Tödliches Monogramm. Elisa Scheer

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Название Tödliches Monogramm
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737562591



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jahrelang diese fast schon manische Trauer bei uns zu Hause sieht, dann fragt man sich doch, ob man sich so was antun soll. Was ist, wenn ich jemanden wirklich liebe, und ihm passiert was? Werde ich dann so wie meine Eltern?“

      „Dass du gar nicht mehr lebst, außer, um zu trauern? Glaube ich nicht, dazu bist du doch viel zu normal.“

      „Das waren meine Eltern vor Adrians Tod auch, täusch dich da nicht.“

      Es gelang mir den ganzen Abend hindurch nicht, sie aus ihrer deprimierten Stimmung zu reißen – Florian taugte als Ersatzthema nichts, ihr Beruf nicht (nicht einmal meine Dummheit beim Verfassen der Steuererklärung!), ihre schöne neue Wohnung nicht. Und meine Eltern, Haustyrann und Hascherl, auch nicht, aber das hatte ich auch nicht wirklich erwartet.

      Mein letzter Versuch war Gejammer wegen meiner Dissertation, die mal wieder festhing, weil mir wichtige Quellen fehlten; normalerweise putzte mich Sandra dann sofort herunter, weil ich mit fast neunundzwanzig immer noch nicht fertig war, während sie schon seit zwei Jahren sehr ordentlich verdiente – aber heute ging sie auf dieses Gambit auch nicht ein, sondern starrte nur trübe in ihr leeres Bierglas. Wenn das nicht mehr half, half wohl gar nichts mehr. Schließlich kam der Zeitungsmann in die Kneipe und bot den neuen MorgenExpress feil; ich kaufte ein Exemplar und schlug sofort das Kinoprogramm auf, in der Hoffnung, Sandra wenigstens damit ablenken zu können – aber es lief nur Mist, wie ich sogar selbst zugeben musste. Frustriert stopfte ich die Blätter in die Tasche. „Und wenn wir uns ein schönes Video reinziehen? Morgen vielleicht? Mit Chips dazu?“

      „Morgen muss ich ins Fitness“, wehrte Sandra ab. „Und was wäre überhaupt ein schönes Video?“ Ja, da hatte sie mich natürlich. Geschwister, Eltern, Tod und Liebe schieden schon mal aus. Außer Western und Weltraumquark blieb da nicht viel – und wer wollte so was schon sehen?

       II

      Ich radelte extra vorsichtig nach Hause und schob sicherheitshalber den Sophienhügel hinauf – nicht, dass ich noch wackelte und mich ein übereifriger Beamter ins Röhrchen blasen ließ! Auch wenn ich kein Auto hatte, meinen Führerschein brauchte ich noch. Der schöne silberne Schlitten war weg, vor dem Haus standen nur noch die üblichen Krücken, unter denen der nächste TÜV-Termin sicher grausige Ernte halten würde. Ich rollte auf den Hof und kettete meinen eigenen Schrotthaufen wieder an den Apfelbaum.

      Halb elf – eigentlich konnte ich noch ein bisschen arbeiten, beschloss ich im Treppenhaus. Jedenfalls war es jetzt himmlisch still im Haus, die Maden schienen sich zusammengerollt zu haben. Kaum saß ich wieder am Tisch, hatte ich keine Lust mehr – wie immer. Etwas essen? Nein, hatte ich doch gerade erst, und ich hatte mir die Normalfigur mühsam genug erhungert, um sie jetzt nicht wieder aufs Spiel zu setzen. Obwohl – ich war so fleißig geradelt, da durfte ich vielleicht doch... Nein. Außerdem war sowieso nichts Gescheites im Haus, ich hatte mal wieder das Einkaufen vergessen.

      Lustlos schlenderte ich ins Bad und betrachtete mich im Spiegel. Vielleicht sollte ich mal über einen neuen Look nachdenken? Ach, wozu, sah ja doch keiner. Schatz, heute siehst du aber besonders gut aus! – ja, Pustekuchen! Niemand nannte mich Schatz, niemand hatte mich lieb. Papa verachtete mich, weil ich bloß ein Mädchen war und so sinnlos herumstudierte, Mama hatte nur Angst, ich könnte mit Papa streiten und sie müsste die dicke Luft dann ausbaden, Philipp war freundlich, aber genau genommen war ich ihm auch egal, er interessierte sich nur für seine Gesetzestexte. Papa fand das auch ganz richtig so, Männer mussten ihren Beruf an die oberste Stelle setzen.

      Sandra hatte eigene Sorgen, Petra kam auch nur, wenn sie etwas brauchte oder jemand sie aus ihrem neuesten Schlamassel ziehen sollte. Und einen Liebhaber hatte ich ja nicht mehr. Axel war ohnehin nicht mehr wirklich liebevoll gewesen. Gerade, dass er nicht gemurmelt hatte Isi, nicht jetzt, ich hab Kopfweh. Kunststück, wenn man nebenbei noch zwei andere Miezen hatte, das musste ja an den Kräften zehren!

      Gerüchteweise hatte ich allerdings gehört, dass diese beiden voneinander erfahren und sich ganz übel gegen ihn verbündet hatten. Da war er nicht so friedlich davon gekommen wie bei mir! Ich grinste versonnen und stellte wieder mal fest, dass mein Mund zu groß war. Und die Nase zu klein. Und lange Wimpern waren ja was Nettes, aber wieso konnten sie nicht so dunkelbraun sein wie meine Haare? Typisch, dunkle Haare auf den Beinen und aschblonde Wimpern – das musste eine Sonderform von Murphys Gesetz sein.

      Immerhin waren die Haare nicht schlecht, sie glänzten sogar ein bisschen im Licht der Badezimmerlampe. Schneiden sollte ich sie vielleicht mal wieder... aber nicht jetzt. Das Referat war wirklich wichtiger.

      Dunkle, glänzende Augen hätte ich gerne gehabt, aber natürlich hatte ich Mamas blassgraue Farbe geerbt. Wenigstens war ich nicht aschblond wie sie, dann hätte ich wirklich leblos gewirkt. Naja, ganz nett insgesamt, aber nichts Besonderes.

      Ich sollte wirklich das Referat weitermachen, ich hatte ja keine Alternative.

      Und morgen musste ich die Bücher aus der Unibibliothek holen, die ich bestellt hatte. Wo war eigentlich meine Chipkarte? Ich wühlte in der Tasche nach meinem Geldbeutel (Mist, nur noch siebzehn Euro, und die mussten bis Freitag reichen, vorher durfte ich nicht an den Geldautomaten) und fand die Zeitung. Geldverschwendung. Fünfzig Cent für nichts, Sandra hatte ja nicht ins Kino gewollt. Dann sollte ich die Zeitung wenigstens lesen!

      Die Opposition beschuldigte der Regierung der Unfähigkeit (nichts Neues, was sollten sie denn sonst sagen?), im Rathaus hatte es einen bösen Krach zwischen Bürgermeister Richter und den Anhängern seines Rivalen gegeben, der mittlerweile im Knast saß. Fast wäre es zu Handgreiflichkeiten gekommen. Eine Leiche war im Prinzenpark entdeckt worden, die unglückliche Finderin rang mit einer Nervenkrise. Die Stadtverwaltung hatte neue Öffnungszeiten des Städtischen Museums beschlossen: Ab jetzt war mittwochs zu, wohl um sich vom Rest der Welt zu unterscheiden und die Touristen zu verwirren. Ein Fall von Vandalismus hatte sich im Helenenbad ereignet, umgeworfene Papierkörbe und obszöne Graffitis an den Umkleidehäuschen. Hatte das überhaupt schon wieder auf? Das Wetter sollte besser werden. Ach ja, und der örtliche Gewerkschaftsvorsitzende, der letzte Woche vor einer ziemlich kläglichen Maidemonstration mehr Solidarität angemahnt hatte, war mit der Hand in der Kasse erwischt worden. Ich grinste. Schön blöd!

      Toll war das alles nicht, jedenfalls keine fünfzig Cent wert, denn das konnte ich alles morgen gratis im Radio hören. Verflixt! Ich warf die Zeitung ärgerlich in den ohnehin schon überquellenden Altpapierkorb. Den sollte ich auch endlich mal wieder ausleeren.

      Unlustig machte ich mich nun doch wieder an das Referat-Handout, aber als es so ungefähr stand, war es mit dem letzten Rest Motivation auch wieder vorbei und ich fiel in mein ungemachtes Bett. Morgen musste ich unbedingt mal was in der Wohnung tun, überlegte ich im Halbschlaf. Wenn Papa mich das nächste Mal verächtlich ansah, wollte ich mich wenigstens im Stillen mit dem Gedanken trösten können, dass ich mein Leben im Griff hatte.

      Aber seine Achtung zu erwerben – das sollte ich mir besser ein für allemal abschminken. Wenn ich jemanden nicht leiden konnte, konnte er ja auch anstellen, was er wollte, und ich war nicht zu beeindrucken. Warum sollte es Papa anders gehen?

       III

      Die Sache mit der Selbstachtung beschäftigte mich am nächsten Morgen aber noch, so dass ich mit ganz ungekanntem Eifer das Handout fertig machte und tippte, abspülte, aufräumte, das Bett frisch bezog und die Wohnung einmal durchsaugte. Ich schaffte es sogar noch, meine Wäsche im Keller in die Maschine zu stopfen und sie hinterher im Schlafzimmer aufzuhängen, bevor ich in der Unibibliothek auf die Jagd nach dieser verschwundenen Quelle ging und mir dann die bestellten Bücher abholte.

      Die Quelle hatte ich zwar nicht gefunden, aber möglicherweise eine Spur, tröstete ich mich, als ich mit einer großen Tüte Bücher und einer nicht minder großen Tüte Einkäufe nach Hause kam und alles zu verräumen begann. Wenn ich jetzt noch bügelte... Nein, man konnte den Eifer auch übertreiben, und außerdem musste ich langsam wieder zurück, in die Vorlesung. Der Roman des Realismus im europäischen Kontext – naja. Aber manches war ganz interessant, und der Professor konnte wenigstens interpretieren. Und danach hatte ich gerade