Aktive Gewaltfreiheit. Группа авторов

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Название Aktive Gewaltfreiheit
Автор произведения Группа авторов
Жанр Документальная литература
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Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783429063849



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hinweggegangen werden kann. Zu erwähnen sind weiterhin auf katholischer Seite die in der Regel geheim durchgeführten diplomatischen Aktivitäten des Heiligen Stuhls (Vatikanstaat), die oft genug zur Entschärfung von bedrohlichen Konflikten beigetragen haben. Auch der Ökumenische Rat der Kirchen (Genf) ist auf dieser Ebene tätig. In den öffentlichen Medien wird nur selten über solche Aktivitäten berichtet, was auch mit der Komplexität der jeweils zu verhandelnden Materie, die nur schwer Nicht-Sachverständigen zugänglich zu machen ist, zusammenhängt.

      Neben der staatlichen Ebene sind die Kirchen bzw. kirchliche Gruppen und Organisationen auch Akteure auf der zivilgesellschaftlichen Ebene und tragen so zur öffentlichen Meinungsbildung bei. Auch hier spielen die erwähnten Hilfswerke mit ihren Aktionen eine wichtige Rolle. Kirchliche bzw. christlich orientierte Friedensorganisationen zählen zur allgemeinen Friedensbewegung. Dritte- bzw. Eine-Welt-Gruppen praktizieren universale Solidarität. Ökologische Projektgruppen engagieren sich für die Erhaltung der Lebensgrundlagen. Unzählige weitere Initiativen könnten angeführt werden, die je für sich einen Tropfen auf dem heißen Stein bewirken mögen, zusammengenommen aber einen beachtlichen Faktor in der Gesellschaft ausmachen.

      Alle genannten Aktivitäten sind letztlich von der Überzeugung getragen, dass es nicht die Menschen sind, die den endgültigen Frieden in der Welt zu bewerkstelligen vermögen, sondern dass es sich dabei um eine Verheißung und Gabe Gottes handelt, für die als Werkzeuge sich einzusetzen die Christ/innen und ihre Kirchen gesandt sind. Von daher bilden neben der Aktion Kontemplation, Gebet und Gottesdienst elementare Vollzüge christlichen Friedensengagements. Gilt es doch, sich des Evangeliums des Friedens immer wieder zu vergewissern, es zu meditieren, dafür zu beten und in der gottesdienstlichen Feier zu vergegenwärtigen, um daraus Motivation und Kraft für das Wirken „nach außen“ zu schöpfen. Als weitere Felder des Friedensbeitrags der Christ/innen und der Kirchen nennt die EKD-Denkschrift die Erziehung und Bildung zum Frieden, den Schutz und die Beratung des Gewissens vor allem mit Blick auf das Ethos des Gewaltverzichts, sowie die Arbeit für Frieden und Versöhnung.

      Woran es den Großkirchen mangelt, ist ein entschiedenerer Mut, nicht nur mit Worten z.B. den Wahnsinn, immer zuverlässiger funktionierende Tötungsmaschinen zu erfinden und anzuwenden, zu kritisieren, sondern sich dem auch mit Taten wie z.B. prophetischen Zeichen zu widersetzen und als „Störenfriede“ in das ökonomische und politische Geschehen einzugreifen. Wenn aus ihren Reihen Einzelne sich von ihrem Gewissen her veranlasst sehen, als solche öffentlich aufzutreten und gewaltlosen zivilen Ungehorsam zu praktizieren, wie es z.B. in Aufsehen erregender Weise Daniel und Philip Berrigan in den USA getan haben, dann können diese sich zumindest darauf berufen, dass es für solche Aktionen anerkannte Vorbilder in der Bibel gibt.

      Werkzeug – bzw. in katholischer Terminologie: Sakrament – des Friedens zu sein, erlegt nicht zuletzt den Kirchen die Gewissenserforschung auf, wie sie selbst es mit dem gerechten Frieden in ihrem Inneren halten. Dass diesbezüglich einiges im Argen liegt – angefangen bei den Strukturen bis hin zur interkonfessionellen und -religiösen Verständigung –, ist von ihnen ehrlich einzugestehen und dringend anzugehen, kann hier aber nicht im Einzelnen dargelegt werden.

      Zwischenbemerkung

      Wenn die Ausführungen über das Christentum länger geraten sind, als es die beiden folgenden Abschnitte sein werden, liegt das daran, dass es mir darum ging, einen Eindruck von der Komplexität der Probleme zu vermitteln, mit denen man es bei Bemühungen um Frieden-Stiften und -Fördern zu tun bekommt, und welches Bündel von Maßnahmen darum ins Auge zu fassen ist. Um in vergleichbarer Differenziertheit die beiden anderen Religionen behandeln zu können, mangelt es mir schlicht und einfach an Informationen. Darum beschränke ich mich mithilfe dazu vorliegender Literatur jeweils darauf, welche Ressourcen im Judentum und im Islam auszumachen sind, die zu einem unbedingten Einsatz zur Eindämmung bzw. Überwindung von Gewalt und zur Schaffung einer Friedensordnung in der Welt anhalten.

      Friedensressourcen im Judentum

      Wie angedeutet, ist die Friedensbotschaft Jesu von Nazaret durch und durch von den Friedensverheißungen geprägt, wie sie in der Hebräischen Bibel aufzufinden sind. Allerdings gibt es in ihr nicht nur diese Linie. Gewalt, die sich bis in Kriege hinein entlädt, ist eine Realität der biblischen Lebenswelt. Auch dies findet in der Bibel seinen Niederschlag. Gewalt besteht ihr zufolge bereits von alters her – als menschliche Anlage, wie die Erzählung vom Brudermord von Kain an Abel berichtet (vgl. Gen 4). Sie durchzieht die ganze menschliche Geschichte und wirkt sich bis in die Strukturen des inner- und zwischengesellschaftlichen Zusammenlebens hinein aus. Wenn das jüdische Volk seinerseits in diese Geschichte von Gewalt und Krieg verstrickt war, dann nahm es – vor allem den Landeinnahmeerzählungen zufolge – Gott dafür in Anspruch, dass er, der sich als „Mann des Krieges“ (Ex 15,3) bei der Rettung Israels aus dem Sklavenhaus Ägypten erwiesen hatte, wiederum seinem Volk zum Sieg verhelfen würde. So ist im Buch Josua zu lesen: „Und ich habe euch ins Land der Amoriter gebracht, die jenseits des Jordans wohnen. Und sie kämpften gegen euch, und ich gab sie in eure Hand, und ihr nahmt ihr Land in Besitz, und ich habe sie vor euch vernichtet.“ (Jos 24,8) Ähnliche Aussagen findet man in den Büchern Richter, Samuel und Könige. Auch wenn die Geschichte sich realiter nicht so abgespielt hat, wie sie im biblischen Rückblick dargestellt wird16, lässt sich der Tatbestand, dass JHWH als Kriegsgott gepriesen worden ist, nicht einfach beiseiteschieben. Oft genug haben diese Bibelstellen als Rechtfertigung von Kriegen im Namen Gottes herhalten müssen.

      Doch es gibt noch die andere Seite in der Hebräischen Bibel, die in deutlicher Spannung zu der Meinung steht, dass in einer Welt voller Gewalt nur mit Gewalt etwas auszurichten ist. So wird Kain von Gott seiner Bluttat überführt und für sie verantwortlich gemacht. Kain wird somit bescheinigt, dass er in seiner Freiheit hätte anders handeln können, dass ihm und somit dem Menschengeschlecht der Hang zur Gewalt nicht gewissermaßen unausweichlich angeboren ist. Es sind die leidvollen und grausamen Erfahrungen, die mit gewaltsamen Konflikten und Kriegen einhergehen, die die Überzeugung haben aufkommen lassen, dass sie nicht so alternativlos sind, wie sie gern ausgegeben werden. Das beginnt damit, dass eine Eskalation der Gewalt durch rechtliche Regelungen zu verhindern versucht wird, wie es etwa das Talion-Prinzip vorgibt: Gleiches ist maximal mit dem Gleichen zu vergelten; wenn ein Auge verletzt worden ist, dann muss das andere Auge des Gegners verschont bleiben (vgl. Ex 21,22-25; Lev 24,17-22; Dtn 19,16-19). Als anderes Beispiel können die in Dtn 20 formulierten Kriegsgesetze mit ihren menschenfreundlichen Regelungen angeführt werden.

      Die Erinnerung an das Exodusereignis ließ noch eine andere Einsicht aufkommen als die, dass JHWH sich hier als Kriegsmann erwiesen hat, nämlich die, dass er es ist, der für die Unterdrückten und Randgruppen Partei ergriffen und für deren Recht auf Leben gegen die Machthaber eingetreten ist. Diesem so wirksam zutage getretenen Willen Gottes hat, so die in den Sozialgesetzen Israels festgehaltene Überzeugung, eine gesellschaftliche Ordnung zu entsprechen, für deren Rechtmäßigkeit das entscheidende Kriterium ist, dass den „Witwen, Waisen und Fremden“, also den in sozialer und rechtlicher Hinsicht besonders benachteiligten Gruppen die Mittel, die zu einem gedeihlichen Leben notwendig sind, zur Verfügung stehen.

      Dass die dazu getroffenen rechtlichen Regelungen nicht beachtet werden, dass im Gegenteil im eigenen Volk eine Praxis der Unterdrückung und Ausbeutung wieder Platz greift und damit in extremster Weise genau der Gott, der ihm zu seiner Existenz aus der ägyptischen Knechtschaft heraus verholfen hat, gelästert wird, wurde zum Anlass einer unerbittlichen Sozial- und Kultkritik seitens der Propheten. Dahinter steckt die Überzeugung, die sich dann mit der Vertreibung des Volkes ins Exil auf bittere Weise bewahrheitet: Wo keine Rücksicht mehr aufeinander genommen wird, wo die einen auf Kosten der anderen leben und nichts mehr davor zurückhält, ausschließlich den vermeintlich eigenen Vorteil zu betreiben, da kommt es langfristig zur Katastrophe. Da hilft es auf Dauer weder, seine eigene Habe so gut wie möglich zu versichern, noch, nach außen hin den modernsten Stand der Waffenrüstung demonstrieren zu können. Sondern wenn das ganze System in seiner inneren Substanz aufgezehrt ist, gibt es nichts mehr, was es vor dem Zerfall bewahren könnte. Sicherheit lässt sich auf der Grundlage ungerechter Verhältnisse nicht erzielen; sie kommt nur dort und in dem Maße zustande, wie an der Gerechtigkeit und in Gerechtigkeit gearbeitet wird – nach innen und nach außen. Übertroffen höchstens noch von der lyrischen Metapher in Ps 85,11, die Gerechtigkeit