Aktive Gewaltfreiheit. Группа авторов

Читать онлайн.
Название Aktive Gewaltfreiheit
Автор произведения Группа авторов
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783429063849



Скачать книгу

Grundzügen klarer. Gewaltlosigkeit ist kein ethisches Programm, das Menschen aus eigener Macht umsetzen können; sie ist nur theologisch möglich in einer Bindung an jenen Gott, der für den shalom „steht“, bei dem dies schon Wirklichkeit ist und der darin auch die Gewalttäter eingeschlossen hat, weil er sie nicht abschreibt: Deshalb kann die Wir-Gruppe nur erschüttert ausrufen: „Die Züchtigung war auf ihm, für unseren shalom!“ (Jes 53,5). Wie sollte ohne die Bindung an Gott im Handeln des Knechtes der Bruch mit dem Alten möglich sein? Für Jes 53 jedenfalls bricht sich an der Stelle, an der die Gewalt den Gottesknecht tödlich trifft, Gottes neue Schöpfung Bahn. Das kann man dann Stellvertretung nennen, obwohl diese Vorstellung möglicherweise viel zu statisch ist, um das Ringen, das Jes 53 abbilden will – in Reflexion und Erzählung –, auch nur annähernd einzufangen. Für die Wir-Gruppe (und schließlich die Vielen und die fernen Könige) ist die Welt neu geworden und der Knecht bleibt von Gott „behütet“.

      Die Welt ist besetzt vom „Mythos der erlösenden Gewalt“ („myth of redemptive violence“)24. Es ist der tief verwurzelte Glaube, dass nur über die tödliche Gewalt Sicherheit, Frieden und Heil zu gewinnen sind. Das Evangelium, die biblische Botschaft von Gottes Engagement für die Welt, erzählt dazu die große Gegengeschichte.25 Die Bibel erzählt von dem einen Gott, der über allem und allen steht, und vom Gutsein der ganzen Schöpfung. Es geht um Überwindung der Gewalt in der Schöpfung, aber nicht um Vernichtung eines Teils von Gottes guter Schöpfung. Paulus findet dafür in 2 Kor 12,9 eine einfache Formel von großer Eindringlichkeit: Gottes Macht kommt zu ihrem Ziel durch Schwachheit.

      1 Schweizer, Eduard, Das Evangelium nach Matthäus (NTD 2), Göttingen 1973 u.ö., 7.

      2 Konradt, Matthias, Das Evangelium nach Matthäus (NTD 1), Göttingen 2015, 78.

      3 Konradt, Matthäus, 78f.

      4 Konradt, Matthäus, 79. – Die revidierte Einheitsübersetzung 2016 erinnert mit der Überschrift „Die neuen Thesen“ noch von ferne an die ältere unhaltbar gewordene Titulatur, versucht aber offenkundig die neuen Einsichten zu integrieren. Dass die Betonung des Neuen zu unbestimmt ist und der Vorschlag der Einheitsübersetzung doch wieder vor der Kontrastfolie „Altes gegen Neues Testament“ gehört werden kann, ist die Problematik und Grenze dieser Überschrift.

      5 Konradt, Matthäus, 80.

      6 Konradt, Matthäus, 80. – Fragwürdig konventionell bleibt demgegenüber die gerade auch für ein jüngeres Publikum konzipierte Neuübersetzung der BasisBibel der Deutschen Bibelgesellschaft von 2010, 25–28 pass., die in den Randglossen das überholte Verständnis fortschreibt. In dieser modern anmutenden Bibelübersetzung zeigt sich überhaupt ein Trend zu problematischen Klischees, wenn das „Auge um Auge“ als „Vergeltungsgrundsatz aus dem Alten Testament“ bezeichnet wird. Die Grenze zur Karikatur ist überschritten, wenn die beiden Abschnitte aus Mt 5,38-42 und 43-48 mit den unzutreffenden Überschriften „Das Gebot, nur maßvoll zu vergelten“ und „Das Gebot, den Mitmenschen zu lieben“ versehen werden.

      7 Bibel in gerechter Sprache, Gütersloh 2006, 1842f.

      8 Vgl. die Diskussion mit ausführlichem Belegmaterial bei Schöttler, Heinz-Günther, Christliche Predigt und Altes Testament. Versuch einer homiletischen Kriteriologie, Ostfildern 2001, 522–571.

      9 Vgl. Betz, Hans Dieter, The Sermon on the Mount, Minneapolis 1995, 280: „Do not retaliate.“

      10 Vgl. Wink, Walter, Engaging the Powers. Discernment and Resistance in a World of Domination, Minneapolis 1992, 184, der die Untersuchung von Mt 5,39 überschreibt mit: „The Thesis Statement. Do not mirror evil“.

      11 Wink, Engaging, 185.

      12 Schweizer, Matthäus, 78.

      13 Wink, Walter, The Powers That Be. Theology for a New Millenium, New York 1998, 145; dt. Ausgabe: Verwandlung der Mächte. Eine Theologie der Gewaltfreiheit, hg. von Thomas Nauerth und Georg Steins, Regensburg 2014, 124.

      14 Konradt, Matthäus, 95.

      15 Konradt, Matthäus, 95.

      16 Wink, Engaging, 182.

      17 Vgl. Schockenhoff, Eberhard, Die Bergpredigt. Aufruf zum Christsein, Freiburg 2014, 230f.

      18 Schweizer, Matthäus, 82f.

      19 Schweizer, Matthäus, 83.

      20 Konradt, Matthäus, 99.

      21 Pröpper, Thomas, Gottes Freundschaft suchen. Predigten, Geistliche Gedanken und Gebete, Regensburg 2016, 108.

      22 Pröpper, Gottes Freundschaft, 109.

      23 Schockenhoff, Bergpredigt, 233.

      24 Wink, Enganging, 13–31; vgl. Wink, Verwandlung, 48–63.

      25 Vgl. Wink, Powers, 62; Wink, Verwandlung, 63; vgl. Johanna Tschautscher, Vom Mythos der erlösenden Gewalt, Essayfilm mit Th. Nauerth, G. Steins u.a., Österreich 2017, 95 min (www.johanna-tschautscher.eu).

      Rauf Ceylan

      Der gewaltbereite Salafismus als Herausforderung

      Einleitung

      Die abrahamischen Weltreligionen werden in einer externen Kritik häufig beschuldigt, durch ihren strengen Monotheismus intolerant zu sein, während polytheistischen Religionen aufgrund ihrer Vielgötterei eine immanente Offenheit gegenüber anderen Weltanschauungen attestiert wird. Auf diese Vorurteile trifft man im Kontext des Judentums und Christentums heute eher in der historischen Literatur. In Bezug zum Islam dagegen sind diese Vorwürfe sowohl in (populärwissenschaftlichen) Publikationen als auch in den öffentlichen Diskursen (Politik, Medien) allgegenwärtig. Aktuell wird diese Sichtweise durch die globalen Konflikte wie in Syrien, Afghanistan, Libyen oder Irak forciert. Seitdem die salafistische Terrororganisation „Islamischer Staat“ plötzlich in Erscheinung getreten ist und in einem rasanten Tempo in Syrien und im Irak expandierte, haben sich die negativen Berichtserstattungen verstärkt. Intensiviert wurde die Assoziation „Islam gleich Gewalt“ ebenso durch das salafistische Milieu in westlichen Einwanderungsgesellschaften, das durch medienwirksame Auftritte gezielt dieses negative Bild immer wieder bestätigt.

      Insbesondere in Deutschland hat sich diese Szene mit etwa 10.000 Anhängern etabliert, die mit ihren populären deutschsprachigen Predigern eine rückständige Ideologie propagieren. Aufgrund der großen Aufmerksamkeit in den Medien und in der Politik hat der Salafismus es geschafft, im Diskursfeld Islam eine wichtige Rolle zu spielen. Zugleich ist ein Expertenkreis rund um dieses Phänomen entstanden, die Experten werden als „Islamexperten“ tituliert. Darunter sind überwiegend Soziolog/innen, Pädagog/innen und Politikwissenschaftler/innen anzutreffen, die jeweils aus ihrer eigenen Perspektive versuchen, das Phänomen zu erklären und ebenso Präventionskonzepte zu formulieren. Muslimische Theolog/innen setzten sich kaum als Forschungsschwerpunkt mit der Frage nach dem Salafismus auseinander. Im besten Fall sind historische Analysen zu lesen, doch finden kaum gegenwartsbezogene theologische Auseinandersetzungen statt. Zwar nehmen hin und wieder muslimische Theolog/innen in den Medien Stellung zu diesem Phänomen. Allerdings fehlt ein akademisches Forschungsprofil zum Thema Fundamentalismus, obwohl seit 2010 die Islamische Theologie in Deutschland massiv ausgebaut wurde. Daher ist es notwendig, dass hierzulande diese Forschungslücke geschlossen wird. Zugleich müssen diese Studien Bezug nehmen zum übergeordneten Kontext, und zwar auf die Frage der Gewalt und Gewaltfreiheit im Islam und wie man das Friedenspotenzial der Religion in Zukunft stärker zur Entfaltung bringen könnte. Mit diesem Kontext eröffnen sich für die Islamische Theologie Kooperationsmöglichkeiten mit den Christlichen Theologien, die eine längere Wissenschaftstradition zu diesen Fragen aufweisen. Vor diesem Hintergrund sollen in der vorliegenden Abhandlung dieser Gedanke der Kooperation im Kontext von Gewalt bzw. Gewaltfreiheit in den Religionen aufgegriffen und einige Perspektiven entwickelt werden.

      Das resistente Stigma: Religionen als Ursache von Konflikten

      Wenn man heute über Religion spricht oder liest, wird immer wieder das Thema Gewalt erwähnt. Religionen seien oft Ursache von Gewalt, weil sie aufgrund ihres Wahrheitsanspruchs