Ich, Sergeant Pepper. Fred Reber

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Название Ich, Sergeant Pepper
Автор произведения Fred Reber
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742781635



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kaum, denn er wohnte in dem einzelnen Haus am Fichtenwäldchen, schräg gegenüber der Kirche.

      Offensichtlich waren die Häuser im Village nach dem gleichen Grundriss gebaut. Ein geräumiges Wohnzimmer mit einem breiten Durchgang zur Küche, dazwischen ein schmaler Flur zu einer Gästetoilette. Und wie bei den Cunninghams dürfte es oben drei Räume geben, zwei davon Schlafzimmer und ein großes Bad.

      Wie damals in unserem Garten trug Kevin wieder diese spitzen Cowboystiefel und den fast bodenlangen Mantel. Ich fragte nach seinen Eltern. Dabei starrte ich auf den breiten Silberring an seiner rechten Hand, während er Whisky und Cola in zwei Gläser verteilte.

      »Mein Dad ist zu Besuch bei einem Freund in München.«

      »Und deine Mutter?«

      Kevin stellte die Whiskyflasche hart auf den Tisch und sagte ruppig: »Ich will jetzt nicht über sie reden, okay?«

      »Schon gut, Mann.« Ich bereute, mitgekommen zu sein.

      »Sorry«, murmelte er, »vielleicht erzähle ich es dir ein anderes Mal.«

      Ich ging zum Plattenspieler und setzte die Nadel auf die Scheibe, die auflag. Donner grollte aus den Boxen. Regen prasselte. Tiefe Basstöne durchzogen den Soundteppich eines Keyboards. Eine raue Stimme sprach mehr als sie sang. Riders on the Storm.

      Ich ließ mich in die weiche Couch fallen, Kevin reichte mir ein Glas, stieß mit mir an und leerte seines in einem Zug. Dann zog er eine Mundharmonika aus seiner Manteltasche und unterlegte den sphärisch klingenden Beatsound der Doors mit leisen, eigenwilligen Tönen.

      »Und was hast du so drauf?«, wollte Kevin wissen und stellte den Plattenspieler aus. Ich konnte ihn mit Yesterday beeindrucken. Dann nahm er meine Gitarre, weil seine bei einem Kumpel in München sei, wie er sagte, spielte und sang A Horse with no Name. Ich musste zugeben, dass er ziemlich gut war. Kevin besaß wirklich jede Menge Platten. Von den meisten Bands hatte ich nie zuvor gehört. Fleetwood Mac, Lynyrd Skynyrd, Ten Years After.

      Bei einem weiteren Whiskycola erzählte Kevin mir, er besuche eine Highschool unweit der MacGraw-Kaserne in München, darüber musste ich eingeschlafen sein. Als er mich weckte, war ich mit einem Satz auf den Beinen. Er hatte das Licht gelöscht und ich geriet in Panik, als ich die Leuchtziffern auf der Küchenuhr sah. Es war vier durch. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis es dämmerte.

      »Keep cool, Fellow«, sagte Kevin und zeigte mir einen dicken Schlüsselbund. Der gehöre seinem Dad. »Er ist Superintendent. Ich weiß, wo er den aufbewahrt.«

      »Was ist ein Superintendent?«

      Kevin fasste sich in die struppigen Haare. »An Officer. Einer, der das Personal drüben in der Kaserne verwaltet. So ähnlich.«

      »Aha«, sagte ich, obwohl ich mir absolut nichts darunter vorstellen konnte. Ich versuchte im Dunkeln meine Gitarre zu erkennen. »Ich muss jetzt los.«

      »Das könntest du bereuen«, sagte Kevin und wühlte in einer Schublade. »Denn wenn ich dir von dem erzähle, was ich dir gerne zeigen würde, dann wirst du es mir nicht glauben und sagen, ich lüge.«

      »Was erzählen? Was hast du denn vor?«

      »Vertrau mir einfach.« Kevin wechselte seinen Mantel gegen einen dickgestrickten Pullover. Dann packte er mich an der Schulter und schob mich durch eine Hintertür in der Küche aus dem Haus.

      Vorne fuhr ein Wagen langsam die Straße entlang. Kevin drückte mich hinter die Mülltonne. »Die Nacht­patrouille«, raunte er mir zu. Motorgeräusche entfernten sich.

      Kevin deutete mit einer Taschenlampe zu den Fichten, die hier nah am Haus standen. Im nächsten Moment schlüpfte er zwischen den Zweigen hindurch.

      Mir wurde mulmig. Ich wusste, es wäre vernünftiger nach Hause zu gehen, doch die Neugierde überwog, und ich schob mich dort zwischen die Bäume, wo Kevin verschwunden war. Mit den Ellbogen versuchte ich die piksenden Zweige abzuwehren. So gelangte ich auf einen bemoosten Waldweg, wo Kevin auf mich wartete. Mit der angeknipsten Taschenlampe liefen wir los und kamen nach wenigen Metern zu einer Lichtung, auf der ein mit Schindeln gedecktes Holzhaus stand. Die Eingangstür auf der Veranda hing aus der oberen Angel, die Fenster waren eingeworfen.

      Kevin sagte, als er klein war, habe er mit seinen Eltern hier gewohnt. Weil das Haus so abseits vom Village liege, und im Winter der Weg bei Eis und Schnee meist unbefahrbar sei, wären sie umgezogen.

      Ich zeigte auf den Stacheldrahtzaun, der zwischen den Bäumen verlief.

      Kevin nickte und hielt den Strahl der Lampe auf seine Armbanduhr. »Wir müssen uns beeilen.« Mit einem Satz nahm er die beiden Verandastufen, zwängte sich an der kaputten Tür vorbei ins Innere des Hauses. Mir blieb nur, ihm zu folgen.

      Ein eigenartiger Geruch hing in der Luft. Fäulnis, Moder, Verwesung.

      Der Lichtstrahl huschte über den mit Gerümpel übersäten Dielenboden. Mit dem Fuß schob Kevin einen alten, zerfransten und durchlöcherten Teppich beiseite. Eine Falltür mit einem in das Holz eingelassenen Eisenring kam zum Vorschein. Kevin drückte mir die Lampe in die Hand und zerrte mit beiden Händen an dem Ring, wobei er eine Menge Kraft aufwenden musste. Schließlich ließ sich die Tür anheben und fiel laut krachend nach hinten.

      Ich starrte in die Öffnung, die mich an einen gähnenden Schlund erinnerte.

      Kevin nahm die Lampe wieder. Eine kurze Holzleiter führte nach unten. »Let‹s go«, sagte er. Ein Schauer schüttelte mich, während ich hinunterstieg und wartete, bis Kevin bei mir war. Er leuchtete ein Holzregal ab, dann legte er die Lampe auf den staubigen Steinboden. »Wir müssen es wegschieben.« Es war kaum höher als wir beide und dick mit Spinnweben überzogen. Mit dem Ellbogen stieß Kevin dagegen und zerriss den grauen Schleier. Widerwillig fasste ich mit an und gemeinsam zerrten wir am Regal. Etwas fiel zu Boden und zersplitterte.

      Im Lichtschein entdeckte ich nun einen vom Regal freigegebenen Spalt in der Wand. Wie eine riesige, aufgeplatzte Wunde verlief sie zum unebenen Steinboden hin.

      »Ich habe es irgendwann einmal beim Spielen entdeckt«, sagte Kevin, hob ein Bein, steckte es durch die v-förmige Öffnung und verschwand. Für einen kurzen Augenblick stand ich im Dunkeln. »Follow me«, hörte ich Kevin sagen, dann zwängte ich mich durch den Spalt auf die andere Seite.

      Kevin ließ den Lichtkegel rotieren. Wir befanden uns in einem niedrigen, feuchten Tunnel. Der Boden war glitschig. Irgendwo drang Wasser ein, ich hörte es tröpfeln. Kevin deutete nach rechts. Mit jedem Schritt weitete sich der Tunnel, bis uns eine schmale Eisentür den Weg versperrte. Kevin zog den Schlüsselbund aus seiner Hosentasche und probierte einige Schlüssel durch, bis einer passte. Im Licht der Taschenlampe erschien dahinter ein Gang. Meine Augen gewöhnten sich an das staubige Grau der Wände und die blinden Neonröhren, die über uns verliefen.

      Kevin sagte etwas von einem Munitionsdepot, das hier einmal gewesen sei, und für das sein Dad die Verantwortung gehabt habe. Wegen einer Explosion war vor Jahren alles in einen anderen, weiter vom Village entfernten Bereich der Kaserne ausgelagert worden.

      Wir kamen zu einem Tor. Wieder probierte Kevin einige Schlüssel. Dann traten wir hinaus in die Morgendämmerung. Es regnete. Eine holprige, schlecht geteerte, von Fichten gesäumte Straße führte hügelan. Zwischen den Bäumen sah ich ein zweistöckiges, grün getünchtes Gebäude mit vergitterten Fenstern.

      »Darin befindet sich die Verwaltung der Einheit, für die mein Dad tätig ist«, sagte Kevin. »Als kleiner Junge habe ich ihn dort häufig besucht.«

      Im Schutz der Bäume liefen wir das Gebäude entlang und kamen an seiner schmalen Seite zu einer Steintreppe, die in ein Tiefgeschoss hinunterführte. Kevin legte den Finger an die Lippen. Ich nickte und huschte hinter ihm die Treppe hinunter. Schon der erste Schlüssel passte, die Tür ging auf. Wir schlichen einen düsteren Gang entlang. Ob es hier irgendwo ein Klo gab? Irgendwann würde ich pinkeln müssen. Ich traute mich kaum zu atmen. Dann schob Kevin mich durch eine der Türen, die die kahlen Ziegelsteinwände zu beiden Seiten unterbrachen. Wir standen in einem Vorraum, ähnlich dem der Schwimmhalle an unserer