Neues Leben für Stephanie. Lisa Holtzheimer

Читать онлайн.
Название Neues Leben für Stephanie
Автор произведения Lisa Holtzheimer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847666820



Скачать книгу

dass sie Gott kennen lernten.

      Sie tranken den Kaffee, dann verabschiedeten sich Peter und Florian. Peter versprach, Michael ein bisschen Lesestoff zu besorgen, und Florian wollte ihm seinen Radio–CD–Spieler bringen. Michael war gerührt und musste aufpassen, dass ihm nicht die Tränen kamen. Dieser Junge, auf dem Weg zwischen Kind und Teenager, spielte immer wieder den Clown und warf mit wilden Sprüchen um sich, aber er hatte ein weiches Herz und ein feines Gespür dafür, wann die Zeit gekommen war, freche Sprüche gegen Freundlichkeiten einzutauschen. „Heute Abend bring’ ich dir alles her!“ rief er von der Tür aus zum Abschied und winkte mit beiden Armen über dem Kopf. Michael zweifelte keinen Moment daran, dass er das auch tun würde.

      * * *

      Es schneite. Wie Wattebäusche wirbelten die Schneeflocken durch die Luft und sorgten für eine extrem kurze Sichtweite. „Ausgerechnet jetzt“, dachte Stephanie. Angestrengt versuchte sie, die Straßenschilder in der fremden Stadt zu lesen. Neben ihr verlief der Fluss, das war zu erkennen, und irgendwie musste sie diesen überqueren, um in Richtung Flughafen zu kommen. Doch das war leichter gesagt als getan. „Diese Stadt hat ja mehr Einbahnstraßen, als die Polizei erlaubt“, stöhnte sie. „Wohin geht das jetzt schon wieder? Das ist doch die falsche Richtung!!“ Aber die Verkehrsführung ließ nichts anderes zu; abgesehen davon war es im dichten Nachmittagsverkehr nahezu unmöglich, spontan eine Spur zu wechseln. Sie hatte sich restlos verfahren. An der nächsten Möglichkeit steuerte sie ihren kleinen Wagen genervt an den Straßenrand, um auszusteigen und das nächste Straßenschild zu suchen. Dies schien die einzige Möglichkeit zu sein, sich wieder Orientierung zu verschaffen. An der Kreuzung blieb sie stehen und faltete den Stadtplan auseinander, den sie sich an einer Tankstelle besorgt hatte. Der Flughafen war leicht zu erkennen, aber wo – um alles in der Welt – befand sie sich gerade? Sie blickte auf die Armbanduhr. Wenn sie sich beeilte und den Weg jetzt fand, hatte sie noch Chancen, den Flughafen zu erreichen, bevor Jana ausgecheckt hatte. In 6 Minuten sollte die Maschine landen, aber zwischen Landen und Auschecken verging erfahrungsgemäß mindestens eine halbe Stunde – meistens mehr. Aus dieser Sicht konnte sie es schaffen – wenn sie herausfinden würde, wo ihr Standort gerade war ... Sie suchte nach Orientierungspunkten auf dem Plan und in der Umgebung. Der Fluss war nicht mehr zu sehen, aber das letzte Mal hatte er links von ihr gelegen. Über irgendeine Brücke war sie dorthin gekommen – aber welche der vielen Brücken auf dem Stadtplan war das gewesen? Langsam schlich Verzweiflung in ihr hoch. Schneesturm in einer wildfremden Stadt, sie hatte keine Ahnung, wie sie jemals den Flughafen finden sollte, geschweige denn später den Weg zurück nach Hause – und die Minuten verstrichen. Gleich würde Jana das Flugzeug verlassen.

      Stephanie sah sich um. Kaum ein Mensch auf der Straße – jedenfalls zu Fuß. Dafür Unmengen von Autos, aber sie konnte schlecht einen Wagen anhalten, um nach dem Weg zu fragen. Drüben auf der anderen Straßenseite blinkte ein Werbeschild. Darunter entdeckte sie ein Lokal. Sogar Licht schien durch die Fenster, also war es offen. Dort würde man ihr hoffentlich helfen können. Zum Glück gab es an dieser Kreuzung eine Ampel, die die unendliche Blechschlange irgendwann zum Stehen brachte und ihr den Weg in Richtung Gaststätte ebnete. 2 Minuten später öffnete sie die Tür zu dem Lokal. Hinter der Theke standen zwei nur leicht bekleidete Mädchen. „Oh nein, wo bin ich denn hier gelandet?“ Stephanie hatte nicht weiter auf die Inschrift auf dem blinkenden Schild geachtet – Hauptsache ein Mensch, der sich auskannte. Doch bei dem Anblick kamen ihr Zweifel, ob sie diesen Menschen hier finden würde. Doch wo sie nun schon einmal drin war, ging sie weiter und legte den Stadtplan auf die Theke. „Ich suche den Flughafen – und ich hab’s fürchterlich eilig!“ Die Mädchen blickten sich an, dann ging eine in einen Hinterraum und kam mit einem mittelalten Mann wieder. Der wusste, wie die Straße hieß, in der sie sich befanden, und er konnte ihr auch den Weg zum Flughafen so erklären, dass sie eine Ahnung davon bekam, wie sie fahren musste. Sie bedankte sich, schnappte den Plan und lief auf die Straße. Wieder musste die Ampel ungeduldige Autofahrer stoppen, dann stieg Stephanie in ihr Auto, fädelte sich in den Verkehr ein und schlug die Richtung ein, die der eigentlich sehr freundliche Mann ihr gezeigt hatte.

      Eine knappe Viertelstunde später führte die Straße in einem kleinen Tunnel unter einer Start- und Landebahn hindurch und der Wegweiser führte direkt auf den Parkplatz vor dem kleinen Flughafen. „Süß“, war ihr erster Gedanke beim Anblick des einzelnen Gebäudes, das offensichtlich alle Funktionen in sich vereinigte. Sie betrat die Halle und suchte nach Hinweisschildern zur Ankunftshalle, als sie fast umgeworfen wurde. Jana hing an ihrem Hals.

      * * *

      Während die Kaffeemaschine gurgelnde Geräusche von sich gab, deckte Stephanie den Tisch und Jana erkundete die Wohnung. Nach einer weiteren recht abenteuerlichen Fahrt durch Salzburg waren die Freundinnen gut eineinhalb Stunden später am Ortsrand von Berchtesgaden angekommen, wo auch gleich Stephanies Wohnung lag. Der Schnee fiel immer noch ohne Pause vom Himmel, so dass Jana auf der Autofahrt kaum etwas von der schönen Landschaft rund um sie herum zu sehen bekommen hatte. Der Untersberg jedoch, der genau zwischen Salzburg und Berchtesgaden lag, war so nahe, dass man ihn fast greifen konnte, an ihm entlang führte ein Teil der Strecke, und für ein Nordlicht wie Jana war dies schon ein beeindruckender Berg. Stephanie grinste, als Jana dies äußerte. Im Prinzip ging es ihr genauso, aber südlich von Berchtesgaden standen noch weit höhere Berge, und diese hatte sie seit einigen Wochen täglich vor Augen. Nun wollte Jana zuallererst genauestens erkunden, wie und wo die Freundin jetzt lebte, und vor ihr war wirklich keine Ecke der Wohnung sicher. „Hey, du Unhold – lass den Vorhang zu, da hab’ ich alles hingeworfen, das im Wege ‘rumlag!“ warnte Stephanie mit gespielter Drohung, „komm lieber ins Wohnzimmer, der Kaffee ist nämlich fertig.“

      Das wirkte. Jana ließ den Vorhang los, hinter den sie gerade einen Blick werfen wollte, und kam ins Wohnzimmer. Kaffee war gut nach der Reise. Der eigentliche Flug dauerte kaum länger als eine Stunde, aber alles in allem verging doch ein halber Tag, bis das wirkliche Ziel, Stephanies Wohnung, endlich erreicht war. Zudem hatte Jana das Mittagessen ausfallen lassen und war direkt vom Büro aus zum Flughafen aufgebrochen. Frischer Kaffee war genau das, was sie nun brauchen konnte. Dazu hatte Stephanie noch ein paar leckere Dinge vom Bäcker mitgebracht – Jana war zufrieden. Sie ließ sich auf das altbekannte Sofa fallen. „Schon witzig – all die bekannten Möbel in einer unbekannten Wohnung wiederzufinden“, meinte sie dann kauend. „Aber ich muss zugeben, diese Wohnung übertrifft deine alte bei weitem.“ „Gell?“ kommentierte Stephanie nur. Jana riss die Augen auf. „Wie bitte?? Das darf doch einfach nicht wahr sein! Da lässt man dich ein paar Wochen aus den Augen, und du sprichst bayerisch und gehst zur Kirche!“ „Warte erst mal ab, bis du dich mit ein paar Leuten hier unterhalten hast, und dann frag ich dich noch mal, ob ich bayerisch spreche. Und im übrigen bin ich hier noch nicht ein einziges Mal zur Kirche gegangen.“ „Naja, aber dieser komische Kreis da hinten – der ist doch dasselbe.“ Jana konnte es einfach nicht lassen, dieses Thema anzusprechen. „Ist es nicht – du kannst ihn dir gerne mal angucken, wenn du willst.“ Jana schüttelte energisch den Kopf. „Und außerdem war ich nur ein einziges Mal da, und das war ganz nett. Was dagegen, dass ich mir hier Freunde suche?“ Stephanie war ein wenig gereizt. „Nee, natürlich nicht“, beschwichtigte Jana, „nur die richtigen sollten es sein“.

      Stephanie schluckte eine Antwort hinunter. Sie hatte keine Lust auf diese Diskussion und wollte nicht gleich am ersten Tag mit Jana streiten. Sie hatte das ungute Gefühl, dass ihre beste Freundin und sie sich auseinanderleben könnten. Der Gedanke gefiel ihr nicht, aber auf der anderen Seite lebte sie jetzt hier und wollte hier Freundschaften schließen. Völlig ungewollt begann sie, Jana mit Britta zu vergleichen. Die beiden waren schon sehr verschieden, und beide waren Freundinnen von ihr. Ob sie sich verstehen würden? Stephanie wünschte es sich sehr.

      * * *

      „Wo bin ich?“ Jana rieb sich die Augen und versuchte sich zu orientieren. Stephanie musste laut lachen. Schon immer hatte ihre Freundin Probleme, sich am ersten Morgen in einer neuen Umgebung zurechtzufinden. In einem früheren Urlaub fand sie sich in der Nacht einmal auf dem Balkon statt im Bad wieder. „Im Watzmannhaus“, gab sie dann zur Antwort. „Im was??? Was’n das schon wieder?“ Jana wurde langsam wach und schnupperte Kaffeeduft. „Egal, solange es hier Kaffee und Brötchen gibt,