Tödliches Monogramm. Elisa Scheer

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Название Tödliches Monogramm
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737562591



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      „Vergiss es“, mahnte ich mich selbst, „du hast wirklich Wichtigeres zu tun. Einkaufen und dich bei W&L unentbehrlich machen, zum Beispiel. Und aufräumen, Geld verdienen, ausmisten, die Diss fertig schreiben. Sandra trösten, Petra einen idiotensicheren Job besorgen, Mama aufhetzen, damit sie Papa mal die Meinung sagt.“

      Unmögliches sollte ich eigentlich gleich wieder von der Liste streichen – die letzten beiden Dinge etwa. Etwas außer Atem kam ich vor dem Drogeriemarkt an, schraubte wieder mit der Kette herum und ging schwelgen.

      In Gelbgrün gab´s die nettesten Sächelchen, nicht nur Duschbad und Bodylotion, auch ein passendes Deo, ein Shampoo, einen Lippenbalsam, ein Behältnis aus gefrostetem Glas für mein bisschen Schminkkram – und einen Satz Handtücher, der richtig ordentlich aussah!

      Und einen Fünferpack Ladyrasierer für die Schienbeine und die Achseln. Den letzten rosa Rasierer konnte ich ja ins Schränkchen tun, als eiserne Reserve. Und alles andere, das farblich nicht passte, kam da auch rein, die Zahnpastatube zum Beispiel. Es sei denn, ich fand eine rein weiße... Ha, eine blassgelbe Zahnbürste! Gekauft. Und einen Krimi, Mörderische Studien. Sogar von W&L. Umsatz pushen, das war direkt eine gute Tat. A. Falk sagte mir zwar nichts, aber die Rückseite las sich viel versprechend – die erste Leiche wurde im Seminarraum gefunden, unmittelbar vor Beginn des Kurses bei dem gefürchteten Professor Bieglauer. Historiker sollten das wohl sein... Na, mal sehen, ob der Autor wusste, wie es hier zuging!

      Zu Hause dekorierte ich das Bad liebevoll, hängte die neuen Handtücher auf (natürlich ohne sie vorher zu waschen) und freute mich an diesem Anblick. Fast wie bei reichen Leuten – oder wenigstens bei ordentlichen berufstätigen Menschen. Keine Spur von studentischer Schlamperei, solange man nur ins Bad guckte. Danach zog ich mich sorgfältig um (Business-Look) und machte mich wieder auf die Socken. Bei W&L wurde ich freundlich empfangen; ich lieferte bei Frau Fries meine Ersatzlohnsteuerkarte ab und ging Frau Kasparek suchen, die ich gerade mit einer Kiste kämpfend vorfand.

      „Lassen Sie mich!“, rief ich sofort (unentbehrlich! Goldmarie!) und nahm ihr die Kiste weg. „Ich bin sicher, Sie sollen so was nicht machen.“

      „Stimmt“, gab sie schwer atmend zu, „aber das Ding nervt, seitdem ich hier bin. Ich möchte endlich wissen, was da eigentlich drin ist. Schaffen Sie´s, sie auf den Tisch da zu wuchten?“

      Sauschwer, aber ich konnte jetzt natürlich nicht schwächeln. Dafür war mein Business-Outfit hinterher komplett eingestaubt. Wenn ich das gewusst hätte, wäre ich im Blaumann aufgelaufen, ärgerte ich mich kurz. Ich klopfte mich ab und half Frau Kasparek, die Kiste zu öffnen.

      Manuskripte, lauter Manuskripte, geheftet, gebunden, in Klarsichthüllen.

      „Lieber Gott, hat die überhaupt jemals jemand angeschaut?“, stöhnte Frau Kasparek auf. „Diese Kerle! Bevor ich hier angefangen habe, hat anscheinend jeder alles, was er nicht machen wollte, hier drin versteckt. Ein Wunder, dass der Verlag noch nicht pleite ist. Da könnten die totalen Bestseller dabei sein! Und jetzt haben die bestimmt woanders abgeschlossen. Als ich hier angefangen habe, hab ich schon mal so was gefunden, da ist uns wirklich was durch die Lappen gegangen. Packen wir sie alle auf den Tisch, und die leere Kiste kommt weg. Mit Kisten fangen wir erst gar nicht mehr an.“

      Dreißig Stück waren es bestimmt, und während Frau Kasparek telefonierte, für einen streng aussehenden Brillenträger etwas heraussuchte (und ihn wegen der Kiste ausschimpfte, was ihm aber nur ein Grinsen entlockte), einige Schreiben tippte, ausdruckte und in eine Unterschriftenmappe steckte und zwei Manuskripte von ihrem Schreibtisch kuvertierte, sah ich den Stapel flüchtig durch. Manches hörte sich sehr schräg an, zum Beispiel eine Science-Fiction-Geschichte mit schleimigen Aliens. Dabei musste ich sofort wieder an die Maden-WG denken, schleimig, weißlich, unappetitlich.

      Zwei Kriminalromane sollte man vielleicht mal durchsehen, fand ich nach dem ersten Blick. Und da, ein Regency-Softporno. Hm, so was war ja manchmal ganz lustig...

      Frau Kasparek sah mir über die Schulter. „Das kann gleich weg. Sie dürfen es gerne lesen, wenn Sie Lust haben – zu Hause natürlich – aber dieser Markt ist fest in der Hand der Amis. Wenn das Ding nicht einen besonderen Kick hat, müssen wir mit so was gar nicht erst anfangen.“

      „Ich muss zugeben, ich würde die alle gerne lesen“, gestand ich, „aber dafür bin ich ja wohl nicht eingestellt worden. Darf ich mir heute Abend wirklich eins mitnehmen? Wenn es Quatsch ist, können wir es wenigstens wieder zurückschicken.“

      „Klar. Gute Idee. Übrigens können wir uns ruhig duzen, so unter uns Magistern und Putzteufeln. Ich heiße Xenia.“ Sie hielt mir die Hand hin, und ich schlug ein. „Isi. Eigentlich Isabella, aber so hat mich noch niemand genannt.“

      „Okay, Isi. Machen wir´s so: Der Kasten mit den Zetteles da drüben müsste entrümpelt werden. Werbung in den Müll, den Rest vorsortieren, Briefe in die entsprechenden Akten, soweit vorhanden. Wo du unsicher bist, zeigst du´s mir eben erst. Und wenn das Ding mal weg ist, kannst du eine kleine Lesepause einlegen. Vielleicht mit einem verdächtigeren Machwerk. Im Glücksfall sagst du nach zehn Seiten Schlechtes Deutsch, noch schlechtere Story, und wir können das Ding zurückschicken. Peinlich, das Zeug müssen wir 2000 oder noch früher gekriegt haben. In einem Monat ist der Haufen dann weg. Beim Lektor oder im Postausgang. Ich will hier klar Schiff haben, bevor ich in den Mutterschutz muss.“

      Klang vernünftig, aber der Kasten war randvoll. Ich fand ungefähr hundert Schreiben, die zum größten Teil in der Hängeregistratur landeten, noch einmal so viele Werbeanschreiben mit den abstrusesten Vorschlägen, einige Einladungen an Dr. Scherer, die längst Vergangenheit waren (Xenia schnaubte: „Der schmuggelt die hier rein, damit er sagen kann, er hat nix gekriegt, und nicht hingehen muss. Und Alexander ist kein bisschen besser. Wie sich Max und Moritz die Öffentlichkeitsarbeit vorstellen! Na gut, da – und da – und da auch, da muss man wirklich nicht hingehen. Aber diese Veranstaltung zur Leseförderung im Februar und dieser Abend an der Uni im März, wo wir doch so viele wissenschaftliche Werke haben, das hätte wirklich jemand wahrnehmen müssen. Denen werd ich was erzählen!“

      „Ich will aber nicht, dass du Ärger kriegst!“, wandte ich erschrocken ein.

      „Unsinn, die sind´s gewöhnt, dass ich sie runterputze, das mögen sie sogar. Ich hebe mir die da auf, den Rest kannst du in den Schredder stecken.“

      Ich suchte weiter und hatte gegen vier den Kasten tatsächlich leer, putzte ihn und stellte ihn wieder auf. Dann durfte ich für einige neue Autoren und Vorgänge frische Hängemappen anlegen und schließlich mit den Manuskripten aus der Kiste spielen. Zwei konnten sofort wieder zurück, sie waren mehr als seltsam und obendrein grauenvoll schlecht geschrieben, und ein drittes Machwerk sollte wohl ein Schlüsselroman sein, aber so durchsichtig, dass wir bestimmt (hach, wie selbstverständlich ich schon wir dachte!) sofort eine Flut von Klagen am Hals gehabt hätten. Xenia sorgte dafür, dass ich einen eigenen Account bekam, dann zeigte sie mir, wo ich solche Dinge wie Ablehnungsschreibenvorlagen auf der Festplatte fand und wo ich meine eigenen Schreiben speichern sollte, damit jeder darauf zugreifen konnte. Schick, ein eigener Schreibtisch und ein eigener Rechner!

      Ich schrieb also drei Ablehnungen mit dem üblichen heuchlerischen Vielleicht bietet sich Ihnen eine andere Möglichkeit der Veröffentlichung, druckte sie aus und durfte sie sogar selbst unterschreiben, obwohl ich doch bloß die Putzmaus war.

      „Unsinn“, sagte Xenia, „du sollst mich entlasten und du hast einen M.A. in Germanistik, genau wie ich. Wenn du erst mal promoviert hast, hast du akademisch sogar mehr zu bieten als ich. Klar kannst du ein Manuskript beurteilen. Am Anfang reicht´s doch, wenn du den ganz groben Mist aussortierst. Wenn du nicht sicher bist, zeigst du´s mir eben. Die Dinge, bei denen ich´s auch nicht sicher weiß, geben wir an Kathrin Horst weiter, die ist Lektorin und hat ein unfehlbares Urteil. Aber bis jetzt waren wir uns immer ziemlich einig.“

      „Wenn du meinst...“ Ich kuvertierte die drei abgelehnten Machwerke und warf sie in den Ausgangskorb, dann sortierte ich einigen herumliegenden Kram ein, räumte meinen eigenen neuen Schreibtisch auf, beschriftete den mehrstöckigen und glücklicherweise leeren Ablagekorb