Tödliches Monogramm. Elisa Scheer

Читать онлайн.
Название Tödliches Monogramm
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737562591



Скачать книгу

zweiten Sitzung, und ich klemmte mich resigniert auf einen Notsitz und schlug meinen Spiralblock auf. Niemand in Reichweite, den ich kannte – hatten wir früher auch gar so jung und unreif ausgesehen? Allmählich kam ich mir richtig alt vor!

      Der Professor pflegte eine zehnminütige Pause nach der Halbzeit einzulegen (wahrscheinlich war er selbst Raucher) und alle Süchtlinge stürzten runter auf die Katharinenstraße: lieber frieren als verzichten!

      Ich war ja auch nicht besser, und als ich mit zitternden Fingern mein offenbar leeres Feuerzeug betätigte, kam mir ein besser funktionierendes dazwischen.

      „Danke“, sagte ich nach einem kräftigen Zug und betrachtete mir den edlen Spender. Nett. „Ich heiße Jochen“, stellte er sich vor. Groß, schmal, Brasilien-Sweatjacke, Jeans, Sneakers. Gutes Gesicht, dunkelblondes Haar und freundliche braune Augen.

      „Isi“, antwortete ich. „Die Vorlesung ist nicht schlecht, was?“

      „Ja...“ Das kam etwas zögernd. „Ich weiß nicht recht, ich hab, glaube ich, nicht alles verstanden. Ich bin erst im zweiten Semester, und so toll war bei uns der Deutsch-LK nicht. In welchem Semester bist du?“

      Ich rechnete kurz nach. „Wahrscheinlich im achtzehnten“, sagte ich dann. „Ich promoviere gerade. Naja, wenn ich die Diss. jemals fertig kriege.“ Er guckte erschrocken und ich bereute meine Worte. Wieso hatte ich nicht gesagt, siebtes Semester oder so? Dann hätte er mich für klug gehalten statt für uralt, und ein Bierchen und vielleicht ein kleiner Flirt wären drin gewesen. Aber so? So sah er sich nervös um und meinte dann mit künstlichem Auflachen: „Ich glaube, es geht gleich wieder weiter. Also, man sieht sich!“

      Jaja. Nicht wenn du es vermeiden kannst, was? Ich folgte den Massen die Treppe wieder hinauf, ergatterte wieder meinen Klappsitz und sah von weitem, wie dieser Jochen seinen Kumpels etwas erzählte und dabei nicht gerade unauffällig in meine Richtung wies. Mensch, Leute, ich hab grade eine getroffen, die muss schon fast dreißig sein! Dass der das nicht peinlich ist?

      Ich sollte wirklich endlich fertig werden, es wurde mir tatsächlich langsam peinlich – als säße ich als Abiturientin wieder im Kindergarten.

      Aber die Vorlesung war gut, und als wir getrampelt und geklopft hatten, sauste ich sofort wieder in die Bibliothek, um dem Erwachsenenleben wenigstens ein bisschen näher zu kommen. So viel Eifer wurde auch sofort belohnt, nicht mit der gesuchten Quelle (die einzige Sammlung, in der sie stehen sollte, war ausgeliehen und musste vorbestellt werden), aber mit einer anderen, die ich erstaunlich gut brauchen konnte. Ich bestellte, kopierte, lieh aus und zog schließlich sehr zufrieden weiter in die Graf-Rasso-Straße, um bei EventMachine meinen Dienst zu leisten.

      Dort traf ich auf wilde Hektik, weil offenbar zwei Partys, ein Konzert und eine große Werbeveranstaltung zeitlich zusammengetroffen waren. Da ich mit den Veranstaltungen selbst nichts zu tun hatte, begnügte ich mich damit, Platz zu machen, damit die Kühlboxen und Materialkisten ohne Unfall nach draußen in die knallroten Lieferwagen geschleift werden konnten. Dann verzog ich mich ins Büro, wo ich zweimal die Woche Hilfsdienste leistete – aufräumen, abheften, Quittungen zusammensuchen, Telefonnotdienst leisten. Es sah mal wieder aus, als sei ein Tornado hindurchgefegt, kein Wunder - wenn alle wussten, dass montags und donnerstags eine Dumme kam, um wieder aufzuräumen, schmissen sie an den übrigen Tagen eben alles einfach auf den Tisch.

      Schlecht lebte ich nicht davon, die zahlten zehn Euro netto, und zweimal vier Stunden waren immerhin achtzig Euro die Woche, für den Alltag reichte das, und ich hatte schließlich noch so einen Job – drei Vormittage bei einem Wirtschaftsprüfer, aber nicht bei dem, bei dem Sandra arbeitete. Richtig arbeitete, musste man wohl sagen. Heute lohnte sich der Saustall wirklich! Ich setzte mich, drehte das kleine Radio halblaut auf und begann, alle Zettelchen zu sortieren, ohne auf das Geschrei auf dem Gang zu achten.

      So einfach war das gar nicht. Himmel, was war da draußen eigentlich los?

      „Das wird Ihnen noch Leid tun!“, schrie jemand.

      „Wenn Sie im letzten Moment den Termin ändern wollen, müssen Sie nun mal mit Abstrichen rechnen, hexen können wir auch nicht“, blaffte Edgar, der Geschäftsführer, zurück. Ich konnte seinen Adamsapfel förmlich hüpfen sehen, wie immer, wenn er sich aufregte.

      „Ich habe Sie drei Tage vorher verständigt! Sind Sie so unflexibel?“

      „Lesen Sie mal das Kleingedruckte! Eine Woche, steht da! Eine Woche!“

      „Ich bin nicht taub, verdammt! Und – ich bin Anwalt! Sie hören noch von mir!“

      Draußen knallte die Tür ins Schloss, und die Bürotür ging auf.

      „Puh, manche Kunden sind solche Arschlöcher, du glaubst es nicht!“ Edgar fiel auf den Besucherstuhl und zündete sich einen dünnen Zigarillo an.

      „Was hat er denn?“

      Er lachte auf. „Wie beim Tierarzt, was? Ach, dieser Grünne, erst will er einen feierlichen kleinen Empfang für wichtige Mandanten am Freitag, und diesen Samstag ruft er an und sagt, doch lieber am Dienstag schon. Und jetzt kann er sich die Meeresfrüchte von der Backe putzen, die werden doch nur donnerstags eingeflogen – und was sagt er? Dass er Anwalt ist! Muss ein schlechter Anwalt sein, diese Pfeife, das Kleingedruckte ist total korrekt. Na, soll er uns verklagen!“

      „Dem sehen wir gelassen entgegen“, stimmte ich zu und studierte stirnrunzelnd eine etwas rätselhafte Rechnung. „Dass Anwälte einen Schlag haben, wissen wir doch aus dem Fernsehen, oder? Und im Notfall frag ich meinen Bruder, der ist auch Anwalt.“

      „Mit Schlag?“

      „Klar. Aber brauchbar, denke ich.“

      „Na, ich sag´s dir, wenn wir ihn brauchen sollten. Aber ich wette mit dir, der verklagt uns doch nicht. Wenn er sich wieder eingekriegt hat, wird er erkennen, dass es nicht anders geht, wenn er so kurzfristig umdisponiert. Na, frohes Schaffen noch – du machst das immer sehr schön.“

      Ich bedankte mich artig und sortierte weiter, stellte Belege zusammen, entwarf schon einmal Rechnungen, heftete allerlei Krempel ab, goss die Blumen, wischte etwas Staub und trug allerlei Adressen und Telefonnummern ins Online-Register ein, um die Post-its wegwerfen zu können. Das Telefon schwieg hartnäckig, anscheinend klappten alle Veranstaltungen trotz der Hysterie, die vorhin noch geherrscht hatte. Wie immer eben.

      Um elf verabschiedete ich mich von Edgar, der meine Stunden akribisch vermerkte, sich höflich bedankte und mir einen schönen Abend wünschte, schloss mein Fahrrad auf und strampelte nach Hause. Gut, dass ich nicht am Prinzenpark vorbei musste! Dass man da eine Leiche gefunden hatte, fand ich dann doch etwas gruselig. Was für eine Leiche überhaupt? Ich hätte den Artikel doch mal gründlich lesen sollen, tadelte ich mich selbst, während ich durch die sternenklare und verdammt kalte Nacht radelte und den Vollmond bewunderte, in dessen metallischem Licht alles etwas seltsam aussah – alle Autos silbern, alle Menschen wie blauschwarze Schatten, alle Straßenlaternen noch gelber als sonst.

      Eine Frau oder ein Mann? Wen hatten sie da im Gebüsch gefunden? Ob das ein Serienkiller war, wie man sie aus dem Fernsehen kannte? Oder Krach unter Pennern? Ein Mord aus Leidenschaft? Doch gut, dass ich das Altpapier noch nicht weggeworfen hatte – und wenn ich gerade vierzig Euro verdient hatte, konnte ich auch noch mal fünfzig Cent in den MorgenExpress von morgen investieren, in der Kneipe da vorne war gerade der Zeitungsverkäufer, jedenfalls stand sein Mofa auf dem Bürgersteig.

      Als ich abstieg, trat er gerade aus der Tür und war nur zu bereit, mir ein Exemplar zu verkaufen. Ich klemmte mir die Zeitung auf den Gepäckträger und fuhr mit neuem Schwung nach Hause, wo ich mir sofort einen Tee kochte und mich mit der Zeitung niederließ.

      Nicht viel Neues – nur, dass es sich bis dato um einen nicht identifizierten jungen Mann handelte. Armer Kerl, er hätte doch noch so viele Jahre vor sich gehabt! Sicher, man wusste nicht, was für Jahre – Arbeitslosigkeit, Krebs, hässliche Scheidungen: aber alles zu verpassen, nur weil man einem Durchgeknallten in den Weg geraten war? Ich würde jedenfalls so bald nicht mehr in den Prinzenpark gehen, nahm ich mir vor. Höchstens tagsüber am Wochenende, da war´s