Aktive Gewaltfreiheit. Группа авторов

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Название Aktive Gewaltfreiheit
Автор произведения Группа авторов
Жанр Документальная литература
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Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783429063849



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die Arbeit an der Gerechtigkeit ruhige Sicherheit auf Dauer.“17

      Dieser so nachdrücklich betonte Zusammenhang zwischen Frieden und Gerechtigkeit zeigt an, dass sich das Friedensverständnis der Hebräischen Bibel nicht nur auf den Gegensatz zur Gewalt und zum Krieg als Manifestation des Nicht- oder Unfriedens beschränkt. Der dafür geprägte Begriff „Schalom“ beinhaltet eine viel umfassendere Sichtweise:

      „Schalom“, so erläutern Wolfgang Huber und Hans-Richard Reuter diesen Begriff in ihrer „Friedensethik“, „das hebräische Wort für Frieden, ist Ausdruck für ein umfassendes, den ganzen Menschen, seinen Leib, seine Seele, die Gemeinschaft, die Gruppe, die natürliche Mitwelt, ja alle Beziehungen, in denen er lebt, umgreifendes Heilsein und Wohlergehen. Wahrscheinlich geht das Substantiv schalom auf eine Wurzel mit der Grundbedeutung ‚genug haben‘ zurück (…) Schalom ist die Lebensform, in der alle Miteinanderlebenden ‚genug haben‘, zunächst im materiellen Sinn der Erfüllung ihrer Grundbedürfnisse, sodann aber auch in der weiten, unterschiedliche Kommunikationsebenen berührenden Bedeutung, die auch im Deutschen mit der ‚Genüge‘ verbunden ist: jemandem Genüge tun, aber auch Genugtuung leisten, ja sogar: vergnügt sein.“18

      Schalom ist somit nicht vorrangig negativ zu bestimmen, als Gegensatz zu Krieg und Abwesenheit von Gewalt, sondern vielmehr positiv: „als Ganzheit, Wohl, Heil und Leben im umfassenden Sinn, sowohl das ewige wie das zeitliche einschließend, sowohl das Verhältnis zu Gott wie zu den Menschen, sowohl die Seele wie den Leib, sowohl den einzelnen wie die Gemeinschaft und die Völker“19.

      Im Grund liegt der Begriff Schalom allen solchen Differenzierungen, die leicht zu Dualismen werden, voraus. Er ist kein statischer abstrakter Begriff, der sich auf eine vorgegebene objektive Ordnung bezieht, sondern ein dynamischer, wirklichkeitsschaffender bzw. wirklichkeitsverändernder Begriff, „ein Wort, das selber stiftet, wofür es steht“. So ist etwa die Gruß- und Abschiedsformel „Schalom“ alles andere als eine routinemäßig gebrauchte Formel oder Floskel, sondern Ausdruck der tätigen Sorge des einen um das Wohlergehen des anderen und umgekehrt.

      Der tragende Grund für den Schalom ist jüdischem Glaube zufolge Gott, der ein Gott des Lebens ist und nicht des Todes; hat er doch die Unterdrückten und Rechtlosen aus ihrer Situation des Todes entrissen und zum Leben geführt; hat er doch die ganze Welt im Frieden und zum Frieden geschaffen. Es bedurfte allerdings eines langen Lernprozesses, bis man zu der Einsicht kam, dass dieser Gott wohl doch nicht der Kriegsherr ist, dass er vielmehr der ist, der „den Kriegen ein Ende setzt bis an die Grenzen der Erde“ (Ps 46,10) und der die Völker friedlich miteinander verbunden zum Berge Zion hin zusammenführt. Dort wird von ihm verheißen: „Er spricht Recht im Streit der Völker, er weist viele Nationen zurecht. Dann schmieden sie Pflugscharen aus ihren Schwertern und Winzermesser aus ihren Lanzen. Nie mehr wird Volk gegen Volk das Schwert erheben, noch werden sie ferner das Kriegshandwerk lernen.“ (Jes 2,2-4; vgl. Mi 4,3f)

      Diese völlige Umkehrung des Gottesbildes kann nicht folgenlos für das Welt- und Menschenbild bleiben: In der Situation der größten Aussichtslosigkeit, dem Exil, kommt die Hoffnung auf einen dauerhaften und weltumspannenden Frieden auf. Er erwächst nicht aus der Fortdauer von Gewalt und Gegengewalt, von Sieger und Besiegten, von Herrschenden und Beherrschten, sondern aus einer eigentümlichen Kraft, die, weil sie nicht auf Macht und Stärke setzt, unbesiegbar ist, aus der Kraft des gewaltlosen und versöhnten Miteinanders. Unüberbietbar findet sich das in der Vision eines buchstäblich paradiesischen Friedens im 11. Kapitel des Jesajabuches ausgemalt:

      „Und der Wolf wird beim Lamm weilen,

      und die Raubkatze wird beim Zicklein liegen.

      Und Kalb, junger Löwe und Mastvieh sind beieinander,

      und ein junger Knabe leitet sie.

      Und Kuh und Bärin werden weiden,

      und ihre Jungen werden beieinander liegen,

      und der Löwe wird Stroh fressen wie das Rind.

      Und der Säugling wird sich vergnügen an der Höhle der Viper,

      und zur Höhle der Otter streckt ein Kleinkind die Hand aus.“

      (Jes 11,6-8; Zürcher Bibel)

      Diese Vision des Propheten beinhaltet eine Vorstellung vom Frieden, der die Respektierung des Lebensrechtes aller Geschöpfe als oberstes Prinzip des Zusammenlebens zugrunde liegt und der zufolge ein Ende der Rivalität und Feindschaft dadurch erwirkt wird, dass die Feinde nicht bekämpft und getötet, sondern verwandelt werden.20

      Doch sind das nicht schöne Träume, denen jedoch anzuhangen angesichts der harten Tatsache der Gewalt, die in der Welt herrscht – das jüdische Volk hat sie im Laufe seiner Geschichte auf brutalste Weise erleiden müssen –, jeglichem vernünftigen Denken widerstreitet?

      „Das Judentum“, so fasst Eveline Goodman-Thau ihre in der Durchsicht der biblischen Texte und sie auslegenden rabbinischen Tradition gewonnene Einsicht zusammen, „hat sich, im Gegensatz zum Griechentum, nie das Ideal gesetzt, eine endgültige Antwort oder Wahrheit (hebr. Emet) zu finden. Die Rabbinen verfolgen das Ideal des Schaloms, eines Kompromisses zwischen einer Meinung und einer anderen. Das Suchen nach Kompromissen in allen Lebenssituationen führt erst zum wahrhaften Schalom, wo jeder Einzelne für die Wahrheit haftet.“21

      Sie schließt ihren Beitrag: „Das hebräische Wort für Mut ist ,Oz‘, und die Spannung zwischen Frieden und Krieg wird im Psalmenvers ‚(…) Gott gebe seinem Volk Mut und Gott segne sein Volk mit Schalom‘ (Ps 29,1), der in die Gebete Israels eingegangen ist, auf den Punkt gebracht. Oz und Schalom, Mut und Frieden, sind untrennbar miteinander verbunden und so gehört der Mut nicht zum Krieg, sondern zur mutigen Entscheidung des Menschen, Frieden zu wagen: auf den Krieg zu verzichten, um des Schalom willen.“22

      Wen zeichnet dieser Mut im heutigen Israel, so ist angesichts der höchst verzwickten Lage in Palästina zu fragen, stärker aus: die – wohl die Mehrheit ausmachenden – Teile der Bevölkerung, die sich allein durch die rigorose Sicherheitsdoktrin der Regierung geschützt fühlen, oder die Einzelnen, Gruppen und Organisationen, die trotz allem im Vertrauen auf eine mögliche Versöhnung an der Notwendigkeit des Dialogs mit den Arabern, Palästinensern und Muslims festhalten und ihn vorantreiben oder die sich bestimmten politischen und militärischen Vorgehensweisen der Regierung widersetzen, wie etwa Soldaten, die sich weigern, ihrer Beurteilung nach gegen die Menschenrechte verstoßenden Befehlen zu gehorchen?23 Zwar werden diese Friedens- und Rechtsinitiativen von der herrschenden Politik als Störenfriede diffamiert und marginalisiert; sie reden ihr dennoch ins Gewissen, indem sie auf aus leidvollen Erfahrungen gewonnene Einsichten insistieren, vor allem dass Sicherheit nur gemeinsam mit allen Betroffenen auf Dauer zu gewährleisten ist und dass Bemühungen, Frieden zu stiften, Hand in Hand gehen müssen mit dem Einsatz, Gerechtigkeit für alle herzustellen.

      Friedensressourcen im Islam

      „Der Prophet Mohammed sagte: ‚Der Glaube beinhaltet die Zurückweisung jeglicher Gewalt, kein Muslim [Gläubiger] darf Gewalt begehen‘. (…) Dieser Aussage des Propheten zum Trotz sind an den meisten der gegenwärtigen Konflikte Muslime beteiligt. Menschenrechtsverletzungen, autoritäre Staatsführung, gemeinschaftliche Gewalt und Korruption sind in vielen muslimischen Ländern an der Tagesordnung. Die monströsen Attentate (…), Entführungen und Hinrichtungen von Ausländern (…) oder Anschläge auf Touristen, stärken das Bild von Muslimen als Gewalttäter oder Barbaren. All dies hat dazu geführt, dass der Islam, eigentlich etymologisch abgeleitet von dem Wort salam (Frieden), mit Gewalt und Terrorismus assoziiert wird und Muslime als rückständig, barbarisch und gewalttätig stereotypisiert werden (…).“24

      So führt die in den USA tätige Friedens- und Konfliktforscherin Ayse S. Kadayifici-Orellana, selbst Muslimin, in ihren Beitrag zu Frieden und Gewalt im Islam ein. Da in diesem Beitrag das Friedenspotential des Islam unter Einbeziehung der Auseinandersetzungen, die es in der eigenen Glaubensgemeinschaft dazu gibt, und auf der Grundlage einer hermeneutisch differenziert vorgehenden Interpretation der islamischen Quellen (Koran, Hadith und Sunna) für mich sehr einleuchtend und nachvollziehbar herausgearbeitet ist, folge ich