Neues Leben für Stephanie. Lisa Holtzheimer

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Название Neues Leben für Stephanie
Автор произведения Lisa Holtzheimer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847666820



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weiter die Mühe, die lange Zahlenreihe auseinanderzupflücken. „Hallo?“ meldete sie sich verschlafen, um als nächstes aufrecht im Bett sitzend zu fragen: „Woher hast du meine Telefonnummern?“

      Carsten hatte ihre Mutter bestochen, die ihren Ex–Fast–Schwiegersohn sehr mochte und immer noch nicht verstehen konnte, warum ihre Tochter sich von ihm getrennt hatte. Ein wenig hoffte sie auf eine Erneuerung der Beziehung und damit verbunden auf Stephanies Rückkehr nach Hamburg. Carsten wollte wissen, warum Stephanie nach seinem letzten Anruf nicht zurückgerufen hatte. „Mensch, ich bin hundemüde, ich hatte Nachtdienst, und du hast nichts Besseres zu tun, als mich aus dem Schlaf zu klingeln und mir Vorwürfe zu machen. Was soll das?“ Carsten holte zu einem längeren Redeschwall aus, was Stephanie dazu veranlasste, das Telefon ein Stück vom Ohr weg zu halten. „Carsten, hast du vergessen, was wir ausgemacht hatten? Keinen Neuanfang. Es endet sowieso wieder in einer Katastrophe.“

      Carsten schien das anders zu sehen, und als er Stephanie seine nächste Idee unterbreitete, war sie hellwach. „Wie bitte?? Besuchen? Nee, tut mir Leid, aber das kannst du vergessen.“ Ihr Ex–Freund hatte Urlaub und wollte nächste Woche nach Südbayern kommen. „Ist ja nett, dass du mir wenigstens gerade noch vorher verrätst, dass du über meine Zeitplanungen verfügen möchtest“, antwortete sie gereizt, „aber ich muss dich enttäuschen. Ich kann dir natürlich nicht verbieten, nach Bayern zu kommen – von mir aus auch nach Berchtesgaden, aber ich werde dich nicht treffen!“ Sie legte einen solchen Nachdruck in diese Aussage, dass Carsten zum ersten Mal während dieses Gesprächs zu verstehen schien, dass sie ihn wirklich nicht sehen wollte. Er hatte sich eigentlich vorgestellt, doch noch einmal zu versuchen, die Beziehung zu erneuern. Stephanie würde bestimmt wieder eine gute Stelle in Hamburg bekommen, davon war er überzeugt. In den Monaten der Trennung hatte er gemerkt, dass sie ihm mehr bedeutete, als er sich lange eingestehen wollte, und mit einem Besuch in Berchtesgaden wollte er ihr zeigen, dass er sich für ihr Leben interessierte.

      Stephanies kategorische Absage traf ihn. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er im Grunde immer noch eine Chance gesehen, für ihn war die Trennung mehr auf Zeit angelegt, während Stephanie einen echten Schlussstrich gezogen hatte. Nicht umsonst hatte sie ihr gesamtes Leben umgeworfen und einen totalen Neuanfang gemacht. Leicht war ihr das nicht gefallen, und sie war fest entschlossen, sich nicht umstimmen zu lassen. Mindestens ein Jahr wollte sie durchhalten, um sich selbst erst einmal die Chance zum Einleben zu geben – wenn dann immer noch keine Aussicht auf Eingewöhnung bestand, dann konnte man das Ganze noch einmal neu überdenken. Aber nicht vorher. Und gerade begann sie zu merken, dass sie vermutlich nichts mehr neu überdenken würde nach Ablauf des ersten Jahres – langsam fasste sie mehr und mehr Fuß, hatte eine echte neue Freundin gefunden, und auch ihre Arbeitsstelle war ein echter Glückstreffer. Das alles wollte sie sich von Carsten nicht wieder kaputt machen lassen.

      „Nein, Carsten“, unterbrach sie seinen erneuten Ansatz abrupt, „ich möchte mich hier in jeder Hinsicht neu orientieren, und ich möchte nicht, dass du hier auftauchst. – Nein, es gibt keinen anderen Mann, aber es gibt auch noch mehr im Leben als Männer. Es tut mir Leid, wenn ich dir das jetzt so knallhart sage, aber alles andere belastet uns beide nur unnötig.“ Darauf fiel Carsten nicht mehr viel ein, das er entgegnen konnte. Er wollte Stephanie nicht bedrängen, hatte es wirklich ernst gemeint. Doch in diesem Moment verstand er, dass seine Hoffnungen sich in Luft aufzulösen schienen. Sehr schnell verabschiedete er sich und beendete das Gespräch. Stephanie legte sich wieder hin, aber an Schlaf war nicht mehr zu denken. Auch, wenn es ihr mit der endgültigen Trennung wirklich ernst war, wühlte sie dieses Gespräch doch wieder auf.

      Gleichgültig war Carsten ihr noch lange nicht – dazu war alles noch nicht lange genug her. Fast sechs Jahre waren sie ein Paar gewesen, hatten zwar getrennte Wohnungen, aber sich so gut wie täglich gesehen. Sechs Jahre lassen sich nicht einfach auslöschen, und schließlich war Carsten ein anständiger, freundlicher und aufmerksamer Bankkaufmann und wirklich kein Hallodri. Aber sie war sich darüber im Klaren, dass eine Beziehung zwischen ihnen keine wirkliche Aussicht auf Zukunft hatte. Und sie wollte sich und ihm ersparen, die ganze Geschichte noch einmal durchzumachen. Nein, es war besser so und auf jeden Fall eine richtige Entscheidung. Wie gut, dass es bis zu Janas Besuch nur wenige Tage waren. Die Vorfreude darauf half ihr, die unguten Gefühle in Bezug auf Carsten zu überdecken. Am liebsten hätte sie Jana umgehend angerufen, aber die war natürlich im Büro um diese Zeit – und solche Gespräche dauerten länger, als Janas Chef es gerne sah.

      Sie warf einen Blick auf den Wecker. 14 Uhr 14. Eine Stunde länger hätte sie gerne noch geschlafen, aber ein neuer Versuch lohnte sich nicht mehr. Also stand sie auf, füllte die Kaffeemaschine, bevor sie unter die Dusche stieg, um sich den Schlaf abzuspülen. Die gewonnene Zeit konnte sie nutzen, um endlich mal den Brief einer anderen Freundin zu beantworten, der schon lange auf ihrem Schreibtisch lag und sie jeden Tag vorwurfsvoll anschaute. Wenn Jana da war, würde sie sowieso nicht zum Schreiben kommen, und dann wären wieder mindestens zwei Wochen vergangen. Frisch geduscht mit ebenso frischem Kaffee schnappte sie sich einen Stift und Briefpapier. „Hallo, liebe Anja, ...“.

      9

      In Janas Schlafzimmer sah es aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Auf dem Bett lag ein Koffer, daneben und auf dem Fußboden ganze Stapel Pullover, Hosen, T–Shirts und andere nützliche Dinge, die man im Urlaub brauchen kann. Mittendrin saß Jana und überlegte krampfhaft, welche Ausstattung sie nun wählen sollte. Berge und Schnee waren Neuland für sie – Urlaub hatte für sie bisher bedeutet, sich auf Mallorca in die Sonne zu legen und nachts die Diskotheken zu erkunden. Bayern war etwas für Omas, war ihre eindeutige Meinung. Ob es in Berchtesgaden Diskotheken gab? Tatsächlich hatte sie Stephanie noch nicht danach gefragt, wurde ihr erst jetzt bewusst. „Das ist ein Urlaubsort, da wird‘s eine Disco geben“, entschied sie dann und warf Glitzer–Shirt und enge Hosen in den Koffer. Die entsprechenden Schuhe durften natürlich auch nicht fehlen. Bei dem Gedanken an den von Stephanie immer wieder erwähnten Schnee schüttelte sie sich. Wenn die Beschreibung stimmte, lag dieser dort immer noch meterhoch. Der März hatte begonnen, und ihr war entgegen ihrer kurzen Phase im Büro vor ein paar Tagen mehr nach Frühling zu Mute. Aber wer fragt schon nach dem Wetter, wenn es darum geht, die beste Freundin zu besuchen ... Also auch ein paar dicke Pullover und warme Jeans einpacken. Morgen Nachmittag ging ihr Flieger – dieses Mal nicht nach Palma de Mallorca, sondern nach Salzburg. Sie konnte es noch nicht wirklich fassen.

      * * *

      Stephanie wälzte sich von einer Seite auf die andere. 2 Uhr 28. Als sie vor Stunden das letzte Mal auf die Leuchtanzeige des Radioweckers geschaut hatte, war es 2 Uhr 12 gewesen. In weniger als drei Stunden würde sich das Radio einschalten und die Nacht beenden. Ihr grauste vor dem Gedanken, todmüde und fast ohne Schlaf 8 Stunden Dienst machen zu müssen; auf der anderen Seite hatte dann diese elende Warterei ein Ende. Die Umstellung zwischen Nachtwache und Tagdienst war sowieso schon nicht einfach, und ihre freudige Aufregung sorgte dafür, dass sie gar kein Auge mehr zubekam. Um 16 Uhr 12 würde Jana in Salzburg landen, gerade die richtige Zeit, damit Stephanie vorher noch beim Bäcker vorbeigehen konnte, um frischen Kuchen zu besorgen, und dann nach Salzburg zu fahren. Die Entfernung war nicht weit, bis zum Ortsanfang vielleicht 25 km. Der Flughafen lag jedoch genau am anderen Ende der Stadt. „Das wird ja spannend“, dachte sie. Bisher kannte sie Salzburg nur vom Hörensagen und von dem Besuch bei Brittas Hauskreis. Der allerdings war in einer Wohngegend vor der Stadt gewesen. Wenigstens wusste sie daher, welche Richtung sie einschlagen musste und wie lange Fahrtzeit sie bis zum Ortsanfang rechnen musste. Einen Stadtplan konnte sie auch lesen, und für eine Hamburgerin war Salzburg ein größeres Dorf. So traute sie sich zu, den Flughafen ohne größere Probleme zu finden.

      * * *

      „... und viel Sonne! Wir wünschen Ihnen einen wunderschönen Tag.“ Was war das? Wer sprach mit ihr mitten in der Nacht? Ach, nur das Radio. Letztendlich war Stephanie doch noch eingeschlafen und gar nicht begeistert, jetzt schon wieder aufstehen zu müssen. Aber es half nichts, die Patienten warteten – und die Kolleginnen auch. So schnell wollte sie nicht wieder zu spät kommen. Zudem hatte Margot heute auch Frühdienst – dieser Gedanke ließ Stephanie endgültig aus dem Bett steigen. Sie verstand sich recht gut mit der Stationsschwester,