von hinten auf die Schulter tippte, mit grünen Augen anblitzte, in denen goldene Lichter vielversprechend funkelten, und mit einem warmen, etwas heiseren Alt sagte: „Mein Name ist Lola Woitzack und wir sollten einmal auf gute Nachbarschaft anstoßen, Herr Nichterlein.“ Und Hermann versank zum zweiten Mal an diesem Morgen – und zwar für die Dauer von siebenundzwanzig langen Jahren - zwischen wogendem Busen und kräftigen Schenkeln. Bis zum Vorabend des Tages, an dem ihn das Beerdigungsunternehmen Heimkehr in den Sarg nagelte, ihren Hermann und seine vom Anstoßen versteinerte Leber.

      Diese Schlampe! Emmi spähte in den verwilderten Woitzack’schen Garten und verzog das Gesicht. Innen pfui und außen pfui. Bah!

      Doch gleich darauf lächelte sie wieder zufrieden. Wie immer, wenn sie ihren Steingarten betrachtete. Schön sah er aus im Sommer. Die blauen Glockenblumen wiegten sich im Wind, die Hornveilchen, weiß, gelb und lila, wuchsen bunt durcheinander, der Goldflachs strahlte mit der Sonne um die Wette, der Thymian duftete gegen Seifenlauge und Grillwürstchen an, und die Nachtkerzen hatte der Sturm geplättet. Zwei dicke Hummeln rauften sich um die Stachelnüsschen, der Zitronenfalter auf dem Storchschnabel klatschte mit den Flügeln behäbigen Beifall, und über dem kleinen Teich am Fuße des Steingartens, einer eingebuddelten, zerbeulten Zinkwanne, schwebte majestätisch eine bunt schillernde Libelle.

      Sie atmete tief durch und hangelte sich dann mit der schweren Gießkanne von Trittstein zu Trittstein. Und plötzlich schoss ihr die verrückte Idee durch den Kopf, auf Hermanns Grab einen zweiten kleinen Steingarten anzulegen, und bei der Vorstellung an sein empörtes Knochenklappern prustete sie laut los. Ein schwerwiegender Fehler, denn die Schrubbgeräusche auf Nachbars Terrasse endeten abrupt, und Emmi biss sich ärgerlich auf die Unterlippe. Natürlich, man konnte schleichen, wie man wollte, die olle Taube hörte alles. Und das, obgleich sie immer klagte, sie litte unter einem schrecklichen Tinnitus in beiden Ohren und höre rein gar nichts mehr! Emmi schüttelte wütend den Kopf. Sie wusste, was ein Tinnitus war und wenn die Taube wieder mit ihrem eingebildeten anfing, würde sie ihr diesmal ganz bestimmt ein paar Takte dazu sagen. Alte Hexe, die!

      Eilige Schritte näherten sich, dann knarrte die Kiste, welche die olle Taube seit zwei oder drei Jahren brauchte, um über die Ligusterhecke sehen zu können. Obgleich die Hecke in all der Zeit immer auf die gleiche Höhe zurückgestutzt wurde - mit angelegter Messlatte - standen die Nachbarinnen eines Tages in ihren Gärten und stellten verblüfft fest, sich nicht mehr in die Augen sehen zu können. Es lag an dem vermaledeiten Rückwärtswachstum. Irgendwie schrumpfte der Körper mit zunehmendem Alter. Eine Zeit lang unterhielten sie sich noch von Haarschopf zu Haarschopf, bis auch diese hinter dem grünen Blättergewirr entschwanden, und gerade, als Emmi sich, nach dem Verstummen jeglicher Heckengespräche und damit auch der Taubeschen Seitenhiebe, dieses erfreulichen Aspektes ihres Rückwärtswachstums bewusst wurde, kramte die erfindungsreiche Taube einfach nach einer Kiste.

      Füße schabten auf Holz, Emmis Nackenmuskulatur spannte sich, und die Kopfhaut begann erwartungsvoll zu kribbeln. Gleich würde die Nachbarin sie ansprechen. Egal, womit sie sich beschäftigte, ob sie Zeitung las, im Liegestuhl auf der Terrasse schlummerte oder Kaffeegäste bewirtete, die olle Taube krähte ungeniert dazwischen. Wahrscheinlich würde sie nicht