Die Leben des Paul Zech. Alfred Hübner

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Название Die Leben des Paul Zech
Автор произведения Alfred Hübner
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783945424926



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ihrer Rasse im Anfertigen von poetisch höchst moderner Ware.“ Im gleichen Stil geht es weiter: „Anthologien, die sie nicht genügend berücksichtigen, werden im ‚Berliner Tageblatt‘ totgemacht. Seit ich vor Jahren […] ein wenig kühl [über sie] geschrieben habe, ist meine Stellung in der Berliner Judenwelt wackelig.“

      Auch der Verfasser des Artikels bekommt sein Fett weg: „Zech ist der Elberfelder Konditorlehrling, gebürtig aus Schleswig, der mir seit Jahren seine Verschen schickt.“ Die Herkunft des einstigen Bewunderers kennt er immer noch nicht, will aber über dessen Vergangenheit wissen: „Er ist Vollblutgermane (auch äußerlich nach seiner Type) und war heftig antisemitisch, aber noch heftiger ruhmbegierig.“ Münchhausen lügt: „als ich ihm schrieb, das wäre eine gefährliche Zusammenstellung für die zeitgenössische literarische Laufbahn und er sollte damit doch lieber bloß Konditor bleiben, da … Lies seinen Artikel!“124 Der Baron hat Zech niemals geraten, das Schreiben aufzugeben und stattdessen ein Handwerk auszuüben. Im Gegenteil. Der jüngere Kollege ist von ihm gelobt und ermutigt worden, seine Karriere als Schriftsteller weiter voranzutreiben.

      Während der Vorbereitungen für die erste Nummer des „Neuen Pathos“ hat sich Zech gegenüber dem Verleger Otto Borngräber bereit erklärt, eine Rilke-Monographie zu verfassen. Vor Fertigstellung des Manuskripts wendet er sich an den Dichter persönlich: „Ich habe nun die Arbeit fast vollendet und bitte Sie, mir zu Vervollständigung der Monographie ein paar Sätze zu diesem zu schreiben: Erstens. Wie denken Sie über Ihr Schaffen. Zweitens. Welche Ziele haben Sie.“ Zusätzlich bittet er um eine Portrait-Aufnahme.125 Den Brief schickt er an den „Insel Verlag“ mit der Bitte, ihn weiterzuleiten.126 Verlagsleiter Anton Kippenberg sagt das zu.127 Rilke teilt er aber mit: „An Herrn Zech […] geschrieben: Sie seien verreist und schwer erreichbar. Bezüglich der Photografie bereits ablehnend beschieden.“128 In der Monographie, die 1913 erscheint, fehlt ein Brief von Rilke, den ihr Verfasser späteren Angaben zufolge vor mehr als sechs Jahren erhalten hat.129 Das Werk kommt ohne Portrait und Stellungnahme des Dichters zum eigenen Schaffen heraus.130

      Im März wendet sich Staatsanwalt Carl Bulcke per Leserbrief an die Öffentlichkeit: „ein Herr Paul Zech [hat] für sein Gedicht ‚Aufblick‘ den ‚außerordentlichen Preis Ihrer Königlichen Hoheit‘ und so weiter, bestehend aus einer ‚silbernen Blumenschale‘ erhalten. Ein Herr Paul Zech aus Elberfeld, geboren im Jahre 1881.“ Das Datum ist dem Schreiber wichtig: „Ich erwähne das Geburtsjahr, hätte es sich um einen jungen Herrn gehandelt, so wäre diese Mitteilung unterblieben“. Zwischen seinem eigenen Gedicht „Du, die ich liebe“ und den Versen des Preisträgers weist er mehrere Übereinstimmungen nach und folgert: „Der einunddreißigjährige Herr Paul Zech aus Elberfeld hat sich danach seine silberne Blumenschale reichlich leicht verdient.“ Den betreffenden Zeitungsausschnitt bewahrt der Beschuldigte lebenslang auf, nimmt aber öffentlich keine Stellung zu seinem Inhalt.131

      Im „Berliner Tageblatt“ steht die Ankündigung: „‚Das neue Pathos‘ wird eine neue Zeitschrift heißen, die unter der Redaktion von Paul Zech vom 15. März an zweimal monatlich erscheinen soll.“132 Der Herausgeber muss bereits jetzt die übernächste Nummer planen und bei der Druckerei wartet Werbematerial darauf, an Bibliotheken, Buchhandlungen, Kollegen und Freunde verteilt zu werden. Lene Schneider-Kainer schreibt ihm: „Sehr geehrter Herr Zech! Donnerstag ist es mir leider nicht möglich. Vielleicht telefonieren Sie einen anderen Tag. Besten Dank für die Prospekte.“133 Die Künstlerin malt sein Portrait.

      Lasker-Schüler ist nach der Scheidung mittellos und befürchtet, in der Öffentlichkeit als Bettlerin dazustehen.134 Zech sucht nach weiteren Möglichkeiten, ihr zu helfen. In einer Besprechung des Romans „Mein Herz“ weist er auf die Notlage der Dichterin hin: „Else Lasker-Schüler, diese Tänzerin durch kosmische Gefühlsverstellungen, steht einsamer denn alle im Bann des Gegenwartslebens.“135 Der Artikel löst einige böse Schmähungen, aber auch verständnisvolle Stellungnahmen aus. Aus München schreibt Verleger Bachmair dem Verfasser: „Sie werden es mir nicht verübeln, wenn ich als einen geringen Beweis meiner Erkenntlichkeit Ihnen einige meiner Luxusausgaben übermitteln lasse, die Ihnen, wie ich hoffe, einige Freude machen werden.“136

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      Lene Schneider-Kainer: Paul Zech Öl auf Leinwand, 1913

      Emmy Schattke will Lasker-Schüler ebenfalls beistehen. Deshalb nimmt sie nach längerem Schweigen wieder Verbindung mit Paul auf und fragt nach Einzelheiten aus dem Leben der Dichterin. Der ist überrascht und erfreut: „Ich bin zu aufgeregt, Ihnen heute ausführlicher zu schreiben. Ihr Brief hat mich sehr erregt, liebe Freundin! Ich habe nichts vergessen und werde nichts vergessen. Sie tun mir bitter unrecht, wenn Sie Gegenteiliges glauben.“ In einem muss er sie enttäuschen: „Von Else Lasker-Schüler kann ich Ihnen keine Daten geben, da Else Lasker-Schüler nichts preisgibt.“ Wenigstens die Berliner Adresse der Dichterin teilt er Emmy mit, rät aber: „Schreiben Sie ihr bitte nichts von Armut und ähnlichem. Sie leidet unter dem Wie und Was der Sammlung.“

      Schattkes Nachricht nimmt Zech zum Anlass, der Absenderin ein Wiedersehen vorzuschlagen: „Lasker-Schüler liest am 17. März bei Osthaus in Hagen. Ich komme wahrscheinlich auch hin.“137 Zuvor besucht er in Berlin gemeinsam mit der Dichterin den Rezitationsabend einer Kollegin, den der „Sturm“ so ankündigt: „Bess Brenck-Kalischer liest am Sonntag, dem 9. März unter dem Titel ‚Neue Prosa‘ Novellen von Siegmund Kalischer, Jung, Ehrenstein, Widmann, Lasker-Schüler.“ In der gleichen Ausgabe wendet sich Zech gemeinsam mit über fünfzig Kulturschaffenden, unter ihnen Apollinaire, Döblin, Klee und Léger, gegen eine Verunglimpfung Kandinskys im „Hamburger Fremdenblatt“.138

      Einen Artikel über die Lesung der Schriftstellerin stilisiert Zech zum sprachlichen Kunstwerk: „Beß Brenk-Kalischer, eine unentdeckte, mit literarischem Ehrgefühl behaftete Sprecherin von anderer Leute Erzähltem, muss sicher mehr Idealismus besitzen, denn alle die Schreiber zusammen, deren flammende Zeilen sie in den halbleeren Saal hinschmiß“. Bewundernd hebt er die Auswahl der Texte hervor: „Es gehört wirklich ein Instinkt allerschärfster Witterungsmöglichkeit dazu, den […] verlästerten und angespienen Franz Jung [zu lesen]. Gar nicht zu reden von Albert Ehrenstein und Else Lasker-Schüler.“ Der Rezensent glaubt: „Beß Brenk-Kalischer als Mittlerin dieser unornamentalen amoralischen und psychopathisch gebänderten ,neuen Prosa‘ wird […] trotz halbgefüllter Säle weiter schürfen und feilbieten dürfen mit der Geste eines Jeremias und dem Pathos Jochanaans.“139

      Im „Berliner Tageblatt“ bespricht Zech Adolph Levensteins Buch „Die Arbeiterfrage“. In diesem Werk sind die Ergebnisse einer Umfrage unter 5000 Arbeitern aus den Bereichen Bergbau, Metallverarbeitung und Textilherstellung zu ihrem Verhalten im Betrieb sowie ihrer eigenen Befindlichkeit zusammengefasst.140 Über diesen Artikel urteilt Brigitte (Beckmann-) Pohl, die erste Biographin des Autors: „So lange es um das Verhältnis von Arbeitgeber und Arbeitnehmer geht, positioniert sich Zech für den Arbeiter, ihm gehört seine Empathie. Als es aber um weltanschauliche und ethische Fragen geht, wertet er überheblich, geradezu spießbürgerlich, wie es wahrscheinlich der Leser der ‚Literarischen Rundschau‘ erwartet hat.“141

      Lasker-Schüler bittet Zech um Hilfe bei der Vorbereitung zu ihrer Reise nach Hagen. Er soll für sie eine Zugverbindung auswählen, mit der sie vom Anhalter Bahnhof aus noch vor Einbruch der Nacht ans Ziel gelangt und ihr den Abfahrtstermin telefonisch durchsagen.142 Entgegen diesen Planungen fährt sie erst abends. Schattke wird von Zech gewarnt: „Lasker-Schüler ist sehr reizbar und kriegerisch. […] Sie war sehr krank die letzten Monate. Also Vorsicht in der Konversation ist nötig.“ Zwar stellt er in Aussicht: „Ob ich auch komme, entscheidet sich am Sonntag“, doch besitzt er weder genügend Geld noch hat er Zeit, um die Dichterin zu begleiten. Deshalb beugt er vor: „Ich bin rasend beschäftigt.“ Das Wiedersehen mit der Freundin findet nicht statt. Ihre Hilfe will er dennoch in Anspruch nehmen: „Was sagen Sie zu unserer neuen Zeitschrift? Können Sie mir nicht einige Subskribenten beschaffen?“143