Aktive Gewaltfreiheit. Группа авторов

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Название Aktive Gewaltfreiheit
Автор произведения Группа авторов
Жанр Документальная литература
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Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783429063849



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das sofort auf; die Wendung „himmlischer Vater“ bzw. „Vater in den Himmeln“ und „dein Vater, der im Verborgenen ist“ wird mit einem Dutzend Vorkommen vor allem in Mt 6 zu einem Leitwort im Mittelteil der Bergpredigt, findet sich aber auch noch in Mt 7,11 und 21.

      Auf andere, aber ebenso nachdrückliche Weise, wird die fünfte These in den Zusammenhang eingebunden und theologisch fokussiert. Der Verhaltensratschlag aus Mt 5,42 („Dem dich Bittenden gib, und von dem von dir borgen Wollenden wende dich nicht ab“) findet ein theologisches Pendant in 7,7-11:

      7 Bittet, und euch wird gegeben werden!

      Sucht, und ihr werdet finden!

      Klopft an, und euch wird geöffnet werden!

      8 Denn jeder Bittende bekommt,

      und der Suchende findet,

      und dem Anklopfenden wird geöffnet werden.

      9 Oder welcher Mensch ist unter euch,

      den sein Sohn um Brot bitten wird,

      wird er ihm etwa einen Stein geben?

      10 Oder auch um einen Fisch wird er bitten,

      wird er ihm etwa eine Schlange geben?

      11 Wenn also ihr – böse Seiende – gute Gaben zu geben wisst,

      wieviel mehr wird euer Vater in den Himmeln

      gute geben den ihn Bittenden?

      Das Thema Bitten und Geben dominiert den Mittelteil der Bergpredigt; im Vaterunser Mt 6,9-13 weist Jesus die Jünger/innen an, sich in allen wesentlichen Belangen bittend vor den „Vater im Himmel“ zu stellen; der weiß, was sie brauchen, schon lange bevor sie ihn bitten (vgl. 6,8). Die Reihe der Bitten im Vaterunser kulminiert in der Bitte um Rettung vor dem Bösen (6,13). Jede menschliche Auseinandersetzung mit dem Bösen steht folglich in diesem theologischen Bezugsfeld: Gott soll vor dem Bösen retten; alle Arbeit an der Überwindung des Bösen ist getragen vom Vertrauen auf Gottes Rettungswillen und Befreiungsmacht.

      Der geforderte Umgang mit dem Bösen und mit dem Feind folgt in der Bergpredigt nicht allein Klugheitsregeln, die aus der Erfahrung gewonnen wurden und sich bewährt haben, sondern wird in einen direkten Zusammenhang mit dem Gottesbild gebracht: Es geht um die Nachahmung des Verhaltens Gottes. Jesus zeichnet in der Bergpredigt einen Gott, der allen Menschen vorbehaltlos entgegenkommt. Aus beiden Aspekten speist sich diese „Logik“: Gottes Sorge gilt allen, und sie liegt dem Verhalten der Menschen voraus. Der Maßstab ist allein Gottes Vatergüte. Die einzige Festlegung, die damit zugelassen ist, besteht in der Kindschaft gegenüber dem himmlischen Vater; nur sie ist Vorgabe, Leitbild und Ziel allen menschlichen Tuns: „damit ihr Söhne eures Vaters in den Himmeln werdet“ (5,45a).

      In diesen Horizont muss sich das Verhalten der Menschen zueinander einfügen. Das scheint in den gewöhnlichen Alltagsverhältnissen keine besonderen Schwierigkeiten zu bereiten, erst recht, wenn ich in einer Position der Stärke bin und ein anderer mir als Bittsteller begegnet. Nur der Gestus des Entgegenkommens entspricht der allem vorausliegenden Vatergüte. Die fünfte These nimmt nun aber Situationen in den Blick, die nicht zu diesem einfachen Muster passen. Was ist zu tun, wenn der andere stärker ist und ich unterlegen bin? Was ist zu tun im Fall der Konfrontation mit Gewalt? Wie stellt sich die beschriebene Logik im Fall von Unrechtserfahrungen dar? Formal gesprochen ist in der Bergpredigt eine binäre oder dualistische Handlungslogik ausgeschlossen. Zur aufgezeigten Gesamtlinie passen nur Verhaltensweisen, die an Gottes Überwindung des Bösen festhalten und alle Beteiligten als Kinder des himmlischen Vaters anerkennen. Alles muss von der Güte des einen Vaters bestimmt sein. Eine Anpassung an die Handlungsweisen des Übeltäters ist damit ausgeschlossen. Aber auch ein quietistisches Nachgeben passt nicht zu dieser Linie, denn dies wäre nicht vereinbar mit der Klage und Bitte an Gott, das Böse zu überwinden, und der Überzeugung von Gottes liebevollem Einsatz für das Leben aller seiner Kinder.

      Unter der Voraussetzung, dass die fünfte und ebenso die sechste These keine lockere Fügung weisheitlicher Sentenzen sind, sondern einen theologisch-ethischen Gedanken (in zwei Ansätzen) stringent entfalten, ist damit ein Verständnis von 5,39a („Leiste dem, der euch etwas Böses tut, keinen Widerstand“) als quietistischer oder passiver Hinnahme des Bösen ausgeschlossen. Die Absage an „Widerstand“ angesichts des Bösen kann nicht bedeuten, sich nicht mit dem Bösen auseinanderzusetzen. Wenn etwa die Neue Genfer Übersetzung von 2009 Mt 5,39a wiedergibt mit „Setzt euch nicht zur Wehr gegen den, der euch etwas Böses antut“, so mag sie sich formal eng am griechischen Text bewegen, ist aber inhaltlich in hohem Maße missverständlich und fügt sich nicht konsistent in den matthäischen Kontext ein. Die neue französische katholische „Traduction officielle liturgique“ der Bibel von 2013 nuanciert die Übersetzung, so dass sich ein kohärenter Sinn ergibt: „Eh bien! Moi, je vous dis de ne pas riposter au méchant“. Die Fußnote klärt auf, dass hier gezielt dem Verb „riposter“ der Vorzug gegenüber dem wörtlichen „résister“ gegeben wurde, weil „zurückschlagen“ den Sinn besser trifft als „widerstehen“.9 Alles kommt darauf an, die Logik des himmlischen Vaters beizubehalten und das Handeln an ihr zu orientieren; so wenig, wie Gott das Böse will, können die Jünger/innen es wollen. Warum sollten sie sonst um Rettung bitten? Und zugleich geht es darum, nicht die Verhaltensmuster des Bösen zu übernehmen, im eigenen Verhalten das Böse zu spiegeln.10

      Das Verb „antísthemi“ in Mt 5,39a bezieht sich nicht auf jede Form von Widerstand gegenüber dem Bösen. Kontextuell und textsemantisch scheint es gewählt zu sein, um die Anti-Logik zu charakterisieren, die Jesus überwinden will. Wer in der Anti-Logik verharrt, hat sich den entscheidenden Schritt des entgegenkommenden Gottes gerade nicht zu eigen gemacht. „antísthemi“ ist nicht das übliche Wort für „vergelten“; vielfach wird es als „militärischer Ausdruck“ benutzt. „Resistance implies ‚counteractive aggression‘, a response to hostilities initiated by someone else. Liddell-Scott defines anthistēmi as to ‚set against esp. in battle, withstand‘. Ephesians 6:13 is exemplary of this military usage: ‚Therefore take up the whole armor of God, so that you may be able to withstand [antistēnai, lit., to draw up battle ranks against the enemy] on that evil day, and having done everything, to stand firm [stēnai, lit., to close ranks and continue to fight].‘ The term is used in the LXX primarily for armed resistance in military encounters (44 out of 71 times). Josephus uses antisthēmi for violent struggle 15 out of 17 times, Philo 4 out of 10. As James W. Douglass notes, Jesus’ answer is set against the backdrop of the burning question of forcible resistance to Rome. In that context, ‚resistance‘ could have only one meaning: lethal violence.“11 Als deutsche Übersetzung für Mt 5,39a böte sich also etwa an: „Verhaltet euch nicht gewaltsam gegenüber dem Bösen.“

      Der bereits zitierte Kommentar von 1973 verstärkt das verbreitete quietistische Missverständnis noch durch die Übersetzung: „Ich aber sage euch, dem Bösen überhaupt nicht zu widerstehen.“12 Das scheint sich durch die Beispielreihe zu bestätigen; besonders das Hinhalten der anderen Wange ist sprichwörtlich geworden für eine passive Haltung, die das Böse einfachhin geschehen lässt. Gewaltverzicht bedeutet jedoch nicht Widerstandsverzicht. Der christliche Pazifismus erfordert eine klare Haltung zum und eine entschiedene Abgrenzung gegenüber dem Gebrauch von Gewalt, als genereller Verzicht auf Widerstand wäre er jedoch eher als „Passivismus“ („passivism“) zu bezeichnen, ein „tatenloser Pazifismus“ („nonresistant pacifism“), der in Gefahren und erniedrigenden Umständen nur schwer mit der Nächstenliebe und der immer gebotenen Selbstachtung zu vereinbaren ist. Die Bergpredigt zeichnet einen anderen, einen dritten Weg zwischen Gewalt und Passivismus vor, den der Bibelwissenschaftler und Denker der Gewaltfreiheit Walter Wink mit einem Oxymoron als „kämpferische Gewaltfreiheit“ („militant nonviolence“)13 bezeichnet.

      Während der Eingang der fünften These negativ zunächst einmal verbietet, die Anti-Haltung der Übeltäter zu übernehmen, können die Beispiele als positive Entfaltungen der geforderten Haltung einer „militanten“ Gewaltfreiheit gelesen werden. Sie sind weit von jedem „frommen Dulden“ des Unrechts entfernt, das dem Bösen in die Hände spielt, statt es zurückzudrängen. In allen drei Beispielen