Ich, Sergeant Pepper. Fred Reber

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Название Ich, Sergeant Pepper
Автор произведения Fred Reber
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742781635



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      Kevin packte mich am Arm und drängte mich gegen die beschlagenen Fliesen. Dann spähte er um die Ecke und deutete mit dem Kinn in den Dunst.

      Ich trat einen Schritt vor, nur ganz allmählich nahm ich den Rumpf eines massigen, nackten und dunklen Körpers wahr, der immerzu nach vorne stieß. Pobacken, die sich dabei zusammenzogen, hellhäutige, schmale Beine mit spitzen Knien, die sich an die sehnigen dunklen Schenkel pressten. Finger mit rotlackierten Nägeln glitten von den breiten Schultern des Schwarzen herab, die Wirbelsäule entlang, in Hüfthöhe verschwanden die schmalen Hände. Die Pobacken verkrampften sich, der Oberkörper des Schwarzen bäumte sich auf, das Stöhnen endete abrupt.

      Kevin tippte mir grinsend auf die Schulter, gab mir ein Zeichen, und wir zogen uns zurück. In einer Nische neben einer Treppe flüsterte er, ich solle hier warten. Er verschwand nach oben. Ich wischte mir über das feuchte Gesicht. Meine Haare klebten an der Stirn, an den Schläfen, im Nacken. Am Rücken spürte ich den Schweiß unter Hemd und Jacke hinunterlaufen. Ich atmete schwer und hörte die beiden unter der Dusche reden. Ich konnte mich anstrengen so viel ich wollte, ich verstand keines ihrer Worte. Beim Lesen der Bravo-Aufklärungsserien hatte ich mir das alles immer ganz anders vorgestellt. Nicht so abstoßend, nicht so nüchtern.

      Ich spähte die Treppe hinauf, ging ein paar Stufen, dann tauchte Kevin endlich auf und winkte mich nach oben. Was er mit einem Arm gegen die Brust drückte, konnte ich nicht erkennen. Wir kamen an einem Raum vorbei, dessen Tür offenstand. Kevin flüsterte, dass sei das Dienstzimmer des Schwarzen. Ich nickte und raunte Kevin zu, dass ich mal müsse. Ich solle es mir verkneifen, sagte er, dabei steckte er einen Schlüssel in das Schloss der Ausgangstür und drehte ihn fast geräuschlos um. Hinter Kevin trat ich hinaus in den Regen. Dabei bückte ich mich und hob das Stück Stoff auf, das er hatte fallen lassen. Erst als der Stoff im Regen schrumpelte, begriff ich, es war ein türkisfarbener Seidenschal, den ich da in Händen hielt. Ich beobachtete, wie Kevin ein spitzenbesetztes rotes Höschen, Strapse, einen kurzen, schwarzen Minirock, so etwas wie ein Oberteil und eine Jacke mit Tigermuster auf dem Asphalt vor uns ausbreitete. Die langen, schwarzen Lackstiefel schleuderte er zum Fichtenwäldchen hin. Dann verstreute er den Inhalt eines glitzernden Handtäschchens und trampelte auf einem Lippenstift, der Puderdose, einer Haarbürste, Handschellen und zusammengefalteten Papieren herum. Unter seinen Stiefeln zerplatzten ein Spiegel und das Parfümfläschchen.

      Völlig durcheinander, dennoch fasziniert, stand ich mit hängenden Schultern im strömenden Regen einfach nur da.

      Als hinter uns im Gebäude ein Telefon läutete, hielt Kevin inne, dann fauchte er: »Run!« Ich ließ den Schal fallen und raste los, als wäre der Leibhaftige hinter mir her.

      Die Bäume kamen näher, neben mir hörte ich ein gehetztes »This way«, und ich erkannte die holprige und abfallende Straße wieder. Wir rannten auf das Tor des alten Munitionsdepots zu. Das Schloss rastete ein. Der Schlüsselbund klirrte. Keuchend hasteten wir nebeneinander, dem zitternden Lichtkegel folgend, durch den schier endlos langen Gang, zu der schmäleren Tür. Scheppernd fiel sie zu. Ich wankte über lehmigen Boden.

      Nur nicht gegen die sich verengenden Tunnelwände laufen! Ein Hustenreiz, Seitenstechen. Der Spalt in der Wand. Ich zwängte mich hindurch. Unter meinen Sohlen knirschte es. »Das Regal vorschieben«, rief Kevin noch im Spalt.

      Spinnweben zwischen den Fingern. Auf der kurzen Leiter rutschte ich ab und schrammte mir das Schienbein. Ich spürte Kevins Hände in meinem Rücken. Sie schoben mich nach oben in den dämmrigen Raum. Schon polterte die Tür der Bodenluke. Staub kratzte in meiner Kehle. Ich taumelte zum Ausgang und knallte mit der Stirn gegen die schiefhängende Tür. Ich sprang von der Veranda, hetzte den bemoosten Waldweg entlang und rieb mir immer wieder die gestoßene Stelle am Kopf. Wieder wusch Regen mir das Gesicht. Ich wurde von hinten gepackt, mir entfuhr ein gurgelnder Ton, starrte in Kevins verdrecktes Gesicht. Er deutete auf die Bäume rechts von uns. Ich folgte ihm. Bei der Mülltonne hinter Kevins Haus stolperten wir aus dem Wald.

      »Ich piss mir gleich in die Hose«, stammelte ich.

      Während ich mir im Haus Erleichterung verschaffte, ließ Kevin sich vor der offenstehenden Toilettentür auf den Boden sinken, lachte, schnappte nach Luft und heulte gleichzeitig wie ein Wolf.

      Ich drückte die Spülung, stieg über Kevin hinweg, taumelte zur Couch, wo ich mich fallen ließ und zitterte am ganzen Körper.

      Draußen fuhr ein Wagen vorbei. Ob die Patrouille mir glauben würde, wenn ich sagte, ich hätte die Nacht hier auf der Couch verbracht?

      »Ich fahr dich heim. Wasch dir erst das Gesicht.«

      Ich erschrak, als ich mich im Badezimmerspiegel sah.

      Kevin wartete draußen im Chevy auf mich. Er drückte die Zigarette im Ascher aus und startete den Motor. Die Scheibenwischer ruckelten quietschend hin und her.

      Nach der Kirche sah ich zur Straße hinunter, wo Matthew wohnte. Sie lag so verlassen da wie vergangene Nacht. Die sonst so belebte Geschäftsstraße, durch die wir fuhren, war menschenleer. Das Schild der Gasstation quietschte im Wind. Hinter den großen Glasscheiben vom Drugstore glaubte ich ein Gesicht zu erkennen. Die Lücken zwischen den Gebäuden gewährten ab und zu einen Blick auf das grau schimmernde Flusswasser.

      Dann fragte ich Kevin, was mich beschäftigte, seit wir losgefahren waren. »Was sollte das mit den Klamotten der Frau? Was hat sie dir denn getan?«

      »She’s a bitch. Nur eine Nutte. Und damit konnte ich es dem Schwarzen heimzahlen, denn der schuldet mir noch Kohle. Dadurch bekomme ich sie zwar auch nicht, aber den Ärger, den er jetzt mit der Schwalbe hat, war mir die Sache wert.«

      »Wird dich der Schwarze nicht verdächtigen?«

      »Patrick, wie denn? Er kann mir nichts beweisen. Von dem Riss in der Wand, der damals durch die Explosion entstanden sein muss, hat er nicht die geringste Ahnung.«

      Zum ersten Mal nannte er mich beim Namen. Ich war mir sicher, den ihm nie gesagt zu haben. Mich wunderte aber längst nichts mehr.

      Als nach dem Wäldchen die Abzweigung zur Kaserne kam, sah ich hinüber zu der Stelle, wo der wachhabende Soldat am Tor stand. Kevin hob die Hand, der GI grüßte mit zwei Fingern am Helm zurück.

      »Wie kommt die Nutte eigentlich an dem vorbei?«, fragte ich heiser und rieb mein Schienbein, das nun schmerzte. Wo ich es mir an der Leiter geschrammt hatte, war meine Jeans zerrissen.

      »Wenn es darauf ankommt, halten wir alle zusammen. Bedingungslos. Bei uns gelten eigene Gesetze. Wenn es wirklich darauf ankommt, bestimmen wir.«

      »Wenn es worauf ankommt?«

      Wir fuhren über die Kreuzung.

      Kevin schwieg. Dann schlug er mit beiden Händen auf das Lenkrad ein und lachte hämisch. Dabei warf er den Kopf in den Nacken. »Na, habe ich zu viel versprochen?«

      »Ja, cool«, war alles, was ich herausbekam. Mund und Kehle waren wie ausgetrocknet. Ich fror erbärmlich und freute mich auf mein Bett.

      Aus der Siedlung kam eine ältere Frau über den Buckelberg. Bestimmt wollte sie zur Bushaltestelle, von dort weiter in die Frühmesse. Nach der Brücke gaben die Bäume den Blick auf unser Haus und Mutters Ente frei.

      Auch das noch.

      Ich ließ Kevin an der Allee anhalten und stieg aus.

      »Kein Wort, zu niemandem.« Kevins Finger schnellte vor.

      »Ich bin nicht blöd.«

      »Wegen der Band sprechen wir noch. See ya!«

      Meine Gitarre! Sie lag bei Kevin im Wohnzimmer. Ich rief ihm hinterher, doch er jagte den Chevy schon wieder über die Landstraße.

      Ich eilte auf unser Haus zu, sperrte so leise wie möglich auf und schlich mich hinein. Ob ich es schaffen würde, ohne Treppenknarren nach oben zu kommen? Noch vor der Küchentür zuckte ich vom Knall des Telefonbuchs, das meine Mutter wütend zu Boden geworfen hatte, zusammen. So aufgebracht hatte ich sie noch nie erlebt. Sie wollte gerade die Nummer von Matthews Eltern heraussuchen.