Neues Leben für Stephanie. Lisa Holtzheimer

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Название Neues Leben für Stephanie
Автор произведения Lisa Holtzheimer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847666820



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das Wetter schien sich mit ihr zu freuen. Die Dusche – heute etwas kälter als sonst – sorgte dafür, dass auch der restliche Schlaf aus Stephanie verschwand. Kaffee würde sie auf Station bekommen, den bereitete die Nachtwache jeden Morgen für den Frühdienst vor.

      Dick eingepackt verließ sie kurze Zeit später das Haus. Sonne hin oder her – noch schlief diese und überließ ihrem Kollegen Mond die Wache am Himmel. Dementsprechende Temperaturen hatten wieder einmal alle Scheiben ihres Autos mit einer dicken Eisschicht überzogen – also kratzen. Jana hatte ihre ganz eigene Methode, mit solchen Unannehmlichkeiten umzugehen – sie goss einfach warmes Wasser über die Scheiben, stellte den Scheibenwischer an und hatte freie Sicht. Obwohl die Freundin seit Jahren erfolgreich mit dieser Methode war, traute Stephanie sich nicht, es ihr nachzutun. Bestimmt würde ihre Scheibe platzen. Somit kratzte sie auch an diesem Morgen so viel wie nötig und so wenig wie möglich, um zu sehen, was der um diese Zeit spärliche Verkehr um sie herum tat. Auch dies war eine gute Methode zum Wachwerden.

      Sechs Minuten vor 6 betrat sie die Eingangshalle des Krankenhauses, weitere drei Minuten später verließ sie den Fahrstuhl im dritten Stock und öffnete die Tür zum Schwesternzimmer, wo die Nachtwache gerade die Kaffeemaschine einschaltete. „Guten Morgen, Martina. Super, dass es gleich frischen Kaffee gibt. Sonst lege ich mich in das nächste freie Bett ...“ Martina grinste: „Genau das werde ich gleich tun – aber in mein eigenes.“ „Beneidenswert“, stöhnte Stephanie und hoffte einmal mehr, dass nichts Außergewöhnliches passieren würde heute. Ein paar ruhige Stunden am Schreibtisch wären genau das, was sie heute brauchen könnte. „Hoffentlich haben die Patienten ein Einsehen mit mir“, dachte sie.

      * * *

      „Oh nein, nicht schon wieder“, jammerte Michael gespielt, als Dr. Matthias Bechstein ihn freundlich um ein paar Milliliter Blut bat. Gestern hatte er diese Prozedur gleich dreimal über sich ergehen lassen müssen, und wenn es auch erträglich war, so reichte es ihm doch langsam. Seit Tagen kämpfte Michael mit leichtem Fieber, und das gefiel weder ihm noch den Ärzten. Über verschiedene Bluttests versuchten sie, die Ursache zu finden, kamen aber bisher zu keinem eindeutigen Ergebnis. Dazu kam, dass die Schmerzen in Michaels Bein einfach nicht nachlassen wollten – die Ursache hierfür lag offenbar an den Nägeln und Schrauben, die ihm in der Operation nach dem Unfall eingesetzt worden waren. Irgendetwas war dort nicht in Ordnung. Dr. Bechstein setzte sich auf die Bettkante, um seinem Patienten zu erklären, dass sie vermutlich nicht um eine zweite Operation herum kommen würden.

      Diese Nachricht begeisterte Michael nur wenig. Er hatte gehofft, in ein paar Tagen wenigstens einen Gehgips zu bekommen, um endlich dem Bett entfliehen zu können. Doch die von Anfang an kaum nachlassenden Schmerzen in seinem Bein gaben dem Arzt Recht. Nach außen hin hatte er seinen Humor bisher wahren können – es machte ihm auch Spaß, mit den Schwestern herumzualbern oder seinen Mitpatienten Rätsel aufzugeben. Doch jetzt war ihm nicht mehr nach Lachen oder Herumalbern zumute. Eine weitere Operation bedeutete nicht nur eine erhoffte Besserung seines Zustandes, sondern natürlich auch eine noch nicht abzusehende Verlängerung seines unfreiwilligen Aufenthaltes hier. Wie gut, dass er einen verständnisvollen Chef hatte, der ihm am Telefon als erstes gesagt hatte, er solle auf keinen Fall auch nur einen Tag zu früh wieder mit der Arbeit beginnen. Der Tag würde bestimmt kommen, an dem sein Vorgesetzter diese Aussage bereuen würde. An Arbeit würde mindestens die nächsten 2 Monate nicht zu denken sein, wenn das hier so weitergehen würde. Von Stefan wusste er, dass sein Vater seinen Eingriff längst gut überstanden hatte und schon wieder zu Hause in seinem geliebten Schaukelstuhl saß. Derweil versuchte er, im Berchtesgadener Krankenhaus die Zeit totzuschlagen.

      Außer einem fast rund um die Uhr laufenden Fernsehgerät gab es kaum eine Abwechslung. Bücher hatte er keine dabei, denn er war zum Skilaufen und nicht zum Lesen in den Urlaubsort gekommen. Das einzige Buch, das er im Gepäck hatte, lag in seinem Koffer im Abstellraum von Christine und Peter Mooser. Diese hatten sein Zimmer ausräumen müssen, um für den nächsten Gast Raum zu schaffen. Dabei hatten sie alles in den Koffer gelegt und diesen zur Aufbewahrung in den Abstellraum gelegt. Er wollte ihnen nicht mehr Arbeit als nötig machen, darum hatte er sie nicht gebeten, nach seiner Bibel zu suchen. Aber er vermisste sie sehr. Gott sei Dank brauchte man zum Beten nicht mehr als einen einigermaßen klaren Kopf – kein Telefon, kein Buch, kein Radio, keinen Fernseher. Die Zeiten, in denen seine Mitpatienten das Zimmer verlassen hatten, nutzte er, um den Fernseher auszuschalten und mit Gott zu sprechen. Das half ihm, diese nicht so einfache Zeit zu ertragen.

      Er griff zum Telefon. Sein Bruder arbeitete als Freiberufler zu Hause, so dass er ihn auch am Vormittag erreichen konnte. Er brauchte jetzt eine vertraute Stimme, jemanden zum Reden. Und auch jemanden, der zu Hause in Frankfurt ein paar Dinge für ihn regeln würde – angefangen beim Blumengießen in seiner Wohnung bis zum Klavierspielen in der Gemeinde, für das er schon am nächsten Sonntag wieder eingeplant war. „Wie gut, dass mein leiblicher Bruder auch mein geistlicher Bruder ist“, dachte er. Ein christlicher Gesprächspartner fehlte ihm besonders in diesen Tagen sehr. Seine Zimmernachbarn waren zwar nett, aber auf dieser Ebene war mit ihnen nicht zu kommunizieren, das hatte er schon vorsichtig abgeklopft. Er wählte die Frankfurter Nummer und bat 2 Minuten später seinen Bruder um einen Rückruf. Die Einheiten hier in der Klinik waren derartig teuer, dass Ferngespräche unerschwinglich wurden.

      * * *

      „Hallo Michael, wir wollten mal wieder schauen, wie’s dir so geht.“ Michael blinzelte. Nach dem Mittagessen war er eingenickt. Neben ihm stand Peter Mooser, und Florian lehnte an der Fensterbank. „Klasse Gips“, war sein erster Kommentar. „Damit kannste ja glatt jemanden erschlagen.“ Michael konnte nicht anders als lachen. „Das hatte ich eigentlich nicht vor – aber wenn ich’s mir so überlege, ich könnte ja mal mit dir üben.“ Florian grinste und sein Vater warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu. „Wir können dir gerne mal einen verpassen, dann kannst du selbst feststellen, ob du den Gips dann immer noch ‘klasse’ findest.“ Er wandte sich wieder Michael zu. „Darfst du schon aufstehen und mit uns in der Caféteria Kaffee trinken?“ „Kaffee ...“, kam es angewidert aus Richtung Fenster. „Davon wird man dumm. Ich trink’ lieber Cola!“ Bevor Peter seinem Sohn nun ernsthaft ins Gewissen reden konnte, antwortete Michael: „Leider lassen sie mich nicht aus dem Bett – und ehrlich gesagt, im Moment habe ich auch keine großen Ambitionen dazu, denn mein Bein tut irrsinnig weh. Das will einfach nicht heilen. Deshalb werden sie morgen erneut an mir herumschnipseln ...“. Peter war sichtlich betroffen. Er war von einem normalen Beinbruch ausgegangen, der sich schon auf dem Weg der Besserung befand.

      „Flo – lauf doch mal runter und besorge uns 2 Kännchen Kaffee – den darfst du doch trinken?“ warf er mit einem Blick auf Michael ein. Der nickte. „Und deine Cola kannst du auch mitbringen. Wenn du willst, kannst du auch noch ein Eis essen – das aber unten in der Cafeteria. Den Kaffee bringst du uns dann später hoch.“ „Au ja!“ Florian sprang auf. Erst Eis und dann Cola, das waren gute Aussichten. So spendabel war sein Vater nicht oft, das musste er ausnutzen. Er hielt ihm die ausgestreckte Hand entgegen. Peter drückte ihm einen Schein in die Hand, und sein Sohn hüpfte pfeifend aus dem Zimmer. „Und bring noch ein paar Zeitschriften für Michael mit – der stirbt sonst vor Langeweile!“ rief Peter ihm noch hinterher. „Magst du ‘was Bestimmtes?“ Michael schüttelte den Kopf. „Ganz egal, aber ein paar Kreuzworträtsel wären nicht schlecht. Das soll ja die Intelligenz fördern.“ Florian schielte und wollte schon wieder einen Spruch loslassen, aber sein Vater hob warnend die Augenbrauen. Wortlos verschwand der Junge.

      Eine gute halbe Stunde später öffnete sich die Zimmertür wie von selbst, und dann kam Florian hinterher, ein Tablett vor sich her balancierend. „Zimmerservice! Kalter Kaffee mit saurer Milch und Salz.“ grinste er und stellte das Tablett auf Michaels Nachttisch, griff nach der Cola–Flasche und sprang wieder auf die Fensterbank. Michael musste einfach immer wieder über den Zwölfjährigen lachen. Seine frechen Bemerkungen waren nur halb so frech gemeint, und sie erfüllten ihren Zweck. Sie heiterten ihn ohne Zweifel auf. Schön, dass seine Pensionsleute längst mehr als nur Gastgeber waren und sich auch um sein Wohlergehen sorgten. Ohne ihre Besuche von Zeit zu Zeit gäbe es hier tatsächlich keinen Menschen, mit dem er auch einmal ein privates Wort wechseln könnte. Wenn sie jetzt noch Christen wären, könnten sie auch mal