Ich, Sergeant Pepper. Fred Reber

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Название Ich, Sergeant Pepper
Автор произведения Fred Reber
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742781635



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so berühmt wird.«

      »Das bist du auch. Und bald vielleicht noch berühmter.« Ich spreche den Zeitungsartikel an, in dem ich gelesen habe, dass sie mit ihrem letzten Film auf der Auswahlliste für den Oscar steht.

      »Sollte es zu einer Nominierung kommen, reden wir darüber.« Julia steigt in den Wagen. »Weißt du, worüber ich heute Morgen nachgedacht und was ich nie verstanden habe?«

      Ich sehe sie erwartungsvoll an. Sie sagt: »Hat es dich eigentlich nie interessiert, was aus Kevin geworden ist?«

      Ihre Worte jagen mir einen großen Schrecken ein. Ich bin froh, dass der Parkplatz vor dem Pub unbeleuchtet ist. Sie durfte mir nichts anmerken.

      Was würde passieren, wenn ich ihr jetzt die Wahrheit sage?

      Julia schlägt die Wagentür zu, startet, dann taucht ihr Gesicht hinter der sich senkenden Scheibe auf. »Eine Kassette mit deinen ersten eigenen Songs habe ich übrigens noch.«

      Mir gelingt ein Lächeln, und ich bin erleichtert, als sie hupend losfährt. Schnell verschwindet der Wagen aus meinem Blickfeld. Ich gehe zum Pub zurück und blicke dabei zu dem Wäldchen hinüber, dessen Zweige und Wipfel nur schemenhaft aus der Nachtschwärze herausragen.

      Alles, was ich so vehement verdrängt habe, ist nun wieder präsent bis ins kleinste Detail. Wie einen Fieberschub verspüre ich das Verlangen, nach so langer Zeit diesen einen Song wieder zu spielen, der alles ausgelöst und bis heute so nachhaltig beeinflusst hat. Warum nicht, denke ich und gehe hinein.

      Was wird aus der Beat- und Popgeneration ohne die Fab Four?

      1970

      Meine Demokassette mit den nachgesungenen Songs der Beatles steckte mit einem Schreiben in einem wattierten Kuvert im Briefkasten am Gartenzaun, eine Stunde, nachdem ich im Radio gehört hatte, dass sich die Beatles trennten.

      »Lieber Patrick, für den ersten ‚Talentschuppen‘ erreichte uns eine große Anzahl professionell gemachter Demobänder. Zu viele, für die vier geplanten Sendungen. Lass dich durch unsere Absage nicht entmutigen. Du bist jung, hast Talent, eine angenehm warme Stimme, und du solltest erst einmal abwarten, in welchem Umfang sich dein Stimmbruch einstellen wird. Wir empfehlen dir Gesangsunterricht zu nehmen. Selbstverständlich steht es dir frei, es immer wieder einmal mit einer Bewerbung bei uns zu versuchen. Wir wünschen dir auf deinem musikalischen Weg weiterhin Ausdauer, Spontanität, Freude, Überzeugungskraft.«

      Das auch noch.

      Ich vergaß alles um mich herum, sogar etwas zu essen. Bis meine Mutter nach Hause kam, lag ich völlig benommen auf meinem Bett, so, als hätte mir jemand auf den Kopf geschlagen.

      »Bist du krank?« Sie fühlte meine Stirn. »Sag mir nicht, dass du in Mathe schon wieder eine Fünf geschrieben hast?«

      »Die Beatles haben sich getrennt.«

      »Ich hab’s gehört.«

      Mit einem Satz war ich auf den Beinen. »Macht dir das denn gar nichts aus?«

      »Das spielt doch keine Rolle«, sagte sie. »Es kommt, wie es kommt.« Unter der Tür drehte sie sich noch einmal um und deutete auf meine Pepperjacke. »Zieh doch diesen Fetzen aus. Oder willst du warten, bis er dir vom Leib fällt.«

      Mir traten Tränen in die Augen. Wieso tat sie so gefühllos? Sie mochte John Lennon doch auch? Wie gut, dass ich ihr gegenüber nichts von der Kassette und meiner Teilnahme an dem Wettbewerb erwähnt hatte. Hastig ließ ich das Kuvert mit seinem Inhalt ganz unten in meiner Schreibtischschublade verschwinden.

      Ich fühlte mich noch ziemlich lange wie betäubt. Und als Let it be aus den Hitparaden verschwand, kapierte ich erst so richtig, dass es nie wieder einen neuen Hit von den Beatles geben würde. Erträglicher wurde das Ganze nur, wenn ich auf meinem Bett lag und mir vorstellte, Julia liege bei mir, und wir trösteten und streichelten uns gegenseitig. Insgeheim hoffte ich, dass doch Paul die Auflösung der Band zu verantworten hatte, wie es in der Bravo stand, und nicht John. Angeblich hatte der während eines Interviews in London gesagt, er habe Paul hinausgeworfen.

      Sobald ich mittags nach Hause kam, schlüpfte ich in meine Rolle als Sergeant Pepper und übte verbissen auf meiner Gitarre. Es fiel mir nicht ganz leicht. Bald schmerzte mein Handgelenk und auf den Fingerkuppen bildete sich Hornhaut. Wenn meine Mutter mich hörte, sagte sie: »Warum nimmst du denn nicht Unterricht?«

      Nur um stundenlang nervige Kinderlieder zu üben? Ich wollte weder zum Städtele hinaus noch interessierte mich der Kuckuck und der Esel und die Zeit, mich mit dem Bruder Jakob abzumühen, hatte ich auch nicht. Ich dachte an den Sommer, an die Ferien, die Julia bei ihrer Großmutter verbringen würde. Sie hatte mir eine Ansichtskarte von Rom geschrieben. Ich trug sie immer bei mir.

      Bis zum Wiedersehen musste ich Blackbird und Something auf der Gitarre beherrschen.

      Es stimmte mich traurig, dass Willi das Drama um die Beatles schnurzpiepegal war. Ihn interessierte nur der Übertritt auf ein Gymnasium in München. Er hockte den ganzen Nachmittag über den Büchern. Nie konnte ich ihn dazu bewegen, mich ins Café im Stadtpark zu begleiten, wo ich die Jukebox mit meinem Taschengeld fütterte.

      Ich hatte es nicht nötig zu büffeln, denn von Mathe einmal abgesehen, waren meine Noten ganz passabel. Im Sommer würde ich ohnehin nur auf die Realschule wechseln. Der Hofer hatte zwar am letzten Elternabend zu meiner Mutter gesagt, ich würde mehr schaffen und wäre nur zu faul zum Lernen, doch schließlich konnte ich meine Mutter besänftigen, als ich sie daran erinnerte, dass sie selber nur die Hauptschule besucht habe, dass sie eigentlich stolz auf mich sein könne, wenn ich die Prüfungen für den Schulwechsel schaffen würde. Und das versprach ich ihr hoch und heilig.

      Daraufhin wuschelte Mutter mir durch das Haar, zog sich um und fuhr mit ihrer Ente zu Robert Staudte.

      Ich war froh, dass ich mich weiter in der mir vertrauten Umgebung würde bewegen können, denn allein schon der Gedanke, jeden Morgen vor sechs aufstehen und mit dem Zug nach München reinfahren zu müssen, war der absolute Alptraum.

      Kurz vor den Prüfungen erfuhr ich auf dem Pausenhof, dass die Beatles in Amerika mit The long and winding Road eine letzte Nummer Eins in den Billboard-Charts geschafft hatten. Von da an hörte ich nur noch AFN.

      Über dem Dach gegenüber lugte die Sonne hervor, stieg rasch höher und heizte durch die Fenster der Aula die Luft zusätzlich mit Spannung auf.

      Nervös rutschte ich auf meinem Stuhl in der letzten Bank, in der Nähe des Fensters herum und wartete mit den anderen darauf, dass der Hofer endlich zur Sache kam. Er tuschelte mit der Kollegin. Frau Schön beaufsichtigte mit ihm die Prüflinge. Dann endlich ging er zur Tafel, klappte sie auf, und die zur Auswahl stehenden Aufsatzthemen kamen zum Vorschein.

      Mich interessierte weder der Nutzen noch der Schaden der Raumfahrt, und mir war auch völlig schnuppe, worin sich meine Generation von der meiner Mutter unterschied. Wie elektrisiert starrte ich auf die dritte Aufgabe. Was wird aus der Beat- und Popgeneration ohne ihre Vorbilder, die Fab Four?

      Ich dachte an Julia, an das, was sie einmal auf dem Schulhof zu mir gesagt hatte, und mein Kopf spielte Got to get you into my life. Ich musste mich beherrschen, um nicht vom Stuhl aufzuspringen, mit meiner Luftgitarre durch die Aula zu fegen und einen Auftritt hinzulegen, der die verblüfften Kameraden und Lehrer zu enthusiastischen Beifallsstürmen hinreißen würde. Und das ohne meine Pepperjacke.

      »Na, wohl gar keine Idee?«

      Ich zuckte zusammen und starrte mit hochroten Wangen den Lehrer Hofer an. Er deutete auf seine Armbanduhr und ging weiter. Von wegen. Der sollte sich noch wundern. Dem würde ich beweisen, dass mit dem Bruch zwischen John und Paul noch längst nicht alles vorbei war. Die Welt sollte bald wieder einen ˃Summer of Love˂ erleben. Und ich wollte meinen Teil dazu beitragen. Ich schob die Verschlusskappe von meinem Füller und beugte mich über die leeren Papierblätter.

       An der lang sich windenden Straße, im Land Nirgendwo, singt die Amsel