Tödliches Monogramm. Elisa Scheer

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Название Tödliches Monogramm
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737562591



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nach Hause. Und Mama konnte kaum mit mir hinterher und ich wollte immerzu getragen werden und verstand nicht, wieso sie nicht wollte...“

      „Der Idiot, er hätte dich doch tragen können!“

      „Einen so unmännlichen Sohn, der dauernd heult?“

      „Sag mal, er hat doch wirklich einen Männlichkeitswahn ... diese Angst, du könntest schwul sein, bloß weil du lesen und schreiben kannst -“

      „Eine Brille hab ich auch noch“, warf er ein und grinste.

      „- diese Idee, Weiber sind sowieso dumm und unfähig, Jungs dürfen nicht heulen... ich finde das ziemlich verdächtig. Bestimmt ist er auch sonst ein Schwulenhasser!“

      „Kann gut sein, aber was geht´s mich an?“

      „Naja, ich mal wo gelesen, dass Männer, die dermaßen vehement gegen Schwule agitieren, im Inneren eine Heidenangst haben -“

      „- selbst schwul zu sein.“ Philipp lachte spöttisch. „Das würde ihm ja so was von recht geschehen! Stell dir mal vor, in ein paar Jahren kommt dann ein zierliches Bürschlein, und Papa kann seine verborgenen Neigungen nicht mehr im Zaun haben und erlebt sein Coming out...“

      Ich musste auch lachen, wurde dann aber wieder ernst. „Für Mama wäre es schon ein Schlag. Alles bloß eine Lüge?“

      „Sie belügt sich doch ununterbrochen selbst. Dass Papa es nicht so gemeint hat und so. Nein, ich finde, wir haben genug Geduld gehabt, ich gehe da nicht mehr hin. Vater hin, Vater her, ein Mindestmaß an guten Manieren verlange ich schon von Leuten, mit denen ich freiwillig verkehren soll.“ Ich gab ihm Recht – ab jetzt nur noch Anrufe oder Besuche bei Mama, wenn der Schreihals aus dem Weg war!

      „Weißt du was?“, stellte ich bei diesen Überlegungen fest, „Früher hab ich mich doch immer gegrämt, wenn er mich zur Idiotin erklärt hat, egal, was ich gemacht habe. Aber heute habe ich gemerkt – es ist mir völlig egal, was er sagt! Seine Meinung interessiert mich nicht mehr! Ich erzähle ihm gar nicht mehr, wenn ich das Rigorosum hinter mir habe! Ich würde es ihm auch nicht erzählen, wenn ich heiraten würde!“

      „Sehr gut. Wenn du dich echt soweit gelöst hast, ist das toll. Hast du zufällig vor zu heiraten?“

      „Ach Quatsch, wen denn!“

      „Kann man nie wissen. Einer aus deinem Gruselkabinett.“

      „Und du eine von deiner Dumm-wie-Brot-Brigade!“

      Wir zankten uns ein bisschen, wer den schlimmeren Geschmack in puncto Bettpartnern hatte, und überlegten dann, ob das auch schon elterliche Prägung war: Immer nur mit solchen, die man garantiert nie heiraten würde, um einer Ehe aus dem Weg zu gehen?

      „Nein“, stellte ich schließlich fest, „ich glaube, ich hätte prinzipiell nichts dagegen. Aber die Pfeifen, die ich immer so kennen lerne – und im Moment ist weit und breit nicht mal eine Pfeife zu sehen. Bloß die drei Maden von nebenan, die Korinthenkacker bei Weinzierl und der kinnlose Edgar.“

      „Sei nicht gemein“, mahnte Philipp und winkte der Kellnerin, „dafür hat er doch diesen prachtvollen Adamsapfel.“

      „Ja, und die gewaltige Nase. Aber man weiß jetzt, dass die Nase gar nichts aussagt.“

      „Was aussagt?“, fiel Philipp prompt darauf herein. „Ach so. Äh. Worauf die Mädels so achten... Und was sagt dann was aus?“

      „Die Füße. Große Füße sind sehr gut, hab ich gelesen.“ Philipp streckte prompt einen Fuß unter dem Tisch hervor, als wüsste er seine Schuhgröße nicht, und hätte beinahe die Kellnerin damit zu Fall gebracht.

      „Sie -!“

      „Tschuldigung, ich musste nur was überprüfen.“ Leicht rosig orderte er zwei Spezi und zwei Karten und erntete noch einen zornigen Blick. Ich gackerte vor mich hin. „Weiber!“, schnaufte er. Prima Vorlage!

      „Du wirst deinem Vater auch immer ähnlicher“, tadelte ich.

      „Nimm das zurück! Der Alte, der hat doch das Tourette-Syndrom oder wie das heißt, wo man zwanghaft rumpöbeln muss! Der hätte schon mit Tischen geschmissen, wenn du zu ihm so frech gewesen wärst wie jetzt zu mir!“

      „Er schmeißt nicht, er brüllt und beleidigt. Sonst dürften wir Mama auf keinen Fall mit ihm allein lassen.“

      „Wir sind schon arm dran, was?“

      „Nein“, fand ich. „Erstens stehen wir doch schon ziemlich über der Sache, oder? Und zweitens gibt´s viel Ärmere. Sandra zum Beispiel.“

      „Hör bloß mit dieser Sandra auf!“

      „Ich will sie dir doch gar nicht mehr unterjubeln, die hat längst einen andern. Nein, aber die Eltern sind fast noch grausamer. Ich meine, wir können unsere doch wenigstens guten Gewissens nicht leiden – Papa wenigstens. Aber die trauern immer noch um diesen kleinen Bruder, der vor Urzeiten verunglückt ist, und die beiden Mädels werden völlig vernachlässigt und können nicht mal richtig sauer sein, weil die Eltern ja so arm dran sind. Wenn Sandra sich ärgert, kommt sie sich sofort schuftig vor. Das finde ich hart. Und einfach wegbleiben geht da ja auch nicht.“

      Ich hatte mir wirklich mal überlegt, dass Philipp und Sandra ein schönes Paar sein müssten, aber die beiden hatten so gar nichts miteinander anfangen können. Sie war ihm zu kritisch, er war ihr zu machohaft und zu bindungsscheu – und überhaupt fanden sie sich gegenseitig saublöd. Schade.

      „Ja, gut, das ist bitter. Aber – wie alt ist diese Sandra? Und die Schwester?“

      „Sandra ist achtundzwanzig, so wie ich. Und Toni ein Jahr älter, glaube ich. Du meinst, die dürften nicht mehr um elterliche Liebe buhlen?“

      „Genau. Du löst dich doch auch von Papas Fehlurteilen und sagst dir Scheiß drauf – und die beiden Frauen spielen die vernachlässigten Kleinkinder? Die waren doch schon um die zwanzig, als das passiert ist, oder war das noch früher?“

      „Nein, stimmt so ungefähr. Ja, aber niemand hat sie in ihrer Trauer begleitet oder so. Und die Eltern interessieren sich für gar nichts mehr, und damit können sich die beiden nicht abfinden.“

      „Sollten sie aber. Eltern kann man nicht mehr ändern, nur noch ertragen oder ignorieren. Hart, aber wahr. Ich glaub, ich nehm den Schweinebraten.“

      Familie war soweit abgehakt, beschloss ich, als ich wieder zu Hause war. Mit Philipp würde ich mehr Kontakt halten und ab und zu Mama anrufen – aber sonst nichts. Nada, niente, nothing, rien. Ich würde meine Dissertation fertig schreiben, ein Summa kassieren – mindestens! – das Rigorosum mit Bravour absolvieren, einen Superjob in einem Verlag ergattern, zu gegebener Zeit toll heiraten und wunderbare Kinder in die Welt setzen, außerdem natürlich mit der anderen Hand den Verlag leiten und eine führende Rolle in der Leisenberger Gesellschaft spielen (äh, der Aspekt reizte mich nun weniger) – und Papa nie ein Wort davon erzählen. Die totale Superfrau wie aus dem Kitschroman oder dem FilmFilm.

      Sehr realistisch. Na gut, Promotion, Verlagsjob, vielleicht ein Mann, vielleicht ein, zwei Kinder, ganz normale natürlich. Auch schon okay. Und dann ein Halbtagsjob, schließlich durfte seine Karriere ja nicht angetastet werden. Seien wir realistisch!

      Wenigstens schafften die guten Vorsätze mich an den Schreibtisch, wo ich dann am Stift kaute und etwas ratlos in meinen Kopienstapeln wühlte. Nach schwerfälligem Anlauf gelang mir dann doch etwa ein halbes Kapitel zu Greiffs Umgang mit seinen Autoren und dem legendären Krach mit Johann Ehrenfried Wimberger, was das ewige Verlagsrecht betraf, komplett garniert mit Briefwechselauszügen und den Kommentaren anderer, ungleich berühmterer Autoren, teils zustimmend, teils vor den eigenen Verlagen im Staube kriechend. Besser als ich kröche um den Thron herum, fiel mir ein. Hatte Schiller seinen Verleger eigentlich auch mal zur Schnecke gemacht oder nur auf dem Papier so herumgetönt? Leider hatte Schiller nie etwas bei Greiff herausgebracht, so dass die Frage zwar menschlich interessant, für meine Zwecke aber eher irrelevant war.

      Ich