Aktive Gewaltfreiheit. Группа авторов

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Название Aktive Gewaltfreiheit
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Жанр Документальная литература
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Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783429063849



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dass in seinem Handeln Gott wirkt und seinen Willen durchsetzt. Damit ist die wichtigste Voraussetzung für alles versöhnende Handeln angesprochen: In der Annahme durch Gott werden dem Selbsthass und der Verachtung der anderen der Boden entzogen. So „erwählt“, „gerufen“ und „behütet“ (vgl. 42,6; 49,1.8) ist der Knecht „neu“, durch Gottes Annahme befreit wie am ersten Schöpfungsmorgen. Durch ihn kann Neues beginnen in der Welt des Unrechts (vgl. Jes 42,9).

      Der Knecht soll in der Welt der Völker („auf der Erde“, 42,4) den Rechtszustand aufrichten, Gottes guter Schöpfung zum Ziel verhelfen. Alle Welt ist einbezogen, die ganze Weite der Schöpfung. So passt es, dass die Gottesrede an den Knecht in 42,5 nicht nur mit der üblichen Formel „so spricht der Herr“ beginnt, sondern Gott geradezu umständlich als Schöpfer von Himmel und Erde und Geber des Lebensatems beschrieben wird. Das steht nicht nur „räumlich“ in der Mitte des Textes, es erinnert an den Grund und das Ziel des göttlichen Wirkens, in den das Wirken des Gottesknechtes eingeschrieben ist.

      Seine größte Sprachkraft entfaltet der Text, wenn er anschaulich wird und die „Methode“ der Durchsetzung des Rechts nennt: Der Knecht tritt nicht dröhnend und herrisch auf und er geht nicht über das Beschädigte und Schwache hinweg. Zurückhaltung und Zärtlichkeit – so könnte man die weltverändernde Methode nennen. In offenen Metaphern wird auch das „Recht bringen“ beschrieben: Licht bringen anstelle von Finsternis (vgl. Gen 1,1-3), Leben schaffen – sich überlagernde Vorstellungen für die schöpferische/göttliche Verwandlung der Welt, eine tief greifende Veränderung zur „Versöhnung“. Entsprechend der Anfangskonstellation der Bibel ist die Adressatenschaft eine doppelte: Es geht um das Volk, also Israel, und um die Nationen, alle andern, die nicht Israel sind (vgl. Gen 12,1-3). Global ist die Perspektive, aber Gottes Weg der Veränderung geht über seine Bindung an das erwählte Volk.

      Damit ist die Aufgabe benannt. Was tut der Knecht? Wie reagieren die Adressaten? In Jes 49,1-9 spricht der Gottesknecht selbst. Er erinnert an seinen Auftrag: Gottes Rettung soll bis an das Ende der Erde reichen, alle umfassen. Dieser Einsatz Gottes für die Welt fängt damit an, dass Jakob/Israel zu seinem Gott zurückkehrt, aber das ist eben nur der Anfang einer weltverändernden Bewegung. Vom Ende des Liedes her gewinnt der Anfang der Rettung Kontur: Es geht wieder um Befreiung – aus der Gefangenschaft zum Licht. Die Aussagen bleiben aber bewusst offen; die metaphorische Sprache sichert ihre Bedeutung über die Ursprungssituation (also die Befreiung aus der Gefangenschaft in Babylon) hinaus.

      Schärfer als im ersten Lied und mit neuen Tönen wird die Zwischenstellung, das „Mittleramt“, des Gottesknechtes vorgeführt: Er ist von Gott gerufen, geehrt; Gott sichert ihm zu, ihn zu behüten und ihm zu helfen. Das ist wichtig, nicht nur für die Stellung des Knechts, sondern für das Bestehen-Können in seiner Rolle. Denn offenbar stößt der Knecht auf Widerstände. Es deuten sich harte Konflikte an. Der Knecht charakterisiert sein eigenes Mühen als vergeblich, erfolg- und sinnlos. In der Verachtung, die er erfährt, hat er nur noch einen Halt: „Mein Recht ist bei JHWH“ (Jes 49,4).

      Auf dieser Linie verbleibt das Lied in Jes 50,4-9. Es beschreibt die Gottesbeziehung des Knechts zunächst wörtlich als „Schülerschaft“: Es geht um das Hören, durch das allein sich Gottes Wille erlernen lässt. Als Schüler dieses Gottes erfährt er Zurückweisung, die sich in brutaler körperlicher Gewalt äußert. Die Dinge spitzen sich immer mehr zu: Einerseits wird das Gottesverhältnis enger, geradezu intimer (das Hören ist biblisch ein viel dichterer Ausdruck der Nähe und des Zusammenwirkens als in unserer gewöhnlichen Vorstellung), andererseits steht der Knecht nun mit seinem Leib für Gottes Auftrag ein. Es geht nicht um eine Botschaft, eine Mitteilung, ein Programm. Der Knecht verkörpert Gottes Rettungseinsatz für Israel und für die Nationen; deshalb schlagen die Widerstände gleichsam auf seinen Körper durch.

      Der Knecht erfährt, dass er bestehen kann, „er wird nicht in Schande enden“ (Jes 50,7). Das ist schwer zu übersetzen: Er verliert nicht den Boden unter den Füßen, bleibt im Letzten er selbst. Hier versucht die Bibel eine Erfahrung zu erfassen, die alle Widerständler machen und die ihnen hilft zu bestehen. Es gibt eine Grenze der Gewalt, einen Punkt, an dem fremde zerstörerische Macht zerschellt; gemeint ist die Erfahrung einer Kraft, die allein die Treue zum Auftrag ermöglicht und das Weitergehen in letzter Konsequenz. Das ist kein Gesetz, immer nur eine stammelnd vorgetragene Erfahrung: ein Lichtfunke in einer wahnsinnigen Welt der Gewalt, der Punkt, an dem das Neue schon Wirklichkeit wird. Der zweite Teil des dritten Liedes drückt das in gewohnter Rechtssprache aus: Gott als Anwalt im Rechtsstreit, der nicht zulässt, dass das Recht unterliegt. Mit besonderem Nachdruck hält der Knecht fest, dass Gott ihm beisteht, wie in einem Refrain, der den zweiten Teil des Liedes gliedert: „Gott wird mir helfen“ – „der mich freispricht, ist nahe“ (vgl. Jes 50,7-9). Das ist die Weise, in der der Knecht dem Unrecht und der Gewalt begegnet. Er passt sich nicht den Mitteln seiner Gegner an. In einer Welt der Gewalt setzt er auf Gott als den Anwalt des Rechts.

      Alle Fäden laufen zusammen in jenem berühmten Lied im 53. Kapitel des Jesjabuches – und zusätzlich bietet das vierte Lied noch entscheidende neue Aspekte über den Knecht und seinen Weg, die Welt bis zu den „fernen Inseln“ nach Gottes Willen zu verändern. Dieses Lied setzt offenkundig den Tod des Gottesknechtes voraus, deshalb spricht hier nicht der Knecht. Gott verheißt dem Knecht eine große Zukunft. Der Tod ist nicht das letzte Wort. Davon sprechen die Rahmenteile des Textes. Die Hoffnung des Knechtes geht nicht ins Leere, Gott ist treu.

      Im Mittelteil des Textes (Jes 53,1-11) spricht eine nicht näher identifizierte Wir-Gruppe; sie ist zu einer revolutionären Erkenntnis gelangt. Im zweiten Teil des Mittelteils wird erzählt, was dieser Knecht erlitten und getan hat, wie die Menschen zu ihm standen und was Gott mit ihm vorhatte. Durch das Schicksal des Knechtes kommt die Wir-Gruppe zu einer neuen Erkenntnis, und zwar zu einer doppelten neuen Einsicht. Zum ersten geht ihr auf, wer der Knecht war und warum er gelitten hat, und zum zweiten sieht sie ein, wer sie war und was ihr Tun bewirkt hat – und wie das eine mit dem anderen zusammenhängt. Der getötete Knecht war Gottes Knecht, er vertrat die Sache Gottes und Gott stand auf seiner Seite. Die Wir-Gruppe hatte gemeint, Gott habe sich von ihm losgesagt und ihn mit Leiden bestraft. Die Verblendung der Wir-Gruppe wird noch weiter entlarvt: Die Gewalt, die den Knecht getroffen hat, war die Gewalt der Wir-Gruppe. Nicht Gott hat sich das Leiden „ausgedacht“, sondern das Leiden hat einen konkreten Verursacher. Hier wurde also die eigene Gewaltausübung auf Gott projiziert. Die Falschheit und Verlogenheit hat nun ein Ende. Es ist klar, woher die Gewalt kommt; und die Gewalttäter erkennen das an. Es ist diese Einsicht, die aus der Täuschung, vor allem auch der Selbsttäuschung herausführt. Darin liegt schon ein Gewinn, denn zur Gewalt gehört die Täuschung über die Ursachen und die Folgen, die Propaganda der Lüge.

      Aber die Veränderung der Wirklichkeit greift weiter aus. Deshalb folgt auf den Abschnitt über die Erkenntnis noch eine die ersten drei Lieder aufnehmende und deutende Erzählung über den Knecht. Er hat nämlich die Dynamik der Gewalt gebrochen. Oder vielleicht besser gesagt: An ihm ist diese Macht zerbrochen. Der Text sagt: „Er hat die Sünden getragen oder aufgehoben.“ (53,4) Die Gewalttäter werden nicht bestraft (das ist hier nicht das Thema), sondern herausgeführt aus dem „falschen Leben“.

      Der Schlüssel zum Gelingen dieser mehrfachen Rollenwechsel (der Geächtete ist und bleibt der Gerechte; die Wir-Gruppe durchschaut ihre Verblendung und ihr verbrecherisches Tun) verbirgt sich in einem Bild in Jes 53,7: das Lamm, das seinen Mund nicht auftut. In einem Text, der sich so weit vorwagt und sich einer der schwierigsten Fragen stellt, sind auch die Bilder gewagt. Das stumme Lamm ist nicht in gefährlich-naiver Weise „lammfromm“. Es ist das Gegenbild zu den anderen Tieren der Kleinviehherde, die „ihren je eigenen Weg“ (vgl. 53,6) gehen. Das stumme Lamm ist hier kein dummes Lamm; das Lamm steht als Doppelbild für die Treue zu Gott und für die Absage an die Gewalt. Der Gottesknecht bleibt bei Gott und übernimmt nicht das Verhalten der Gewalttäter. Er steht für das, was Gott will, und er hält aus, was Gott nicht will. In allem Versöhnungshandeln ist das die größte Herausforderung: sich der destruktiven Macht nicht anzugleichen, weil in dem Moment das schöpferisch Neue verspielt wäre. „Fügt euch nicht in das Schema dieser Welt“ (Röm 12,2), wird später Paulus fordern, nicht als Grundsatz eines fragwürdigen Entweltlichungsprogramms, sondern im Wissen darum, dass Gott das Neue will, kein Immer-wieder-und-immer-weiter-so