Tödliches Monogramm. Elisa Scheer

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Название Tödliches Monogramm
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737562591



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ich so was wirklich? Obwohl, die Kleinen waren schon nett, wenn man auf sie aufpasste. Warm und wohlduftend (wenn nicht gerade ein Unglück passiert war) und vertrauensvoll. So ein Zwerglein, wenn man den Vater liebte... eigentlich eine schöne Idee, ein Menschlein, aus zwei Menschen hervorgegangen...

      Und so originell, das hatte sich vor mir sicher noch niemand überlegt!

      Verflixt, weiter im Text. Nein, lieber auf dem Balkon erstmal eine rauchen. Hatte ich überhaupt noch Zigaretten? Toll, noch zwei Stück – einkaufen gehen? Oder standhaft bleiben und weiterschreiben? Morgen wollte ich doch in die Sprechstunde gehen. Und in zwei Vorlesungen. Und zu Weinzierl musste ich auch noch. Und übermorgen zu EventMachine, wo Edgar zurzeit unausstehlich war, anscheinend hatte ihn dieser Korinthenkacker von Anwalt doch verklagt. Mal einen richtigen Job, nicht nur anderer Leute Schreibtische aufräumen und Rechnungen zusammenklammern! So ging´s eben, wenn man nichts Rechtes gelernt hatte.

      Bei den Maden heulte die Anlage auf, dann wurde es wieder still. Was dieser grässliche schleimige Olaf wohl für einen Job ergattert hatte? Wenn er jedem etwas anderes Peinliches erzählte, war die Wahrheit bestimmt noch viel peinlicher. Vielleicht musste er Potenzmittel testen. Oder in einer Medizinvorlesung als Versuchskarnickel bei einer Darmspiegelung dienen. Oder doch Pornos drehen. Nein, das wäre ihm bestimmt nicht peinlich, dem Schleimbatzen.

      Vielleicht musste er ja auch bloß Essen auf Rädern ausfahren. Absolut uncool für einen wie ihn. Ach, was ging´s mich an. Immerhin überhaupt ein Job – wie Thilo das machte, war mir ein Rätsel. Der Typ war fünfundzwanzig oder so und hatte noch nie gejobbt – aber immer Geld. Sehr verdächtig. Und die Sache mit der Zeitung damals hatte ihn ehrlich erschreckt, er war sogar vorbeigekommen und hatte sich meine Zeitungsausschnittsammlung angesehen. Mitnehmen durfte er sie nicht, soweit kannte ich ihn schon. Stattdessen kopierte ich ihm alles gegen Vorauskasse, was ihn ehrlich kränkte. Als ob er jemals etwas nicht bezahlt hätte!

      „Als ob du jemals etwas bezahlt hättest, wenn es auch anders ging“, korrigierte ich ihn freundlich. „Zwei Euro zehn oder keine Kopien. Such´s dir aus!“

      Ich hatte lauter Fünfcentstücke bekommen und ihm ein hübsches Päckchen hergestellt. Lernte er die jetzt auswendig? Wollte er wissen, wer da an seiner Statt ins Gras gebissen hatte? Aber: an seiner Statt? Das war doch das pure Melodrama! Schließlich gab es wirklich mehr rotblonde Hemden in Leisenberg als bloß ihn.

      Es sei denn, er kannte jemanden, der Grund gehabt hätte, ihn umzulegen – aber nur wegen seines lästigen Getues und seiner Schmarotzereien? Er führte sich zwar auf wie ein kleiner Ganove, aber ich wusste von keinem konkreten Gaunerstück – und insgeheim hielt ich ihn auch für viel zu dämlich für eine kriminelle Karriere. Wahrscheinlich wollte er sich bloß interessant machen, aber da hatte er sich geschnitten. Ich hatte jedenfalls nicht vor, ihm als dem potentiellen Mordopfer das Händchen zu halten, dazu war ich viel zu beschäftigt, Karrierefrau, die ich war. Fast wenigstens.

      Tolle Karriere, stellte ich in den letzten Maitagen fest. Edgar krönte seine nervöse Phase mit der Ankündigung, EventMachine müsse sparen wie alle anderen auch, und die Kreativen sollten ihre Schreibtische gefälligst selbst aufräumen und auch selbst abrechnen. Eine Stunde Arbeitszeit mehr pro Woche – und ich war draußen. Als ich meinen Krempel mit vorwurfsvoller Miene zusammenpackte, tauchte er wieder auf, räusperte sich und starrte mich verlegen an. „Ist noch was?“, fragte ich ärgerlich. „Reicht es nicht, dass du mich rausschmeißt, obwohl ich dir weiß Gott mehr als die paar Stunden eingebracht habe, die du jetzt einsparst?“

      „Tut mir ja auch Leid“, antwortete er, „aber du weißt ja... die Leute machen ihre Events wieder selber, weil das billiger ist. Du bist nicht die einzige, die gehen muss. Bloß die erste. Frag doch mal bei W&L, ich glaube, die brauchen eine Aushilfe, weil da zwei schwanger sind. Die Schwägerin von einem Freund meiner Schwester arbeitet da, glaube ich.“

      „Glaube ich ist gut“, murrte ich. „Okay, ich frag mal. Hat dieser doofe Anwalt dich eigentlich wirklich verklagt?“

      „Grünne? Nö, verklagt nicht. Lieber wäre es mir fast. Der blöde Sack erzählt nur überall rum, wir wären unzuverlässig, aber so, dass ich ihn nicht wegen Geschäftsschädigung drankriegen kann. Scheiß-Anwälte, die wissen, wie man´s macht, ohne verklagt zu werden.“ Er seufzte grabesschwer. „Aber den schnapp ich mir noch, pass nur auf!“

      „Wie denn?“, fragte ich kühl. „Wenn ich nicht mehr hier arbeite, krieg ich doch nichts mehr mit. Na, dann weiterhin viel Erfolg!“ Ich schwenkte die Plastiktüte mit meinen paar Habseligkeiten und verließ die Büros von EventMachine. Draußen herrschte eine kalte Mainacht, ein grellgelber Halbmond schien auf die leeren Straßen und es war natürlich viel zu spät, sich bei W&L zu erkundigen. Die würden mich doch eh nicht nehmen, wütete ich vor mich hin, als ich Richtung Selling strampelte, das war schließlich ein Verlag. Und ein Verlag, das war viel zu gut, um wahr zu sein. Nie würden die mich nehmen, die konnten Leute haben, die schon fertig waren, Leute, die selbst schrieben, Leute, die von großen Verlagen kamen und endlos viel Berufserfahrung hatten, obwohl sie erst Anfang zwanzig waren, Leute, die im Ausland gewesen waren, Leute, wie sie sich der durchschnittliche idiotische Arbeitgeber erträumte. Leute, die sich mit Ende zwanzig ohne Abfindung selbständig machten, bevor sie zu teuer wurden.

      Verdammt, in diesem Land wurde Arbeit nachgerade wirklich zu teuer. Kein Wunder, wenn die paar, die einen Job hatten, alle anderen mit durchfüttern mussten, bis sie selbst auf der Straße standen! Wieso wurden alle Kosten, die das ausgeleierte Sozialnetz verursachte, an die Lohnnebenkosten gehängt, bis sich wirklich niemand mehr traute, jemanden einzustellen? Und dann jammerten sie rum wegen Schwarzarbeit – dabei blühte die wahrscheinlich als einziges! Und niemand packte eine echte Reform an, weil sofort die Besitzstandswahrer aufkreischten, sobald jemand laut über Einschnitte nachdachte. Und wir sollten, trotz der Angst vor der Zukunft, munter Geld ausgeben, um die Wirtschaft anzukurbeln? No, Sir!

      Mein Geld brauchte ich selbst, fürs hohe Alter, wenn die Rentenversicherung längst zusammengebrochen wäre. Zahlen musste ich, kriegen würde ich nichts mehr. Konnte man die eigentlich wegen Betrugs drankriegen, wenn sie doch wussten, dass das ein Scheißgeschäft war?

      Als ich kurz davor stand, je einen groben Brief an die Bundesregierung, die Landesregierung, den Stadtrat und den Bezirksausschuss zu formulieren, kam ich glücklicherweise in Selling an und kettete mein Fahrrad an den Apfelbaum. Die Briefe konnte ich auch morgen schreiben, für heute hatte ich die Nase voll. Aber morgen hatte ich frei, vielleicht sollte ich doch mal bei W&L vorbeischauen, wissen konnte man´s schließlich nie...

       VI

      Der Verlag machte einen etwas chaotischen, aber sehr munteren Eindruck, und als ich, meine viel benutzte Bewerbungsmappe in der Hand, am Empfang erzählte, Edgar Möllenhoff von EventMachine schicke mich wegen des Aushilfsjobs, grinste das Mädchen hinter dem Schreibtisch. „Edgar the Nose? Weiß schon Bescheid. Gehen Sie mal in den zweiten Stock und fragen Sie nach Frau Kasparek.“

      Ich trabte nach oben, fragte herum, half einem anderen Mädchen, einen Stapel Manuskripte wieder aufzusammeln, fragte weiter, landete an einem verstopften Kopierer, half dem Bürschlein, das ratlos davor stand, ein tonerverschmiertes Blatt aus den Eingeweiden des Geräts zu holen, fragte weiter und wurde schließlich ans Ende des Gangs verwiesen. Dort thronte eine nicht ganz schlanke Frau mit wilden dunkelroten Locken hinter einem Schreibtisch und telefonierte. Sie wies mit der freien Hand auf einen Stuhl, und ich setzte mich und sah mich interessiert um. Alles voller Manuskripte, Mappen, Zettel, aber die Stapel wirkten sinnvoll angelegt, ich konnte mir vorstellen, dass diese Frau – Kasparek? wusste, wo sie was hingesteckt hatte.

      Schließlich legte sie auf. „Frau Zentgraf? Guten Morgen. Den Pechmarie-Test haben Sie ja schon bestanden, sehr gut.“ Ich musste wohl etwas dümmlich dreingeschaut haben, denn sie lachte auf. „Die Akten und der Kopierer. So testen wir, ob jemand zupackt, wo es nötig ist.“

      Sehr schmeichelhaft! Ich reichte ihr meine Mappe, erzählte, wo ich bisher gearbeitet hatte, was ich am Computer konnte und wie weit ich im Studium war, und sie nickte. „Alleine entscheiden kann ich