Die Leben des Paul Zech. Alfred Hübner

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Название Die Leben des Paul Zech
Автор произведения Alfred Hübner
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783945424926



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Der Herausgeber des „Neuen Pathos“ revanchiert sich dafür einige Zeit später mit dem Abdruck eines Gedichts des Kollegen in der zweiten Nummer seines eigenen Blattes.144 Nicht in die Druckvorlagen der ersten Ausgabe aufgenommen wird ein Beitrag Zweigs, den dieser mit der Bemerkung einreicht: „Lieber Freund, hier ein kleines Opus!“ Das geschieht, obwohl er Zech zwei Wohltaten erweist: „Über Ihre Gedichte habe ich eben an die Wiener Neue Freie Presse eine Anzeige gegeben.“ Von größerer Tragweite ist die Nachricht: „Verhaeren sandte mir einen Brief von Ihnen ein, ich übersetzte ihm den Inhalt und sagte selbstverständlich, er möge Sie autorisieren.“145

      Walter Hasenclever erklärt sich von Leipzig aus bereit, am „Neuen Pathos“ mitzuwirken. Dazu reicht er das Manuskript seines Gedichtbandes „Der Jüngling“ bei der Redaktion ein und schlägt vor: „Ich bitte Sie nun, sehr verehrte Herren, daraus für Ihre Zeitschrift etwas Angemessenes auszuwählen“. Zech veröffentlicht aber lediglich ein Gedicht. Hasenclevers Kollege Kurt Pinthus, von dem der zweite Teil des Briefs stammt, bittet um ein Exemplar der ersten Nummer des „Neuen Pathos“. Die will er in etlichen Zeitschriften, mit denen er zusammenarbeitet, ankündigen. In eigener Sache macht er schon jetzt Werbung: „Vielleicht sind Ihnen übrigens einige jugendliche Versuche von mir bekannt geworden, die in dem ‚Neuen Leipziger Parnass‘ zu finden sind.“146

      Der Druck der ersten Ausgabe des „Neuen Pathos“ steht unmittelbar bevor, und die Anzahl der Herausgeber ist mittlerweile auf vier angewachsen. Für die Zusammensetzung des Gremiums gibt es eine einfache Erklärung. Meidner und Zech, beide mittellos, haben zwei junge Autoren gefunden, die zwar selbst ebenfalls kein Geld besitzen, deren Eltern aber vermögend genug sind, um das Projekt zu subventionieren. Ehrenbaum-Degeles Eltern haben ihre Unterstützung bereits zugesagt. Mit dem Vater von Robert Renato Schmidt soll ein Treffen stattfinden. Der Sohn teilt Zech dazu mit: „Nächsten Mittwoch reisen wir auf etwa vier Wochen nach Palermo. Wir fahren über Berlin. Da können wir uns eine Stunde sprechen. Wollen Sie Mittwoch um sechs Uhr abends im Hotel Adlon sein?“ Schmidt jun. gehört zu der Generation junger Leute, die, meist materieller Sorgen enthoben, im Deutschen Kaiserreich vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs aus Langeweile eine Änderung der gesellschaftlichen Verhältnisse herbeisehnt. Er bekennt: „Ich bin in der letzten Zeit überhaupt von einer großen Gleichgültigkeit gewesen, das weiß ich wohl. Alles ist mir riesig bedeutungslos erschienen. Ich bin von einer großen inneren Müdigkeit […].“ Er ist sich nicht der Privilegien bewusst, die er genießt: „jedes mal, wenn ich nach Hause komme, merke ich, wie ich da fremder und fremder werde, [wie] man überhaupt in allem Tiefen und Eigenen ganz allein steht, wie unter Felsen. […] Ich lese fast nie Zeitungen.“ Immerhin will er als Autor im „Neuen Pathos“ vertreten sein: „Ich schicke Ihnen morgen die Novelle, von der ich sprach. Sie ist allerdings ziemlich lang.“147 Zech veröffentlicht den Beitrag später ungekürzt.

      Am Ostermontag 1913 sitzt im „Café Josty“ eine Gruppe von Literaten zusammen, die alle mit dem Verleger Kurt Wolff zu tun haben. Als das bemerkt wird, schreibt einer aus der Runde nach Leipzig: „Von einer Vollversammlung Ihrer Verlagsautoren die besten Grüße Otto Pick“. Albert und Carl Ehrenstein setzen ihre Namen darunter, danach stellt Franz Kafka zu laufenden Verlagsverhandlungen richtig: „Sehr geehrter Herr Wolff! Glauben Sie Werfel nicht. Er kennt ja kein Wort der Geschichte. Bis ich sie ins Reine habe schreiben lassen, schicke ich sie natürlich sehr gerne.“ Zech beschränkt sich auf einen „Herzlichen Gruß“ und seinen Namenszug. Lasker-Schüler malt ein Konterfei des Prinzen Jussuf und unterschreibt mit „Abigail Basileus III.“148

      Die Zusammenkunft im Josty dient auch der Vorbereitung einer Reise der Dichterin nach Prag. Dort soll sie vor dem „Klub deutscher Künstlerinnen“ aus ihren Werken lesen. Pick hat dieser Vereinigung mitgeteilt, beim ständigen Begleiter Lasker-Schülers, Paul Zech, handle es sich um einen bekannten Schriftsteller, der an der Moldau ebenfalls Gelegenheit erhalten müsse, aus seinen Werken vorzutragen. Die beiden Herren kennen sich seit längerem. Als Lyriker sind sie von Hermann Meister im „Saturn“ vorgestellt worden149 und Zech hat die Zeitungsleser im Wuppertal wissen lassen: „Ein Dichter […] von Inbrunst des persönlichen Schauens und Formens ist der junge Prager Otto Pick.“150

      Durch Lasker-Schüler lernt Zech den Studenten Rudolf Börsch kennen, der den Wunsch hat, Schriftsteller zu werden. Ihm schreibt er: „Sie hatten die Güte, mein Schollenbruch so außerordentlich warm und verständnisvoll zu besprechen. Ich kann nicht umhin, Ihnen meinen verbindlichsten Dank auszusprechen.“ Dem Neunzehnjährigen vertraut er an: „Gerade dieses Buch, das meine schönsten Erlebnisse auf dem Dorfe dokumentiert, liebe ich, obwohl es in der Form und im Erlebnis jetzt sehr fern von mir liegt, außerordentlich.“ Wenn Zech schreibt: „Ich bin von Kind an der Scholle verlobt, meine Väter waren durch Jahrhunderte Bauern“, so trifft das weder auf die väterliche noch auf die mütterliche Linie der Vorfahren zu. Seinem Brief legt er „Das schwarze Revier“ bei und behauptet: „Ich habe etwa drei Jahre im Ruhrkohlenrevier gewirkt, war in den Belgischen und Englischen Gruben tätig. Die abseitige Welt dieser industriellen Komplexe wußte ich, wenn auch nur in Silhouetten, zu bannen, jedoch ohne jegliche politische Färbung.“151 Die Behauptung, diese Lyrik sei unpolitisch, ist neu.

      Am Abend des 26. März wird Zech von Familie Schmidt im „Adlon“ empfangen. Er ist nervös, weil es jüngst Streit mit Meidner gegeben hat, und ihm später am Abend noch ein Besuch im Atelier des Künstlers bevorsteht. Die Verhandlungen mit Schmidt senior verlaufen nach Wunsch. Der sagt zu, sich künftig an der Finanzierung des „Neuen Pathos“ zu beteiligen.

      Erleichtert macht sich Zech auf den Weg nach Friedenau zur Wilhelmshöher Straße 21. Dort wohnt Meidner in einer Mansarde „unter glühendem Schieferdach […] in einem billigen Atelier, mit einer eisernen Bettstadt, einem Stuhl einem Spiegel und einer Anzahl Kisten“, die ihm als Tische und Schränke dienen.152 Es herrscht drangvolle Enge. Der Streit über den Inhalt und das Äußere der neuen Zeitschrift, unter anderem über die Veröffentlichung der Arbeiten von Marc und Campendonk, hat viele Literaten und Künstler zum Kommen veranlasst. Meidner berichtet dem Kollegen Raoul Hausmann: „Mittwoch Abend war großer Tumult bei mir […]. Neue Pathos Sache, Lärm, Streit, Beleidigungen. Schließlich gab ich zwei Zeichnungen. Aussöhnung mit Zech.“153 Am nächsten Morgen schreibt er dem Kontrahenten: „Lieber Herr Zech. Es ist nicht gut, wenn Künstler, […] sich hassen und schmähen – und so bitte ich Sie herzlich, all die Beleidigungen, Verdächtigungen und Gehässigkeiten, welche Sie in den letzten Wochen von mir erleiden mussten, zu verzeihen und zu vergessen.“ Er räumt ein, schon öfter von solchen Wutanfällen gepackt worden zu sein: „Ich ging tagelang herum, wie besessen von Rachgier und Fanatismus, einem Fanatismus anarchistischer Färbung. […] Doch eines morgens war alles weg, die Welt war wieder gerecht und gut, ich war gesund.“154

      Schon vor Beginn der Fahrt in die „Goldene Stadt“ schreibt Zech an Rudolf Hartig: „Von einer Reise nach Prag zurück [!], finde ich Ihren Brief vor.“ Der Kollege, den er seit Elberfelder Zeiten kennt, hofft nach wie vor auf einen Beitrag von Lasker-Schüler für sein geplantes Buch, doch er muss erfahren, sie wolle „für Anthologien nichts hergeben“. Die Adressen der Schriftsteller René Schickele und Hans Carossa, nach denen der Kollege ebenfalls gefragt hat, behält Zech für sich. Angeblich kennt er sie nicht. Der Grund ist jedoch ein anderer. Das ergibt sich aus seinem Rat an Hartig, auf Beiträge bestimmter Autoren zu verzichten: „Sie mißkreditieren die Anthologie dadurch.“ Unter den Namen, die Zech in dem Zusammenhang nennt, befindet sich auch der von Anselm Ruest. Ausdrücklich empfiehlt er dagegen, Robert Renato Schmidt und Kurt Erich Meurer zur Teilnahme aufzufordern.155

      Hasenclever äußert die Hoffnung, den Herausgeber des „Neuen Pathos“ bald persönlich kennenzulernen. Über seinen Geburtsort schimpft er: „Ich selbst bin Rheinländer (aus Aachen, dieser blöden Stadt)“. Weil er den Angaben des Kollegen, dessen Herkunft betreffend, Glauben schenkt, folgt der Zusatz: „und habe so ein natürliches Verwandtschaftsgefühl zu guten rheinischen Dichtern.“ Auf Zechs Ankündigung hin, im „Berliner Tageblatt“ über Hasenclever einen Artikel zu veröffentlichen, folgt der Kommentar: „Ich bin Ihnen herzlich dankbar für den schönen Plan […] und hoffe, ich kann gelegentlich auch für Sie etwas tun, vielleicht grade im Rheinland.“156