Tödliches Monogramm. Elisa Scheer

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Название Tödliches Monogramm
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737562591



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Tritt denken, es sei Papas Gesicht... Papa, der gerade wieder schwadronierte, warum Mama dusslig war und zu nichts zu gebrauchen, warum Frauen ohnehin völlig überflüssig waren und eine gute Welt die Männer vor diesem Weiberterror schützen müsste... Jeder Tritt ein echtes Vergnügen, ich bekäme die muskulösesten Beine der Welt! Oder ein Sandsack mit einem Foto von Papa drauf – und dann immer voll in die Fresse...

      Ich sollte mal Mama anrufen, sonst redete ja keiner mit ihr. Eigentlich fand ich diesen weinerlichen Ton zwar auch enervierend, aber das Mitleid überwog, also griff ich zum Hörer, hoffend, dass Papa noch in der Arbeit war. Oberamtmann bei der Stadtverwaltung, da konnte er sich gebührend wichtig machen! Mama war da und klang so atemlos, als habe sie auf ein wichtiges Gespräch gewartet. Als ich meinen Namen genannt hatte, freute sie sich, aber...

      „Isilein, schön, dass du mal anrufst... ich muss nur gleich die Kartoffeln... für Papas Abendessen, du weißt ja...“

      „Es ist doch erst vier?“, wandte ich ein, in seliger Ahnungslosigkeit, wie lange man Kartoffeln kochen musste. Ich nahm immer tiefgefrorene Bratkartoffeln, die gingen viel schneller. „Ja, aber die dauern doch!“, antwortete Mama prompt. „Soll ich dir nicht doch mal ein bisschen Kochen beibringen? Stell dir vor, wenn du doch noch mal heiratest, du hast doch sonst nichts wie Ärger mit deinem Mann, wenn er heimkommt und du hast das Essen nicht fertig!“ Ich seufzte. „Mama, ich hab nicht vor, mir freiwillig einen ins Haus zu holen, der mich dann nur anschnauzt. Und wenn, wer sagt denn, dass nicht er früher nach Hause kommt als ich? Dann kann er doch die Kartoffeln aufsetzen, oder?“

      Ich sah das resignierte Kopfschütteln am anderen Ende förmlich vor mir: So kriegt sie doch nie einen ab! Wenn schon. „Wie geht´s dir denn?“, fragte ich also, um das Thema zu wechseln.

      „Ach ja, ganz gut“, antwortete Mama, „dein Vater ist zur Zeit richtig freundlich zu mir. Deshalb will ich das ja auch nicht aufs Spiel setzen, indem ich das Essen nicht rechtzeitig...“

      Ihre Stimme erstarb bescheiden und ich seufzte innerlich. Richtig freundlich, das hieß wohl, dass er seine sarkastischen Bemerkungen über ihre angebliche Dummheit auf die Hälfte reduziert hatte?

      „Ich finde, er ist immer reichlich unhöflich zu dir“, widersprach ich also. „Zu mir auch, aber mir kann´s ja egal sein, ich gehe einfach nach Hause, wenn es mir zu blöd wird.“

      „Ach nein, Isilein, nicht unhöflich. Schau, es ist doch verständlich, wenn er manchmal ungeduldig wird. Von seiner Arbeit“ – das sprach sie regelrecht ehrfürchtig aus, als hätte sie vor ihrer Heirat nicht selbst gearbeitet – „ist er es eben gewohnt, dass alles wie am Schnürchen klappt.“

      „Versteh ich nicht“, entgegnete ich roh, „er arbeitet doch in einer Behörde. Da klappt doch garantiert nichts. Ich meine – Beamte, da weiß man doch...“

      Mama kicherte zaghaft und widersprach dann pflichtgemäß. „Also, wo dein Vater arbeitet, klappt alles, da kannst du sicher sein. Und wenn ich dann etwas vergessen habe oder zu spät dran bin – ich bemühe mich ja, aber du weißt ja selbst...“

      „Ja, dass sein Herumgeschnauze dich nervös macht. Mir ist´s ja früher genauso gegangen. Aber warum widersprichst du ihm nicht? Ich meine, es ist ja nicht so, dass er handgreiflich würde – oder etwa doch?“, fragte ich, plötzlich erschrocken. „Aber nein, Isilein. Seine Waffe ist die spitze Zunge, nichts sonst. Ihm widersprechen? Ich weiß nicht recht...“

      „Verblüfft wäre er bestimmt“, versuchte ich sie zu locken.

      „Ja, das wohl sicher...“ murmelte sie nachdenklich. „Du, Isilein, es tut mir Leid, aber ich muss jetzt wirklich in die Küche. Ruf mich mal wieder an, ich freue mich doch immer, von dir zu hören!“

      Zack, aufgelegt. Ob sie jetzt darüber nachdachte, dem alten Tyrannen mal zu widersprechen? Oder verdrängte sie den aufmüpfigen Gedanken gleich wieder? Eher letzteres, stand zu befürchten. Wenn ich bloß daran zurückdachte, wie sehr er mich früher gequält hatte! Immerzu dieses Spitzen, ich sei doof, ich würde das Abitur sowieso nicht schaffen, ich sei hässlich und zu dick, so dass er mich nicht einmal einem Dummen andrehen könne, außerdem ungeschickt, zu dämlich für Hausarbeit... Zu dick war ich damals wirklich gewesen, lauter Frustspeck. Kaum hatte ich mich nach dem Abitur davon gemacht (in eine wirklich entsetzliche WG, aber schließlich war alles besser als Papas Tiraden), schmolzen die Pfunde fast von selbst dahin, solange ich keinen Freund hatte. Ein Mann in meinem Leben weckte sofort wieder meine Sehnsucht nach Super-Riesen-Familientüten Erdnussflips, und es gab bekanntlich fast nichts, das so dick machte – außer Buttercremetorte, die ich glücklicherweise nicht mochte. Bei Alex war es mir zum ersten Mal gelungen, mein Gewicht zu halten – er war so gar nicht dominierend gewesen. Bei mir wenigstens nicht, vielleicht bei den zwei anderen?

      Mittlerweile hatte ich die Sache aber im Griff, ganz bestimmt! Und was Papa von mir dachte, war mir wirklich völlig gleichgültig. Richtig scheißegal. Mit tat ja nur Mama Leid, aber die musste sich selbst aus ihrer Lage befreien, ich konnte nicht mehr tun als diskret zu stänkern, genau wie Philipp, der ihr mal angeboten hatte, sie bei einer Scheidung zu vertreten, aber da hatte sie ihn nur völlig konsterniert angestarrt.

      Wenigstens hatte ich zurzeit keine Erdnussflips im Haus und auch kein besonderes Verlagen danach. Gut, wenn ich mit der Diss. überhaupt nicht von der Stelle kam... aber Sandra, Petra und dieser obskure Mordfall lieferten mir genug Ablenkung. Und für den Notfall gab es immer noch meinen voll gestopften Schrank, den ich seit zwei Jahren mal ausmisten wollte. Da mussten neben vielem überflüssigen Kram auch alle Klamotten stecken, die ich schon ewig nicht mehr gesehen hatte.

      Das war ja überhaupt die Idee! Wenigstens ein Fach konnte ich doch... und danach würde ich auch wieder weiter schreiben, ganz bestimmt. Schließlich musste ich ja ziemlich bald referieren, und darauf, dass die anderen meine Ansätze zerpflückten, war ich nicht unbedingt scharf.

      Ein Fach, nur eins! Aber wenigstens das große, das oben über die ganze Breite lief, das lohnte sich bestimmt. Ich fegte alles heraus und setzte mich dann gemütlich auf den Boden, um zu stöbern. Ach, der komische violette Samthaarreifen! Wegwerfen oder aufheben, für feierliche Anlässe? Für die Promotionsfeier vielleicht? Aber violett... das passte doch zu gar nichts! Ich sollte Petra fragen, die konnte so ungefähr alles brauchen, die reinste Elster.

      Und der blassrosa Pulli. Eigentlich ganz schön, erinnerte ich mich. Und teuflisch warm, die Garnmischung enthielt doch etwas zu viele Kunstfasern. Bei näherer Betrachtung war er auch schon reichlich verfusselt, und ich schleuderte ihn auf den Gang hinaus. Ach, das Seidentuch! Das war was für die Promotionsfeier! Oder für Events an meinen diversen Arbeitsplätzen. Waschen sollte ich es allerdings mal, es roch ziemlich muffig.

      Das graugestreifte Sweatshirt – da war es! Und ich hatte vor Urzeiten Petra beschuldigt, es nicht zurückgegeben zu haben! Peinlich. Sollte ich sie anrufen?

      Nein, sie hatte das Ganze doch ohnehin längst vergessen. Überhaupt, sie war dermaßen vergesslich, deutete das nicht wirklich auf Alzheimer hin? Aber in so jungen Jahren? Und wieso vergaß sie dann nie, wo es die schönsten Schuhe und Taschen gab? Nein, erst wenn ihr Namen wie Gucci, Prada oder Manolo Blahnik nicht mehr einfielen, musste ich mir Sorgen machen. Dass sie regelmäßig verpennte, Aufträge vergaß und keinen Kalender lesen konnte, war anscheinend normal. Aber dieser ominöse Julius oder Julian hatte Recht – sie brauchte eine Therapie. Oder einen Kurs oder was auch immer.

      Das Sweatshirt landete in der Schmutzwäsche, zusammen mit etlichen Socken, zwei verdrückten, aber guten T-Shirts und einer merkwürdigerweise eng zusammengerollten hellgrauen Cordjeans. Erfreut stopfte ich alles in einen Plastikkorb – eine ganze Maschine voller grauer Sachen, die ich schon fast vergessen hatte, das war ja fast so gut wie Einkaufen! Da hatte ich morgen wieder quasi neue Sachen anzuziehen! Okay, übermorgen, der Kram musste auch noch trocknen. Ich schleppte alles in den Keller, fand eine freie Maschine, füllte sie und freute mich. Wenn ich so weiter machte, hätte ich eines Tages tatsächlich den Überblick über all meinen Krempel! Und genug anzuziehen! Wenn ich noch mehr gute Sachen fand, konnte ich mir mindestens einen Stadtbummel schenken (schade eigentlich) und so wieder Geld sparen.

      Die