Aktive Gewaltfreiheit. Группа авторов

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Название Aktive Gewaltfreiheit
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Жанр Документальная литература
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Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783429063849



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und Feindbilder begünstigt werden. Um diese These zu untermauern, wird auf die zahlreichen historischen Religionskriege verwiesen. Im christlichen Kontext werden hierbei oft die Kreuzzüge erwähnt, die nicht nur zur Vertreibung der Muslime aus dem Heiligen Land, sondern ebenso zur Ausgrenzung von als „Häretikern“ abgestempelten Christen geführt haben:

      „Innozenz‘ Pontifikat wurde für die Weiterentwicklung (oder auch Depravierung) der Kreuzzugsidee von großer Bedeutung. Der von ihm ausgerufene vierte Kreuzzug ohne Beteiligung eines Königs war der erste, der sich – gegen seine Absicht – gegen Christen richtete. Um den benötigten venezianischen Schiffsraum bezahlen zu können, eroberten die Kreuzfahrer 1202, trotz Kritik in den eigenen Reihen, die an Ungarn abgefallene christliche Stadt Zara in Dalmatien für Venedig zurück. Gegen die Eroberung des unermeßlich reichen christlichen Konstantinopel 1204 durch das Kreuzheer hatte der Papst schließlich weniger Einwände, eröffnete sie doch Möglichkeiten einer Kirchenunion mit der Ostkirche. Die Dämme aber waren gebrochen, und Innozenz zögerte jetzt nicht mehr, die Kreuzzugsidee gegen innere Feinde der Kirche, die häretischen Katharer in der Provence, anzuwenden.“1

      Die These der Gewalttätigkeit wird zudem durch die Konfessionskonflikte untermauert, die nach der Reformation zum 30-jährigen Krieg führten. Schließlich wird das Konfliktpotenzial im Christentum historisch in seinem Kampf gegen die Wissenschaft festgemacht, welche sein Weltbild und seine Deutungshoheit herausforderte. Während bis ins vierte Jahrhundert die Anhänger des Christentums – trotz Verfolgungen und drakonischen Strafen im Römischen Reich – friedlich missionierten, sei im Zuge der konstantinischen Wende – die zum Imperium Romanum Christianum führte – das Konfliktpotential sukzessive in Erscheinung getreten. Dieser einseitige Blick auf das Christentum führt dann schließlich dazu, dass man die gesamte Geschichte dieser Weltreligion polemisierend als „Kriminalgeschichte“ liest.2

      Im islamischen Kontext wird ebenso eine lange „Blutspur“ nachgezeichnet. Zunächst wird immer darauf verwiesen, dass die 12-jährige Verkündungszeit in Mekka (610–622 n.Chr.) sich durch die friedliche Mission des Islam auszeichnete. Als der Prophet Muhammad mit seiner Verkündung des absoluten Monotheismus im Jahre 610 n.Chr. begann, war er mit der Feindschaft der mekkanischen Oligarchie konfrontiert. Die Mekkaner sahen ihren polytheistischen Kult – der aufgrund der zahlreichen Pilger mit ökonomischen Interessen gekoppelt war – an der Kaba durch die neue Religion als gefährdet an. Da die Anhänger des Propheten Muhammad sich eher aus sozialschwachen Kreisen rekrutierten, fiel es den Machthabern leicht, diese zu unterdrücken. Aufgrund der Intensität der Verfolgungen wanderten die Muslime daher ab 622 n.Chr. in die Stadt Medina aus und konnten dort von nun an ihre Religion öffentlich praktizieren. Nicht nur das, sie waren dann auch in der Lage, sich gegen die Mekkaner kriegerisch zu behaupten. Es kommt daher zu einer Reihe von militärischen Auseinandersetzungen, die mit der Eroberung der heiligen Stadt Mekka endeten.3 Nach dem Tod des Propheten Muhammad 632 n.Chr. entstanden mit der Zeit unterschiedliche Islamische Reiche, wobei den Europäern vor allem das Osmanische im historisch-kollektiven Gedächtnis präsent ist. Das liegt nicht nur darin, dass es sich erst 1922 auflöste, sondern auch an seiner langen Präsenz in Südosteuropa sowie den beiden Belagerungen Wiens im Jahre 1529 und im Jahre 1683. Obwohl die Beziehung zwischen dem Osmanischen Reich und dem Europäischen Kontinent auf den Feldern von Wirtschaft, Politik und Kultur sehr vielschichtig war, wird dieses Verhältnis auf die geführten Kriege reduziert.

      Diese Skizzierung zeigt bereits, dass Religion oft reduktionistisch auf ihr Konfliktpotenzial hin diskutiert wird. Zudem wird oft ausgeblendet, dass die Kriege nicht immer religiös, sondern politisch oder ökonomisch motiviert und somit kaum mit der religiösen Lehre kompatibel waren. Ein näherer Blick auf die Geschichte der Religion müsste daher vielmehr ihre Ambivalenz herausarbeiten. Wie Hans Küng zu Recht darauf hinweist, hat Religion immer ein Wesen und Unwesen. Das gilt übrigens für alle Religionen und nicht nur für die monotheistischen. Denn die gängige These lautet: Die Intoleranz sei dem Ein-Gott-Glauben immanent.4 Andere Gottheiten, Götter usw. werden nicht geduldet, wie es explizit vom „eifersüchtigen Gott“ in den zehn Geboten offenbart wird: Du sollst neben mir keine anderen Götter haben. Historische Beispiele wie die Christenverfolgung im Römischen Reiche sowie die Drangsalierung und Verfolgung der Muslime durch die polytheistischen Mekkaner in der frühmekkanischen Epoche (610–623 n.Chr.), als der Islam verkündet wurde, zeigen, dass auch nicht-monotheistische Weltanschauungen intolerant sein können. Ein Vorwurf – neben machtpolitischen Interessen vor allem der mekkanischen Oligarchie – war der Traditionsbruch mit der Religion der Urväter, die man über Jahrhunderte durch den polytheistischen Kult pflegte. Ein aktuelles Beispiel liefert die Massenvertreibung und Verfolgung von Muslimen in Myanmar durch Buddhisten, die nicht zu den monotheistischen Traditionen zählen.

      Aktuelle Beispiele belegen aber auch, dass säkulare Ideologien genauso eine Quelle von Gewalt und Konflikten sein können. Die meisten Kriege im 20. Jahrhundert waren nicht religiös bedingt, worauf José Casanova zu Recht hinweist. Sowohl der Erste als auch der Zweite Weltkrieg waren keine Religionskonflikte, sondern basierten auf säkularen Ideologien bzw. Interessen (Nationalismus, geopolitische Interessen usw.).5 Ebenso wurzeln die gegenwärtigen globalen Konflikte wie in Syrien nicht primär in religiösen Fragen. Gefährlich wird es nur dann, wenn diese politischen Krisen mit religiösen Narrativen untermalt werden. Denn: politische Konflikte kann man lösen, religiöse eher nicht. Exemplifizieren kann man dieses Problem anhand des Nahost-Konfliktes, der zunächst rein ethnisch-politische Ursachen hatte. Im Laufe der Jahrzehnte hat die religiöse Deutung des Problems immer mehr zugenommen, sodass eine friedliche Lösung immer mehr in die Ferne gerückt ist. Ebenso war der Ausbruch des Bürgerkrieges in Syrien – der mittlerweile zu einem internationalen Konflikt geworden ist – nicht religiös begründet, sondern es ging um den Sturz eines Diktators. Überhaupt war der Auslöser des „Arabischen Frühlings“ nicht religiös motiviert, sondern demokratisch.

      Rückkehr von Religion im Mantel des Fundamentalismus

      Das Beispiel Syrien führt auch vor Augen, wie schnell ein Machtvakuum durch extremistisch-religiöse Gruppen gefüllt werden kann. Von Anbeginn des Bürgerkrieges gab es zwar extremistische Splittergruppen, die eine gemeinsame Opposition gegen das diktatorische Regime in Syrien verhinderten, doch der Aufstieg des sogenannten „IS“ (Islamischer Staat) hat dem religiös umgedeuteten Krieg zu einer neuen Dimension verholfen. In einem rasanten Tempo hat der IS geografisch expandieren können und sich zu einem der gefährlichsten internationalen militantterroristischen Netzwerke entwickelt. Besonders auf junge Menschen hat das Netzwerk eine hohe Anziehungskraft ausgeübt, sodass allein aus den westlichen Gesellschaften mehrere Tausend junge Menschen mit und ohne Migrationshintergrund sich dem IS angeschlossen haben. Lange Zeit handelte es sich bei den Salafisten um ein männliches Phänomen, allerdings hat sich das seit den „IS-Bräuten“ geändert. Zahlreiche Frauen aus westlichen Gesellschaften sind nicht nur in die Kriegsgebiete ausgereist, sondern übernehmen mittlerweile auch Führungspositionen.

      Die Geschichte islamisch-extremistischer Gruppen lässt sich dabei bis in die frühislamische Gemeinde zurückverfolgen. Die erste Gruppe, genannt „Kharidschiten“, die im 7. Jahrhundert entstanden ist, weist bereits alle typischen Merkmale von religiösem Extremismus auf:

      – Sie beansprucht für sich das religiöse Interpretationsmonopol,

      – sie versteht sich selbst als Richter und Henker zugleich,

      – sie zeichnet sich durch Null-Toleranz gegen Andersdenkende

      – und Legitimierung von Gewalt auf dem Hintergrund religiöser Textstellen aus.

      Im Laufe der Historie sind dann immer wieder – vor allem in Zeiten von politischen Umbrüchen – Gelehrte und Strömungen aufgekommen, die ähnliche Merkmale aufwiesen und die bis heute als geistige Väter von extremistischen Gruppen der Gegenwart fungieren. Allerdings handelt es sich bei diesen Erscheinungen eher um quantitative Randphänomene. Erst mit der Moderne treten muslimische Chefideologen des Extremismus auf, die religiöse Texte und Symboliken politisch interpretieren und versuchen, einen muslimischen Staat zu legitimieren. Nicht nur das, auch werden Mittel wie Gewaltanwendung, Selbstmordanschlag usw. geheiligt, die zur Erreichung der Ziele als erforderlich gesehen werden. Was die fundamentalistischen Autoren nicht