Killerwitwen. Charlie Meyer

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Название Killerwitwen
Автор произведения Charlie Meyer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847684800



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erst recht. Nu wird er sich im Grabe umdrehen. - Is’ das mein Telefon? Ja? Na, das wird wohl mal wieder mein Thomas sein, der Döskopp, ob er am Sonntag mit die Lütten kommen kann, wegen der Migräne von seiner Polnischen. Wissen Sie was, richtig miesepetrig sehen Sie aus, das is‘ mich vorhin gar nich‘ so aufgefallen. Und so geschwollen unter die Augen. Haben Sie nich’ gut geschlafen? Nu, nu ich komm ja gleich. Tschüsschen, Frau Nichterlein, vielleicht sollten Sie sich ’n büschen hinlegen. Die Monika, die soll sich ja auch ‘ne Grippe geholt haben, Sie wissen schon, die Mittlere von Schröders, die wo die Kleine gestorben is’ und das Würmchen im Pathologischen gelandet is’, weil die Nachbarn bei der Polizei gesagt haben, der ihr Freund, der soll’s tot gemacht haben. Jetzt sitzt sie beim Aldi an der Kasse.“

      Unvermittelt schnellten die grünen Triebe der Hecke wieder zusammen, Kopf und Kopftuch verschwanden, Schritte trappelten auf die Terrasse, eine Tür knarrte, das Schrillen des Telefons wurde lauter, dann, peng, klappte die Tür energisch zu, und das Schrillen wurde zum leisen Schnarren und verstummte schließlich.

      „Grundgütiger“, murmelte Emmi erschlagen und schwankte auf ihrem Trittstein mitten im Steingarten. „An die werd’ ich mich mein Lebtag nicht gewöhnen.“ Wie konnte der Allmächtige einer so gut aussehenden Frau nur ein so schreckliches Mundwerk angehext haben. Kein Wunder, dass jeder zurückschreckte, sobald ihre Zunge loslegte.

      Und dann begann, wie immer, der Ärger an ihr zu nagen. Miesepetrig sah sie also aus, und die neue Bluse war ein Ladenhüter. Hermanns Gaitana musste die Olle natürlich ebenfalls erwähnen. Und dann der Seitenhieb mit den Kindern und ihren seltenen Besuchen. Diese alte Hexe mit den Grübchen in den Wangen und den tadellosen Zähnen. Bekam die Taube etwa Altersflecken oder Rettungsringe um die Taille? O nein, alle im Birkenpfuhl jammerten, nur sie nicht. Sie sah immer noch so aus wie vor zwanzig Jahren und war lediglich geschrumpft. Nicht einmal die dunklen Haare wollten sich grau färben. Die Blum mit ihrem Glatzkopf und den aufgeschwollenen Lippen bekreuzigte sich sogar hinter ihrem Rücken und murmelte neidvoll etwas von Zauberei, während sich der alte Brunner in aller Öffentlichkeit dafür aussprach, in der Sackgasse einen Scheiterhaufen für Lästermäuler zu errichten.

      „Aufs Rad flechten“, sagte Emmi grimmig. „Oder ersäufen!“

      Sie stapfte wütend in den Keller und füllte die Gießkanne zum dritten Mal.

      „Es gibt keine Werte mehr in der Welt“, brummelte sie und goss die Gänsekresse und ihre Zehen.

      Erst als im Steingarten das Wasser kaskadenartig über die Trittsteine rann, stellte sie die leere Gießkanne ab und stapfte immer noch wütend den Gartenweg hinunter. Den Birnbaum auf der kleinen Rasenfläche brauchte sie nicht mehr zu gießen, er sollte ohnehin gefällt werden und seit ihrem halbherzigen Versuch mit der rostigen Säge im letzten Herbst streckte nur noch ein mannshoher Torso anklagend ein paar Armstümpfe gen Himmel, aus denen lange grüne Triebe sprossen.

      Wenn David kommt, dachte sie vage und pflückte die letzten reifen Erdbeeren von den Büschen am Fuße der Ligusterhecke. Die meisten hatten sowieso schon die Schnecken gefressen, vor allem die großen roten Nacktschnecken, die unter den Füßen so eklig zerplatzten, wenn man auf sie trat. Letztes Jahr war sie erst böse ausgerutscht, und ab und an tat ihr immer noch das Handgelenk weh. Seitdem stellte sie biergefüllte Schälchen aus, aber den Schnecken schmeckten die Erdbeeren offensichtlich viel besser als das Bier. Ob sie vielleicht die falsche Sorte kaufte? Oder lebten heutzutage auch die Schnecken gesundheitsbewusster und nahmen Rücksicht auf ihre Leber? Hatten sie überhaupt eine Leber? Emmi runzelte nachdenklich die Stirn und betrachtete die Erdbeeren in ihrer Hand. Wenn sie die Nachzügler nicht in den Mund, sondern in eine Schale sammelte, könnte es für Sonntag vielleicht für zwei kleine Torteletts reichen. Erdbeertorteletts mit frisch geschlagener Sahne. Lecker!

      „Lass das“, sagte sie streng. „Oder willst du ein Fettkloß werden?“

      Die olle Taube, die aß schon seit zwei Monaten Spargel mit Buttersoße und nahm kein Gramm zu. Aber sie selbst brauchte ja nur den Kühlschrank zu öffnen, und ihre Waage kreischte vor Empörung. Erbost stopfte sie sich die Handvoll Erdbeeren in den Mund. Irgendetwas krabbelte auf ihrer Zunge. Sie schluckte energisch, und das Krabbeln hörte auf.

      In diesem Sommer würde es eine Menge Stachelbeeren geben, die beiden Büsche saßen voll. Schade, dass keines ihrer Kinder Stachelbeeren mochte. Sie holte die Heckenschere aus dem Haus, öffnete das Gartentor und schnitt ein paar vorwitzige Triebe ab, die schon ziemlich weit in den Fußweg zwischen den Reihenhäusern hineinragten. Die Kuhn, diese gelbgesichtige, hakennasige Zimtzicke, beschwerte sich sonst nur wieder. Das war so eine Hundertprozentige, eine ehemalige Volksschullehrerin, die im Frühjahr ihren Vorgarten mit einem exakten Schachbrettmuster aus gelben und blauen Stiefmütterchen bepflanzte und gnadenlos alles ausmerzte, was sich dazwischendrängen wollte.

      Was für ein hässlicher Weg; kein Vergleich mit dem bunten Kiesweg vor ihrem eigenen Reihenhaus! Graue Platten mit abbröckelnden Ecken; einige waren sogar in der Mitte schon durchgebrochen, und zwischen ihnen schaufelten unermüdliche Ameisenvölker Millionen von kleinen Sandkörnern auf das Grau der Steine. Jedenfalls so lange, bis die Kuhn mit ihrer Sprayflasche Ameisentod kam und anschließend mit dem Handfeger Leichen und Sand fein säuberlich in die Ritzen zurückfegte. Dann gab es für eine Woche Ruhe, bis ein neues Ameisenheer die Ritzen eroberte und die Schaufeln zückte.

      Und weil sie die Heckenschere einmal in den Händen hielt, schnitt Emmi gleich noch die langen Kantenhalme des Rasenvierecks rund um den Apfelbaumtorso und fand einen kleinen toten Spatz, der von Maden und allerlei sonstigem Getier schon halb ausgehöhlt war und nahe daran, die untere Hälfte seines Schnabels zu verlieren. Sie packte ihn an der letzten seiner Schwanzfedern und trug die Leiche mit spitzen Fingern zum Komposthaufen vor den Stachelbeerbüschen, zusammen mit einer dicken schwarzen Made, die seitlich zwischen den Miniaturrippchen herausbaumelte und sich schaukelnd mittragen ließ.

      Nachdem die wuchernden Grastriebe gekappt waren, kam sie nur ächzend wieder in die Höhe. Diese verflixte Bandscheibe. Doktor Kühne sagte natürlich, das seien nur altersbedingte Verschleißerscheinungen und grinste sich eins, als sie die Geschichte von David und dem alten Schuhschrank erzählte. Wie er über den Teppich stolperte und sie so plötzlich das ganze Gewicht des Schränkchens allein tragen musste. Und wie es just in diesem Moment laut knackte in ihrem Rücken, damals vor fünf Jahren und zwei Monaten. An demselben Tag, als Julias drittes Kind, Roberto, zur Welt kam und Julia ihr Angebot nach Hildesheim zu kommen, um auf Raoul und Magdalena aufzupassen, so unfreundlich ablehnte.

      In der Äskulapschlange hatte sie kurz nach diesem Schuhschrankunfall einen Artikel über Bandscheibenschäden gelesen. Prolaps! Häufig als Folge einer traumatischen Einwirkung. Und dieser Tag war doch wohl traumatisch genug gewesen. Seitdem litt sie schließlich immer wieder unter heftigen Schmerzen, die rechte Hüfte knirschte seltsam, und gelegentlich zog sie sogar das Bein nach.

      Neben sensiblen Störungen kann es zu motorischen Ausfallserscheinungen bis hin zur Lähmung kommen.

      Aber der Kühne wusste es natürlich wieder einmal besser, und darüber hinaus machte er sich sogar noch über sie lustig, als sie wiederholt über Hüftbeschwerden klagte. Ja, du meine Güte, Frau Nichterlein, Sie trinken mir doch nicht etwa? Gerade vor Ihnen hat der Herr Sowieso auf demselben Stuhl gesessen und über dieselben Schmerzen geklagt. Und im Vertrauen gesagt, der ist wahrscheinlich der größte Saufbold in ganz Koppstedt!

      Dieser unverschämte, arrogante Schnösel von einem Arzt. Der alte Frisch hätte sich eher die Zunge abgebissen, als so daherzureden, aber die Respektlosigkeit der heutigen Jugend machte nicht einmal mehr vor kranken Menschen halt.

      Sogar Christina lachte am Telefon, als sie sich entrüstete.

      Es war wohl das Schicksal der Welt, dass die Guten ausstarben und die Schnösel nachrückten. Die jungschen Besserwisser, die nicht einmal Medikamente verschrieben. Medikamente haben Nebenwirkungen, Frau Nichterlein. Gehen Sie lieber ins Kräuterhaus. Aber über das Kräuterhaus, da würde sie dem Kühne am Montag schon die Meinung geigen. Hundert Gramm Taubnesselblüten für dreiundzwanzig Euro und neunzig. Und die Nieren taten ihr trotz des Tees weh. Allerdings musste sie seitdem alle naselang zur Toilette