Die Leben des Paul Zech. Alfred Hübner

Читать онлайн.
Название Die Leben des Paul Zech
Автор произведения Alfred Hübner
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783945424926



Скачать книгу

Ihr ‚Revier‘ sandten, fing meine dumme Lunge zu streiken [an], so dass der Arzt mir jede Arbeit verwies […]. Ich bat deshalb meinen Freund Dr. Stern von der Arbeiter Zeitung, das Büchlein zu besprechen und sende Ihnen nun seine Rezension.“157 Stern verbindet seinen Artikel mit einem Spendenaufruf für Lasker-Schüler.

      Am Nachmittag des 4. April, einem Freitag, besteigen Lasker-Schüler und Zech am Anhalter Bahnhof den Schnellzug nach Prag. Die Reise dauert sechseinhalb Stunden. Bei ihrer Ankunft am Franz-Josef-Bahnhof werden sie von Freunden und Bekannten empfangen, unter ihnen Otto Pick, Paul Leppin und Anton Macek. Mit der Straßenbahn fahren sie zum Hotel, in dem die Gäste untergebracht sind. Nachdem das Gepäck abgestellt ist, geht die Gruppe noch aus. Überwältigt vom Anblick des nächtlichen Altstädter Rings fängt die Dichterin am Rande des Platzes laut zu singen an, was einen Polizisten auf den Plan ruft. Vergeblich versuchen die Begleiter, dem Wachtmeister klarzumachen, bei der fremdländisch gekleideten Dame handle es sich um den Prinzen Jussuf von Theben, der rituelle Gebete verrichte. Der Ordnungshüter gibt sich unbeeindruckt: „Das ist mir burscht [!], hier darfs niemand nicht singen.“ In seinem Diensteifer wird er von einem der Umstehenden bestärkt, der erklärt: „Sie ist nicht der Prinz von Theben, sondern eine Kuh vom Kurfürstendamm!“ Leopold B. Kreitner, Augen- und Ohrenzeuge der nächtlichen Episode, erkennt in dem Herrn, der dem Schutzmann diesen Hinweis gibt, Franz Kafka.158

      Nach etlichem Hin und Her landet die Dichterin in ihrem Hotelbett und nicht in polizeilichem Gewahrsam, wie sie später Karl Kraus berichtet. Am Samstag kann sie ausschlafen, denn die Lesung beginnt erst um acht Uhr abends. Das Anwesen, in dem sich die Klubräume befinden, liegt am Riegerquai an der Moldau in Sichtweite des Nationaltheaters. Vor ausverkauftem Saal wird die Veranstaltung zu einem großen Publikumserfolg. Vermutlich befindet sich auch Kafka unter den Zuhörern, trotz seiner Abneigung gegen die Kollegin. Nach der Lesung kehren Lasker-Schüler und ihr Freund in Begleitung der Gastgeber im „Café Arco“ ein.

      Zechs Lesung findet am Sonntagmorgen ebenfalls am Riegerquai statt. Im Verlauf der Matinée trägt er zunächst Verse aus dem „Schwarzen Revier“ vor. Darauf folgen zwei Novellen aus dem unveröffentlichten Prosaband „Der schwarze Baal“. Pick hat für das „Prager Tagblatt“ einen Artikel über das Schaffen des Berliner Kollegen geschrieben, den es in seiner Sonntagsausgabe veröffentlicht. Darin heißt es: „Immer fiel die wohltuende Knappheit seiner lyrischen Schöpfungen auf, während seine Literaturkritiken energisch für eine neue Kunst sich einsetzten.“ An gleicher Stelle wird Else Lasker-Schülers Lesung vom Vorabend besprochen: „Die Hörer standen unter dem Banne dieser einzigartigen, durchaus instinktiven und visionären Kunst […] und sandten der Dichterin begeisterten Beifall nach.“159

      Nach der Matinée begeben sich der Vortragende und die Dichterin mit den Prager Freunden ins „Café Louvre“. Dort schreiben sie gemeinsam eine Postkarte an Albert Ehrenstein. Zech meldet: „in Prag wurde die große Schlacht geschlagen“. Pick ergänzt: „Größter Erfolg!“160 Den Nachmittag und Abend verbringt die Schar in der „Goldenen Stadt“ und erst gegen Mitternacht nehmen die Gäste eine Straßenbahn zum Franz-Josef-Bahnhof. Die Zeit bis zur Abfahrt des Zuges wollen sie sich im dortigen Restaurant aufhalten, stehen aber vor verschlossenen Türen. Um halb zwei ist es soweit. Der D 37 setzt sich Richtung Berlin in Bewegung. Frühmorgens erreichen die Reisenden ihr Ziel. Im „Prager Tagblatt“ heißt es an diesem Montag über Zechs Lesung: „Das Publikum, nicht zahlreich, aber gewählt, begrüßte den Dichter mit stürmischem Beifall.“161 Die Zeitung „Bohemia“ wird im Detail deutlicher: „Den Vortragenden, der bloß im schlichten Smoking las, grüßten leider nur wenige mit reichstem Beifall.“162

      Am Dienstag meldet Otto Pick aus Prag: „heute sandte ich Ihnen die Kritiken und dem ‚Berliner Tageblatt‘ […] ein Feuilleton: ‚Der Prinz von Theben und die Prager‘. Bitte, fragen Sie an, ob es erscheinen wird. […] Wir sprechen alle von den schönen paar Tagen mit Ihnen und Else Lasker-Schüler.“ In gleichem Maß wie diese Mitteilung freut den Empfänger eine weitere: „Einen kleinen Überschuss, den der Vorverkauf ergab, sende ich Ihnen nächster Tage.“163

      Zurück in Deutschland hadert Zech mal wieder mit der Berliner Literatenszene. An Dehmel schreibt er: „Wie jetzt für den völlig unbegabten Blass Propaganda gemacht wird, das grenzt schon an Amerikanismus. Wir paar Leute, die dagegen ankämpfen, sind gegen den Ansturm zu schwach, zu wenig frech, zu wenig pöbelhaft.“ Er glaubt zu wissen, wer für diese Manipulationen verantwortlich ist und welche Gründe dabei eine Rolle spielen: „Dass der Berliner Caféhaussumpf, der mir zum Halse herauswächst, für seine sterilen Äußerungen ganz andere und einträglichere Geschäfte macht, liegt eben in der trefflich organisierten Cliquenwirtschaft.“ Solche Äußerungen hindern ihn nicht daran, ebenfalls derartige Geschäfte zu machen und die Nächte im „Caféhaussumpf“ der Hauptstadt zu verbringen.

      Auf Dehmels Empfehlung hin hat Zech Josef Wincklers „Eiserne Sonette“ gelesen und eine Nummer der Zeitschrift „Quadriga“ zumindest durchgeblättert. Nun schreibt er nach Blankenese: „Es ist verblüffend, wie der Dichter […] fast dieselben Stoffe meistert, die ich auch im ‚Schwarzen Revier‘ künstlerisch umrissen hab.“ Ihm missfällt jedoch die Tendenz der Gedichte des Kollegen: „Stellenweise bricht ein so gefährlicher Byzantinismus durch, dass man verzweifeln möchte.“ Aufgeschlossen zeigt er sich gegenüber Dehmels Bitte, er solle den Arbeiterdichter Gerrit Engelke fördern: „In der Tat, Engelke ist als ein starkes Talent zu begrüßen. Wir bringen schon im zweiten Heft unserer Zeitschrift drei Gedichte.“ Sein Urteil ergänzt er durch einen Hinweis auf den eigenen Werdegang, dessen Darstellung allerdings erheblich von der Wirklichkeit abweicht: „ich habe während meiner mehrjährigen Tätigkeit als technischer Beamter in den Kohlegruben Westfalens eine unerhörte Summe dichterischer Kraft bei den Bergarbeitern kennengelernt.“

      Zech, der bei seiner Prager Matinée „im schlichten Smoking“ auf dem Podium erschienen ist, scheint es mittlerweile wieder ratsam, seine proletarische Herkunft zu verschleiern. Gegenüber Dehmel betont er: „Dass uns aus den unintellektuellen Kreisen die stärksten Begabungen reifen, ist mir bekannt […].“ Bewusst unterlässt er es, zu bekennen, selbst aus diesen Kreisen zu stammen.164

      Auf Zechs Polemik gegen Winckler und Blass erwidert Dehmel: „ich begreife, dass Ihnen an den Eisernen Sonetten manches nicht gefallen will, schon aus Rivalität; aber gegen den Vorwurf der politischen Streberei muss ich den Dichter in Schutz nehmen.“ Seine Forderung lautet: „Überhaupt solltet Ihr jungen Dichter einander immer das Beste zutrauen. Gönnen Sie dem Kurt [recte: Ernst] Blaß doch seinen Tageserfolg! Wenn kein Dauerwert in ihm steckt, wird er umso rascher abgewirtschaftet haben.“165 Dieser Rat zeigt Wirkung. Zech ändert seine Meinung über Blass.

      In der zweiten Aprilwoche 1913 liefert die Berliner „Druckerei für Bibliophilen“ das erste Heft des „Neuen Pathos“ in einer Auflage von 100 Exemplaren mit je 31 Seiten aus. Mutmaßlich auf Meidners Einspruch hin fehlen jene Werke, die Marc und Campendonk zum Abdruck angebotenen hatten. Er selbst ist mit drei Grafiken vertreten. Die weiteren drei Herausgeber Zech, Schmidt und Ehrenbaum-Degele finden als Autoren mit zwei beziehungsweise einem Gedicht Berücksichtigung. Von den „Pathetikern“ kommt lediglich Steinhardt mit einer Grafik „Der Prophet“ zum Zuge. Zweigs Beitrag steht auf Seite eins, dem folgen Verhaerens Verse „Begeisterung“ („übertragen von Paul Zech“) sowie ein „Zwiegesang überm Abgrund“ von Dehmel. Lasker-Schüler fragt in der letzten Zeile eines Gedichts „An den Herzog von Vineta“ Gottfried Benn: „wie soll ich dich rufen?“ Den beschäftigt als lyrisches Thema „Der junge Hebbel“. Drei weitere Gedichte stammen von Franz Werfel, Walter Hasenclever und – Ernst Lissauer (!). Das Heft wird mit einem Beitrag, „Gruppenbildung in der Literatur“ von Rudolf Leonhard beschlossen,166 von dem zusätzlich noch ein Gedicht abgedruckt ist.

      Schon kurz nach dem Erscheinen der neuen Zeitschrift erreichen die Herausgeber zahlreiche Stellungnahmen. Anerkennung kommt von zwei Kollegen, die mit Beiträgen darin vertreten sind. Franz Werfel schreibt an Zech: „Ihre Gedichte haben mich diesmal am stärksten berührt. […] wie hat es Ihnen denn in Prag gefallen – und hält mich Frau Lasker-Schüler